Gerhard Beckmanns Meinung – Warum spielen Buchhändler jetzt bei Harry Potter verrückt? Was steckt dahinter?

J.K. Rowlings „Der Orden des Phönix“ hat in Sortimenterkreisen eine Debatte ausgelöst, die nachdenklich stimmen muss. Es betrifft das Grundverhältnis zwischen Buchhandlungen und Verlagen. Die Geschichte scheint nicht ganz koscher.

Der Fall gibt Anlass zum Nachdenken, weil die Dinge so klar liegen. Hier, beim fünften Harry Potter-Band, steht nämlich – im Unterschied zu voraus gegangenen Streitigkeiten um Bücher von John Grisham, Hillary Clinton, Dieter Bohlen etc., von denen fast zeitgleich zu dem im Buchhandel erhältlichen Original billigere Ausgaben im Club Bertelsmann (oder, in anderen Fällen, als „Reader“ bei Weltbild) angeboten wurden – eine Bruch des Preisbindungsgesetzes nicht einmal zu vermuten. HP5 kostet, egal wo er angeboten wird oder ein Kunde ihn kauft, überall dasselbe.

Nun haben aber etliche Buchhändler/innen dagegen protestiert, dass HP5 überhaupt anderswo angeboten wird. Mit solcher Verkaufsstrategie des Verlages (Carlsen) werde, so heißt es, mehr… „der Buchhandel, der genuine Verlagskunde, geschwächt“. Denn: „Zwar dürfte die Strategie, den neuen Harry Potter über die Post und Lebensmittelmärkte zu vertreiben, die Kassen des Verlages schneller füllen, doch langfristig kann – egal auf welchem Vertriebsweg – nur der sowieso existierende Bedarf gedeckt werden.“

Dieses Statement enthält zwei Kernannahmen: (1) Jedes über irgend andere Stellen verkaufte Buch schmälert den Umsatz und gefährdet somit die Existenz des klassischen Sortiments. (2) Es würde, wenn der Titel nur bei ihm angeboten würde, die gleiche Gesamtmenge absetzen. Darauf möchte ich hier nicht eingehen, genauso wenig wie auf die ihnen, unausgesprochen, zu Grunde liegende These, das (neue) deutsche Preisbindungsgesetz sei nur dazu gedacht, das klassische Sortiment zu erhalten. Darüber haben Volker Hasenclever, ein führender deutscher Buchhandelsexperte, und ich in einer neuen Interpretation dieses Gesetzes in Bezug auf die heutigen Marktgegebenheiten Stellung bezogen (im BUCHMARKT-Novemberheft, das in diesen Tagen erscheint).

Die entsprechende Erwartung (und Forderung) von Sortimenterinnen und Sortimentern, dass die Verlage ihre Publikationen nur an und über sie verkaufen sollten, scheint jedenfalls auf Vorstellungen zu beruhen, die an der rechtlichen wie an der de facto gegebenen Realität vorbei gehen. Es wäre außerdem zu einseitig, die Probleme des Buchhandels vornehmlich einer gegen sie gerichteten Konfrontationspolitik der Verlage zuzuschreiben. Sind sie etwa nicht in erster Linie durch allgemeinwirtschaftliche Faktoren wie steigende Mieten und Personalkosten bedingt sowie durch einen Strukturwandel, der, nachdem er, mit der Folge veränderter Kaufgewohnheiten, in allen andern Branchen längst vollzogen ist, mit einiger Verzögerung nun auch den Buchhandel erfasst? Wie soll ein Produzent, außer dass er Waren herstellt, die dem sich wandelnden Bedürfnis und Geschmack des Publikums gerecht werden, den Handel finanzieren? Die Verlage sind weder imstande, die Sortimemter für ihre steigenden Kosten durch höhere Buchpreise, welche die Käufer nicht akzeptieren würden, noch durch immer höhere Rabatte und bessere Konditionen zu kompensieren. Ebenso wenig wären sie in der Lage, den Strukturwandel des Handels aufzuhalten, um dem klassischen Sortiment Konkurrenz vom Leibe zu halten.

Kehren wir zum aktuellen Diskussionspunkt zurück: Der Carlsen Verlag liefert die Harry Potter-Bände, wie er beteuert mehr…., und das dürfen wir ihm abnehmen, ausschließlich an Händler aus, die, wie er selbst, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels angehören. Er verhält sich also branchenkonform und überaus korrekt. Auf die Aktivitäten dieser Händler hat Carlsen weder rechtlich noch praktisch die geringsten Einflussmöglichkeiten. Da muss er sich nun mal, ob er will oder nicht, an die geltenden entsprechenden Gesetze halten – was er ja auch tut. Das heißt jedoch: Die erwähnten Sortimenter/innen beschwören einen Konflikt, der formal wie real gar nicht existiert. Sie lassen sich also auf einen Schau- oder Scheinkampf ein.

Der Konflikt, um den es tatsächlich geht, verläuft nicht entlang einer Frontlinie zwischen ihnen und den Verlagen. Er eskaliert in ihrem eigenen Sektor. Er entsteht durch unternehmerische Auseinandersetzungen im Handelsbereich selbst. Durch immer expansiverere Großbuchhandlungen wie Thalia (mit 77 Filialen in 52 Städten), Buch & Kunst (mit 40 Filialen in 27 Städten) und Hugendubel (mit 30 Filialen), um nur die größten zu nennen. Alles in allem haben „Filialisten“ in Deutschland in jüngster Zeit nahezu dreihundert Geschäfte neu eröffnet, mit einer neuen Verkaufsfläche von ingesamt über 250.000 Quadratmetern – was in etwa die Fläche von einigen tausend mittleren bis kleinen Buchhandlungen ausmacht, von denen viele, wegen Verdrängung, bereits schließen mussten. Der Paradebuchhändler Hugendubel ist hälftig an der Billigbuch-Ladenkette Weltbild Plus beteiligt, die auf 350 Läden zusteuert. Die Mayersche organisiert inzwischen sogar den Verkauf von Büchern in der größten deutschen Supermarkt-Kette Real (eine Abteilung des Metro-Konzerns).

Dieser echte Konflikt ist bisher nie offen und ehrlich thematisiert worden. Man schimpft gern auf die Verlage, insbesondere auf Verlagskonzerne, am liebsten auf den Größten und seine erdrückende Finanzmacht. Aber Thalia macht fast dreimal so viel Umsatz wie Random House Deutschland – und hinter Thalia steht der Douglas Konzern. Buch & Kunst einem Investmentunternehmen der britischen Großbank Barclay.
Es geht hier nicht darum, solche Handelsunternehmen und ihre Aktivitäten zu verteufeln. Aber es muss einmal unmissverständlich gesagt werden: Von ihnen geht der direkte Verdrängungskampf aus, der den kleinen und mittleren Buchhandlungen wirklich zu schaffen macht. Und was läuft da eigentlich für ein Spiel, wenn ausgerechnet Hugendubel oder die Mayersche sich quasi zu deren Sprecher und Interessenvertreter machen, indem sie zum Beispiel gegen Random House oder den Club tönen?

Es scheint zu funktionieren, weil so etwas eine tiefverwurzelte Denkweise des Sortiments bedient: Die Verlage sind an allem schuld. Wie blind diese Neigung machen kann, zeigt die eingangs erwähnte Geschichte. Wie sonst könnte jemand die Dinge so missverstehen und auf den Gedanken kommen, Carlsen verkaufe Harry Potter 5 über die Post – wenn es in Wirklichkeit darum geht, dass Weltbild einen (gewiss teuer bezahlten) Nacht-Sonderdienst der Post in Anspruch nimmt, um die Bestellungen seiner Kunden pronto auszuführen? Und wer beliefert denn eine Lebensmittel-Kette mit HP5?

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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