Gerhard Beckmanns Meinung – Jetzt wird sogar quasi ein ganzes literarisches Genre gerichtlich verboten

Im vergangenen Jahr wurde die holländische Übersetzung eines russischen Kinderbuches durch ein Amsterdamer Gericht verboten. Der beklagte Byblos Verlag erhob Einspruch. Wie soeben bekannt wird, ist dieses Urteil nun aber in zweiter Instanz bestätigt worden.

Weil, so die niederländischen Richter, der russische Autor Dimitri Yemets seine Geschichte aus den Harry Potter-Romanen gestohlen hat.

Alles klar?

Der Byblos-Verleger Boudewijn Richel bestreitet gar nicht, dass es da, die Handlung wie die Personen betreffend, Ähnlichkeiten gibt. Mehr noch: Darauf wird schon im Titel des Yemets-Werkes mehr als deutlich verwiesen. Es hat eine Heldin namens – oje oje – Tanja Grotter. Sie besucht ebenfalls eine Zauberschule, ist – wie der Held in „Harry Potter und der Stein der Weisen“ gleiche zehn Jahre jung, etc etc.

„Eine unautorisierte Adaption von Harry Potter“, hat das Appellationsgericht befunden. Kurzum: Diebstahl des geistigen Eigentums von J.K. Rowling.

Wirklich?

Der Amsterdamer Verlag von Dimitri Yemets sieht das anders. Ich kenne das russische Buch nicht, doch nehmen wir einmal an, und dafür spricht zumindest auf den ersten Blick vieles, er hat recht damit, dass „Tanja Grotter“ eine Parodie auf Harry Potter ist.

Die Parodie ist, wie es im dtv-Lexikon heißt, „eine komisch-satirische Darstellungsart, die ein literarisches Werk, einen Stoff oder Dichtungsgattungen ins Komische zieht“. Wesen und Wirkung gehen also eben darauf zurück, dass das verhohnepipelte Original für alle Leser eindeutig erkennbar bleibt.

Die Parodie ist selbst eine literarische Gattung. Ihr Erfinder, Hipponax, lebte im sechsten Jahrhundert v.Chr. Homer ist bereits im alten Griechenland parodiert worden, Aristophanes parodierte Euripides, Cervantes in seinem „Don Quijote“ die Ritterromane, in England waren Klassiker wie Henry Fielding, Thackeray und George Bernard Shaw begnadete Parodisten, in Deutschland machte sich Friedrich Nicolai über Goethes „Leiden des jungen Werther“ lustig mit seinem, will man heutigen Richtern glauben, wahren Kohlenklau-Titel „Freuden des jungen Werther“.

Da wird, nimmt man ihre Begründung ernst, nach 2.500 Jahren fröhlicher Urständ eine der köstlichsten, kritischsten, spöttischsten, vergnüglichsten, witzigsten Hervorbringungen des menschlichen Geistes, da wird gleich ein ganzes literarisches Genre durch einen Gerichtshof verboten und abgeschafft.

Wer Literatur auf solche Weise nur mehr nach den engen Definitionsgesichtpunkten des bürgerlichen Rechtes beurteilt, wird bald alle Dichter und Schriftsteller auf die Anklagebank setzen können. Inklusive, übrigens, wahrscheinlich J.K. Rowling. Gut, deren Vorbilder und Beklaute sind tot, und sie spottet nicht. Aber: Sollte man vielleicht bald nur noch über Tote spotten dürfen? Die Juristen würden sich freuen, da gäbe es Arbeit und Honorare ohne Ende. Doch es wäre das Ende zeitgenössischen geistigen Lebens.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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