Gerhard Beckmanns Meinung – Der Börsenverein stellt die Branche kulturpolitisch ins Abseits

Lesen in Deutschland – unter diesem Motto hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung soeben ihren Beschluss zu einem – höchst bemerkenswerten – „Aktionsrahmen zur Förderung der Lesekultur von Kindern und Jugendlichen im außerschulischen Bereich“ publik gemacht http://www.blk-bonn.de/aktuelles.htm.

Und nun lesen Sie auf der Titelseite dieses Dokuments das Kleingedruckte unter bitte einmal sehr genau:

„Erarbeitet (gemeint ist dieser Aktionsrahmen) von Bund und Ländern unter Mitwirkung von Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Bibliothekarverbandes und des Deutschen Städtetages, aus Wissenschaft, Verlagen und Medien, der Stiftung Lesen, des Bundeselternrates sowie von Lehrerverbänden.“

Fällt Ihnen da nicht auch gleich auf, dass hier der Name eines wichtigen einschlägigen Verbandes fehlt, von dem das Mitwirken an solch einem Programm eigentlich erwartet hätte werden müssen?

„Die Fähigkeit, lesen zu können“, so steht in der Einleitung, „ist gewissermaßen die ‚Mutter’ alle anderen Kulturkompetenzen. Nicht nur literarische, sondern auch naturwissenschaftliche, soziale und kulturelle Erkenntnisse bleiben dem, der nicht lesen kann, verschlossen. Auch im Zeitalter der Neuen Medien hat sich an der Bedeutung des Lesens nichts geändert. Für die Nutzung von Computer und Internet, für E-Mails und SMS wird das Lesen ebenso gebraucht wie bisher.“

Das gilt, Gott sei Dank, inzwischen wieder als Binsenweisheit, als Notwendigkeit, die sogar in schlichteste politische Statements zur Zukunftssicherung des Standorts Deutschland einfließt.

Okay.

„Zu Recht“, heißt es darum weiter, „hat PISA das Lesen als eine universelle Kulturtechnik verstanden, die Voraussetzung für die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben einer modernen Gesellschaft ist. Die Vermittlung dieser Kulturtechnik ist seit Jahrhunderten vornehmste Aufgabe der Schule.“

Absolut richtig – wenngleich an diesem Punkt anzumerken wäre, dass die Schule insbesondere unter dem Druck behördlicher Forderungen nach praktischen, also nur kurzfristig dienlichen, sekundären Wissensinhalten die Vermittlung dieser primären Kulturtechnik schon seit einiger Zeit nur unzureichend zu leisten vermag. Vielleicht beginnt sich hier ja eine – längst überfällige – Umorientierung auf Regierungsseite abzuzeichnen, zumindest für außerhalb des schulischen Lehrbetriebs. Denn:

„Bund und Länder wollen gemeinsam in der BLK dazu beitragen, diese Kulturtechnik auch außerhalb der Schule zu fördern und damit auch im Rahmen von IGLU festgestellte Defizite mildern.“

Toll.

Wieso hat daran – siehe das oben zitierte Kleingedruckte – bei so einem bedeutsamen Projekt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nicht maßgeblich mitgewirkt?

Nachfragen bei den entsprechenden Stellen lösten ein „Stochern im Nebel“ aus.

Jetzt wird’s komisch – oder todtraurig. Soweit sich dieser Nebel bisher lichten ließ, ist der Buchhandel zu den Projektdiskussionen der Bund-Länder-Kommission nämlich gar nicht erst eingeladen worden. Eine sehr vorsichtig angedeutete Begründung für diesen Tatbestand sollte im deutschen Sortiment sämtliche Alarmglocken schrillen lassen: Hier gehe es schließlich um Kultur, und Buchhändler hätten doch wohl nur ein wirtschaftliches Interesse am Buch.

Eine Unterstellung, die ich angesichts von rund zweihundert Gesprächen während der letzten zwei Jahre mit Inhabern und Angestellten des Buchhandels aller Größenordnungen und Couleurs für völlig unzutreffend halte. Nun habe ich durch private und berufliche Umstände das Glück, solche oft bewundernswerten Menschen – in der Regel eher schlecht bis miserabel entlohnte Idealisten – persönlich zu kennen. Solches Glück ist Repräsentanten höherer Institutionen leider oft versagt. Doch wie ist es möglich, dass man den Buchhandel öffentlich fast nur noch im Licht seines – berechtigten – Jammerns über die immer schwierigeren ökonomischen Verhältnisse fast nur mehr als reine Wirtschaftsunternehmen wahrnimmt?

Der Börsenverein repräsentiert den herstellenden wie den verbreitenden Buchhandel. Sollte man nun vielleicht die Frage stellen: Warum ist ausgerechnet ein zur Zeit von einem Sortimenter geführter Vorstand des Börsenvereins offenbar außerstande, der Öffentlichkeit und ihren politischen Institutionen ein wahrheitsgetreues Bild von der kulturell bedeutsamen Tätigkeit seiner mehrheitlichen Mitgliedschaft zu vermitteln? Ein mit solcher Frage verbundener Vorwurf würde in die falsche Richtung zielen. Denn die Mitglieder des Vorstandes und der Gremien im Börsenverein üben ehrenamtliche Funktionen aus, die in etwa mit dem Aufsichtsrat eines Unternehmens vergleichbar wären, und treten nur wenige Male jährlich zusammen. Wenn der Börsenverein die kulturelle und kulturpolitische Dimension der Branche nicht mehr zur Geltung bringen kann, so handelt es sich um ein Versagen in der Führung des sogenannten Hauptamts, d.h. der bezahlten Verbandsfunktionäre.

Zu abstrakt?

Dann lassen Sie uns doch, bitte sehr, noch konkreter werden.

Soweit mir bekannt wurde, hat die Bund-Länder-Kommission zu den Projektberatungen für ihr Aktionsprogramm nur die Verlegerseite eingeladen. Weil die Verlegerschaft offiziell vom Börsenverein vertreten wird, hat die BLK sich selbstverständlich an den Börsenverein gewandt. Hat dieser Börsenverein, der ja nun mal auch das Sortiment repräsentiert, daraufhin etwa die Bund-Länder-Kommission auf die eminente kulturelle Mittlerrolle des Buchhandels fürs Lesen hingewiesen und auf sein Mitwirken zum eigenen wie zum Wohle aller gedrängt? Davon ist jedenfalls nichts bekannt.

Weil die Bund-Länder-Kommission zu den Beratungen – wenngleich c/o Börsenverein und unbegreiflicherweise ohne dessen Einspruch also nur – Verleger einlud, werden, siehe obiges Klein gedruckte, als Mitwirkende natürlich u.a. auch nur „Vertreterinnen und Vertreter … aus Verlagen“ erwähnt. Und damit geht nun unser traurig komisches Fragespiel weiter.

Ich habe selbstverständlich nicht alle deutschen Verlage kontaktiert, sondern bloß bei einer Handvoll führender deutscher Häuser nachgefragt. Bei keinem dieser zugegebenermaßen unrepräsentativ wenigen Verlage war allerdings von solch einem Aktionsprogramm etwas bekannt. Wer hat also bei den vorausgegangenen Beratungen für sie gesprochen? Wer hat ihre Ideen, Visionen und Vorschläge zu diesem wichtigen Projekt eingebracht? Die Bund-Länder-Kommission ist überzeugt, dass sie vertreten waren. Es ist jemand für sie da gewesen. Der Börsenverein hat jemand geschickt – jemand, dessen Namen in den befragten Verlagsleitungen übrigens keiner kannte.

Es geht hier nicht darum, die Fähigkeiten des Betreffenden in Zweifel zu ziehen. Aber: Von den anderen beteiligten Institutionen erschienen die Geschäftsführer, deren Stellvertreter bzw. Spitzenkräfte oder –beamte. Der Börsenverein hingegen nahm alles auf die leichte Schulter, indem er – ganz abgesehen vom Hauptgeschäftsführer – nicht einmal die Geschäftsführerin des womöglich auch zuständigen Verleger-Ausschusses entsandte zu den Initiativgesprächen für ein wegweisendes Langzeitprojekt von einem der höchstrangigen deutschen Kulturämter, sondern den noch relativ unerfahrenen Leiter einer kleinen untergeordneten Abteilung für Leseförderung.

Entsprechend dürftig sind die Beiträge ausgefallen.

Fehlt dem Hauptamt des Börsenvereins denn inzwischen jeder Sinn für die Kultur und den Kulturauftrag, ohne welche die Wirtschaftstätigkeit seiner Mitglieder kaum zu denken ist?

Ist es mittlerweile so mit sich selbst und dem Ausbau des eigenen Funktionär-Machtreviers beschäftigt, dass es jegliches kulturpolitische Fingerspitzengefühl verloren hat und damit auch wichtige Kompetenzen und Möglichkeiten der Branche aufs Spiel setzt?

Und wie ist es um die Professionalität des Marketingunternehmens im Verband bestellt, wenn es sich solcher Chance für die Mitglieder, im besonderen für die Sortimenter, die ihr Geschäft als kulturelle Einrichtung vor Ort verstehen, durch die Lappen gehen lässt?

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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