Gerhard Beckmanns Meinung – Schnäppchenjagd als Gesellschaftsspiel, Discount-Angebote als Gesprächsstoff für After-Work-Parties, „Aldi et Audi“ als letzter Schrei – sind das die Voraussetzungen für neue Geschäftsmodelle im stationären Buchhandel?

Für Jo Volks zum heutigen 65. Geburtstag

Mit gebührendem Ernst hat Hannes Hintermeier in der F.A.Z. gestern die Preisoffensive bei Hugendubel kommentiert. Sein Beitrag führte zwischen Volker Hasenclever und mir freilich zu langen Diskussionen – weil wir zu dem Schluss kamen, dass Hannes Hintermeier die Herausforderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen an den Buchhandel zu leicht gewichtet.

„Entspricht Hugendubels Preisstrategie in Wahrheit nicht einer schlichten Notwendigkeit, weil sich nicht nur die Kaufkraft, sondern auch die Kaufprioritäten der Kunden gewandelt haben?“ meinte Volker Hasenclever. Sieht Hugendubel sich nicht vielleicht gezwungen, neben seinem gewohnten Sortiment vermehrt billige Bücher anzubieten, weil zu viele Menschen inzwischen schlicht zu wenig Geld haben, um wie ehedem Bücher zu kaufen?

Dafür gibt es starke Indizien. Bei der im Herbst des vergangenen Jahres vorgestellten Verbraucheranalyse 2003 zeigten die Marktforscher der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage Bauer und Springer sich überrascht: Zu den schon bekannten Risiko-Trends für Markenartikel – dem Vormarsch der Discounter und dem wachsenden Umsatzanteil von Handelsmarken; einem erodierenden Markenbewusstsein und einer sinkenden Markentreue – hat sich ein weiterer Trend gesellt: „Der finanzielle Spielraum der Bevölkerung wird enger.“

Was war da ermittelt worden?

Der Anteil der Bevölkerung mit einem frei verfügbaren monatlichen Haushalts-Netto-Einkommen von unter 100 Euro war von 37,3 Prozent für 2001 innerhalb von zwei Jahren auf 43,3 Prozent angewachsen.

Im gleichen Zeitraum war der Bevölkerungsanteil mit einem disponiblen Einkommen über 300 Euro von 20,9 Prozent auf 16,9 Prozent gefallen.

Nicht nur das. Andere Zahlen belegen: In der Ausgabenstruktur der privaten Haushalte hat eine Umschichtung stattgefunden: So sind etwa die Ausgaben für Wohnungsmiete und Haushaltungsführung seit 1990 von 34 auf 40 Prozent gestiegen, die für Nahrungs- und Genussmittel dagegen von 24 auf 20 Prozent gesunken.

Das bedeutet: Bei kaum noch steigenden oder gar schrumpfenden Realeinkommen erfolgt auch eine Neuaufteilung der privaten Budgets.

Solche Entwicklung hat natürlich Folgen für Dinge, die als nicht existenzsichernd gelten: etwa für Freizeitaktivitäten und den Konsum unterhaltungsindustrieller Produkte. Sie kommen verstärkt auf den Prüfstand. Bei ihnen beginnen viele Leute zu sparen. So kann es kaum verwundern, dass der Werbeslogan „Geiz ist geil“ bei der Unterhaltungselektronik kreiiert wurde. „Schnäppchen“ anzubieten, wurde hier zum bewusst eingesetzten Mittel der Verkaufsförderung.

Die Sache, wie es inzwischen vor allem in der Kulturkritik, aber auch in weiten Teilen des Einzelhandels gang und gäbe geworden ist, einer beklagenswerten „Schnäppchenmentalität“ der Deutschen zuzuschreiben, geht fehl. Sie hat auch wenig mit einer ebenfalls gern behaupteten weiteren “Aldisierung“ der Gesellschaft zu tun.

Was Aldi betrifft, herrscht nämlich weithin – nicht nur – in den Medien ein Missverständnis vor. Der Umsatz von Aldi ist in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten, d.h. weitgehend konjunkturunabhängig, um durchschnittlich 6,4% pro Jahr gestiegen. Dies Faktum, wie gemeinhin üblich, darauf zurückzuführen, dass Aldi eben „billige“ Ware, also „Schnäppchen“ anbietet, ist eine Fehlinterpretation.

Für den dauernden Aldi-Erfolg massgeblich ist ein hervorragendes Preis/Leistungsverhältnis, anders gesagt: verlässliche Qualität zum erschwinglichen Preis, also hoher Kundennutzen. Und ein Wandel der Konsumenten zu „hybriden Käufern“: Sie lassen sich nicht mehr ausschließlich, durchgängig bzw. eindeutig einem bestimmten, definierbaren Qualitäts- und Preissegment zuordnen.

Solches Verhalten ist absolut rational. Dort, wo bei den Käufen kein Risiko besteht, zählt primär die Preiswürdigkeit. Geht es jedoch um Käufe, wo der finanzielle Einsatz hoch, Qualität nicht selbstverständlich oder überprüfbar ist, werden Marken, werden vom „hybriden Kunden“ Entscheidungssicherheiten gesucht, zählt Vertrauen mehr als Ersparnis.

Diesen Veränderungen bei den Kunden muss auch der Sortimentsbuchhandel Rechnung tragen, denn sie prägen einen eher langfristigen Trend.

Mit den niedrigpreisigen Sonderausgaben im Taschenbuchbereich, mit modernem Antiquariat auch in für kleinere Betriebe absetzbaren Mengen bieten Verlage und Grosshandel die Möglichkeit, einem preisorientierten Kaufverhalten gerecht zu werden. Nicht weniger, aber auch nicht mehr scheint die Initiative bei Hugendubel zu bedeuten.

Man sollte die Verhältnisse zudem in einer angemessenen Perspektive sehen: Unternehmen wie Weltbild mit ihrem schmalbrüstigen Angebot von Billigbüchern dominieren nicht den Markt, Sonderausgaben und preisreduzierte Titel nicht den Buchhandel. Und in den Zentrallagern(!) der Buchkaufhäuser (!) werden noch immer rund 100.000 Titel unterschiedlichster Art umgeschlagen.

Dem Handel mit Büchern gleicht eher der mit Parfümerien, Fotoapparaten oder Fahrrädern. Hier liegt die Chance, auch Höherpreisiges durch Beratung und Service zu verkaufen. Hier kann der traditionelle Buchhandel mit den noch immer vorhandenen Sympathiewerten wuchern – wenn er in beiden Angebotsbereichen nachhaltig seine Stärken geplant und kontrolliert nutzt. Für die Befürchtung von Hannes Hintermeier, „der Charakter des traditionsreichen Buchkaufhauses wird sich in jedem Fall nachhaltig verändern“, gibt es, so scheint Volker Hasenclever und mir, noch keinen Anlass. Seine Warnung sollte freilich nicht überhört werden.

In einem Marktvolumen des Einzelhandels von 400 Milliarden Euro haben die Discounter inzwischen 10 Prozent erobert. Kann man da nicht auch von den Unternehmen lernen, welche die verbleibenden 90 Prozent auf sich vereinigen, wie man mit der neuen Mehrdimensionalität der Kunden Erfolge erzielt?

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert