Auszeichnungen Friedenspreis in der Paulskirche an Aleida und Jan Assmann überreicht

Am heutigen Vormittag erhielten Aleida und Jan Assmann in der Frankfurter Paulskirche den 69. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.„Die Entscheidung für Aleida und Jan Assmann ist eine Entscheidung gegen Geschichtsvergessenheit“ sagte Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann in seiner Begrüßung.

Auf den Ort der Preisverleihung Bezug nehmend, fragte er: „Was ist aus den Träumen der 1848er geworden, die sich in der Paulskirche versammelten?“ Es sei Zeit, sich der Geschichte zuzuwenden und die Paulskirche zu einem Ort für alle zu machen.

„Weltweit muss Demokratie Rückschläge einstecken. In Frankfurt ist Platz für vieles – aber nicht für Ausgrenzung und Diskriminierung“, unterstrich das Stadtoberhaupt.

Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bezog sich in seinem Grußwort mehrfach auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die vor 70 Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet wurde.

Weiter sagte Riethmüller: „Für das friedliche Zusammenleben von Menschen ist eine Erinnerungskultur, die sich in einem kollektiven Gedächtnis manifestiert, von fundamentaler Bedeutung.“ Eine wirksame Erinnerungskultur schließe immer die Zukunft mit ein und warne die Lebenden vor Wiederholungen der Geschichte.

„Schweigen und Passivität, Fatalismus und bloßes Zuschauen sind die eigentlichen Feinde der Demokratie, denn sie lebt vom Mitmachen und Einmischen, von der aktiven Teilhabe und auch dem Mut, seine Meinung zu sagen und anderen Meinungen mit Respekt zu begegnen. Die Friedenspreisträger waren und sind aber auch Mahnende, sich der eigenen Geschichte stets bewusst zu sein und aus ihr zu lernen“, unterstrich der Vorsteher. „In einer Zeit wie der unseren, die wieder von Rassismus, Antisemitismus und Populismus geprägt wird, sind Solidarität, Barmherzigkeit und Anteilnahme Tugenden, die nicht altmodisch daherkommen, und sie sind auch keine Attribute von sogenannten Gutmenschen. Sie sind vielmehr Haltungen, die eine Zivilgesellschaft ausmachen, die sich gegen den wachsenden Egoismus und weltabgewandten Individualismus wenden“, betonte Rietmüller.

Er nannte beispielhaft Aleida Assmanns Buch Menschenrechte und Menschenpflichten (Picus Verlag) und sagte: „Wenn wir diese tief in uns verankerten Menschenpflichten wieder zur Grundlage unseres Handelns machen, können sie uns dabei helfen, die Spaltung unserer Gesellschaft zu überwinden und die Probleme der Einwanderung und Migration zu bewältigen – mit Empathie und Respekt, also mit Tugenden, die in fast allen Kulturen eingeübt wurden und die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander bilden.“

Abschließend stellte der Redner fest: „Die heutigen Preisträger sind Wegbereiter einer klugen und aufgeklärten Erinnerungskultur. Ihre Forschungen und Arbeiten sind Grundlagen dafür, wie eine moderne Gesellschaft aus der Vergangenheit lernen kann, um in Frieden und Freiheit leben zu können. Und für uns – für die Buchhandlungen und Verlage – ist die Vermittlung dieser Werte unsere ganz besondere Menschenpflicht.“

Der deutsch-amerikanische Romanist und Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht hielt die Laudatio und würdigte die „zweistimmige Lebensleistung“ von Aleida (geboren 1947) und Jan (geboren 1938) Assmann. Er zitierte beide – die Anglistin, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und den Ägyptologen und Kulturwissenschaftler, der im Jahr 2000 formulierte: „Der Mensch, durch ein Zuviel an Wissen aus den Ordnungen der Natur herausgefallen, muss sich eine künstliche Welt erschaffen, in der er leben kann. Das ist die Kultur. Die Kultur entspringt dem Wissen um den Tod und die Sterblichkeit. Sie stellt den Versuch dar, einen Raum und eine Zeit zu schaffen, in der der Mensch über seinen begrenzten Lebenshorizont hinausdenken und die Linien seines Handelns, Erfahrens und Planens ausziehen kann.“

Beide Wissenschaftler haben bereits als Studenten an Ausgrabungen in Ägypten teilgenommen und „zwischen Heidelberg und Konstanz die Achse ihres Lebens gefunden“. Ihre fünf Kinder brachten sie zu internationalen und interdisziplinären Kolloquien mit, sie waren heute – längst erwachsen – auch in der Paulskirche anwesend. „Wissenschaft und Familie passen also zusammen“, sagte Gumbrecht.

Der Preis sei eine Ermutigung für die Geisteswissenschaften und den Frieden.

„Liebe Paulskirchengemeinde“, so begann die Dankesrede, die Aleida und Jan Assmann abwechselnd und gemeinsam hielten, „dieser Preis ist für uns ein Ehrenbürgerbrief in der Res Publica Litteraria, dem Heimatland, das keine nationalen Grenzen kennt.“

Bücher öffneten Denkräume des Geistes, die Bibliothek sei ein riesiges Archiv der Informationen – aber produzierten sie Öffentlichkeit? Die Messehallen bilden ein riesiges Labyrinth. „Aber Öffentlichkeit entsteht durch etwas anderes, durch gleichgerichtete Aufmerksamkeit, durch gemeinsames Interesse, durch Anwesenheit und Teilhabe. In diesem Sinne ist die Paulskirche die notwendige Ergänzung zur Buchmesse.“

In ihrer Rede bezog sich das Paar auf andere Paare in der Geschichte des Friedenspreises. Beispielsweise auf Karl Jaspers, der 1958 den Preis erhielt, und auf seine Laudatorin Hannah Arendt.

In Betrachtung der gegenwärtigen globalen Lage stellten die Assmanns fest: „Es gibt nicht nur Vernebelung durch fake news und neueste Technologien. Es gibt auch den alten handfesten Betrug, zum Beispiel der Autoindustrie bei der Manipulation von Abgaswerten. Vor diesem Hintergrund wird erst deutlich, wie dringend Menschen für ihr friedliches Zusammenleben auf Errungenschaften wie Wahrheit, Glaubwürdigkeit, Ver

bindlichkeit und Verantwortlichkeit angewiesen sind.“

Alva und Gunnar Myrdal erhielten 1970 den Friedenspreis. Sie konstatierten eine zunehmende internationale Abhängigkeit der Staaten von

einander und die Vertiefung der Kluft zwischen reichen und armen Ländern. Assmanns Betrachtung der Weltlage ist ernüchternd, denn „nationalistische Politik verstehe es gut, in vielen Bereichen Entsolidarisierung zu befördern, indem sie Hass auf Schwächere und Fremde schürt“. Deshalb müsse Solidarität auf allen Ebenen trainiert werden: „Als soziale Solidarität auf der Ebene der Gesellschaft, als transnationale Solidarität auf der Ebene der EU, und vor allem: als globale Solidarität im Umgang mit ökonomischen und natürlichen Ressourcen, damit es eine Zukunft nachfolgender Generationen überhaupt noch geben kann … Es kann nicht angehen, dass es eine neoliberale Freiheit für die Bewegung von Kapital, Gütern und Rohstoffen gibt, während Migranten im Mittelmeer ertrinken und an Grenzen festhängen und wir die Menschen, ihr Leid und ihre Zukunft verges

sen.“

Die Verengung der öffentlichen Debatten auf wenige Themen trage viel zur Aufheizung von Stimmungen, aber wenig zur Klärung und Bearbeitung anstehender Probleme bei.

„Können wir zur Abwechslung bitte auch mal hören, wo etwas gelingt?“, fragte Aleida Assmann rhetorisch und nannte drei Beispiele: Den Verein „Phoenix“, gegründet von russischsprachigen Eltern in Dresden, die ihre Erfahrungen als Integrierte mit Zuwanderern teilen; die Gruppe „back on track – Syria“, die hilft, syrische Kinder mit neuen Methoden zu einer Schulbildung zu bringen, und den Verein „Helfende Hände“, gegründet von zwei österreichischen Ehepaaren in Kenia, die dort eine Schule aufgebaut haben, die Kinder aus den ärmsten Familien aufnimmt. „19 von 33 Schülern der letzten Abiturklasse haben es in diesem Jahr auf die Uni geschafft. Das ist da Fünffache des Landesdurchschnitts“, berichteten die Assmanns. Mit ihrem Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro werden die Friedenspreisträger diese Initiativen unterstützen.

Außerdem beschäftigten sich die Assmanns mit dem Begriff shared heritage. Die von Israel besetzte Stadt Hebron im Westjordanland hat vor einem Jahr einen Antrag auf Anerkennung der Altstadt als Weltkulturerbe gestellt, der von der UNESCO angenommen wurde, jedoch Widersprüche auslöste. „Die Altstadt von Hebron hat eine jüdische, christliche und islamische Geschichte, die im kulturellen Gedächtnis der drei Monotheismen gleichermaßen präsent, heilig und lebendig ist, weil sich alle auf Abraham als ihren Stammvater beziehen.“ Ein gemeinsamer palästinensisch-israelischer Antrag könnte nicht nur den Konflikt lösen, sondern „die Altstadt von Hebron von einem Ort der Gewalt und des Terrors in einen Ort der Annäherung, der Kooperation und des Friedens verwandeln“. Schließlich heiße Hebron sowohl auf Hebräisch als auch auf Arabisch „Stadt des Freundes“.

„Eine Perspektive des Friedens wird ermöglicht durch ein ganz einfaches Kriterium, das wir auch bei Karl Jaspers gefunden haben: ‚Wahr ist, was uns verbindet’“, schlossen die Assmanns.

JF

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