Veranstaltungen Frankfurter Premiere mit und ohne Peter Härtling

Gestern Abend fand in der Frankfurter Villa Metzler eine ganz besondere Buchvorstellung statt. In der vom Kulturamt veranstalteten Reihe Frankfurter Premieren wurde Peter Härtlings letzter Roman Der Gedankenspieler vorgestellt, an dem er bis zu seinem Tod im Juli 2017 gearbeitet hatte. Das Buch ist gerade im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Das Gespräch mit Literaturagentin Adrienne Schneider und dem Autor Peter Bichsel – beide waren lange Jahre Weggefährten von Peter Härtling – moderierte der Redakteur und Autor Tilman Spreckelsen.

Sonja Vandenrath, Leiterin des Fachbereichs Literatur beim Kulturamt, begrüßte die Gäste im ausverkauften Salon: „Irgendwie ist Peter Härtling schon auch hier“, stellte sie fest. Leibhaftig anwesend waren Kinder und Enkel des Autors.

„Peter Härtling hat mit großer Ruhe ein großes Schicksal mit sich herumgetragen, er durchlebte den Krieg, verlor seinen Vater und war mit zwölf Jahren Vollwaise“, leitete Spreckelsen das Gespräch ein. Literatur habe Härtling geholfen, aus dem eigenen Elend herauszukommen. Er habe sich oft ebenfalls gebrochenen Lebensläufen von Schriftstellern und Musikern zugewandt.

Peter Bichsel lernte Peter Härtling 1963 im Literarischen Colloquium Berlin kennen. „Er hatte eine Weste an, trug eine Uhrkette und hatte ein strahlendes Gesicht. Ich glaube, mein Faible für Westen stammt von ihm“, erzählte der Schweizer Autor, der 1935, zwei Jahre nach Härtling, geboren ist.

„Für mich war er eine Vaterfigur, der ich mit großem Respekt, aber auch mit kindlicher Frechheit begegnete“, berichtete Adrienne Schneider. Sie traf ihn erstmals Mitte der 1970er Jahre. 1977/78 war er Stadtschreiber von Bergen-Enkheim.

Die Sprecherin Birgitta Assheuer las die erste Passage aus dem Buch, in der Johannes Wenger, Protagonist im Gedankenspieler, eine falsche Bewegung macht und ins Krankenhaus kommt.

„Man hat schon den Eindruck, dass der Aufenthalt im Krankenhaus als würdelos empfunden wird. Ich denke, Der Gedankenspieler ist Härtlings ehrlichstes Buch, gerade sich selbst gegenüber“, urteilte Adrienne Schneider.

„Das Buch fängt harmlos an, aber die Katastrophe droht bereits. Übrigens habe ich alle Härtling-Bücher als Autobiografien gelesen, wie die Autobiografien eines Schauspielers. Härtling war immer präsent, war neben Hölderlin, Schubert und Schumann. So sind ihm seine Figuren gelungen. Aber im Gedankenspieler passiert etwas Anderes, er stellt einen Härtling-ähnlichen Typen aus Pappe vor sich hin. Es ist zudem keine rechte Lektüre für alte Männer wie mich. Andererseits denke ich: Peter Härtling schaut Peter Härtling über die Schulter und grinst“, äußerte Peter Bichsel.

Schneider ergänzte, dass sie Härtling in der letzten Zeit nicht als unruhig wahrgenommen habe. „Aber er brauchte Distanz, um das zu schreiben. Für mich ist dieses letzte Buch und sind die Kinderbücher das Beste von Härtling.“

Auf die Kinderbücher ging Spreckelsen ein; sie hätten damals große Wellen geschlagen. Der Autor habe die Kinder ernst genommen, erklärte Schneider.

Birgitta Assheuer las vom Aufenthalt in Travemünde.

„Das Buch ist ein Wechselbad zwischen Fröhlichkeit und Trauer und Ohnmacht“, urteilte Spreckelsen. „Wenger ist ein Zyniker, das hilft ihm“, bemerkte Bichsel. Oft würden sich sehr junge und viel ältere Menschen in Härtlings Büchern begegnen, immer auf Augenhöhe, meinte Spreckelsen. Die mittlere Generation fehle.

„Wenger fühlt sich einsam und schickt die Leute gleichzeitig weg. Das ist eine komische und unauflösbare Situation. Und Traurigkeit ist nicht das Gegenteil von Freude, aber Poesie ist immer tröstlich. Die nicht abgeschickten Briefe im Buch sind eine wunderbare Idee“, stellte Bichsel fest.

Der Abend ging mit einem letzten Auszug aus dem Gedankenspieler und mit viel Beifall zu Ende.

JF

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