Auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage wurde gestern Nachmittag die Buchhändlerin Susanne Martin, die über 40 Jahre im Buchhandel tätig war, als Bücherfrau des Jahres 2018 geehrt.
Die Laudatio hielt die langjährige Freundin Angelika Rausch, KNV. „Mit dieser Auszeichnung machen wir Frauen in der Branche sichtbar“, stellte sie ihrer Rede voran.
Susanne Martin hat am 10. Februar 2018 die Schiller Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen geschlossen – eine Entscheidung in einer schwierigen Lage. Es gab keinen Nachfolger, die wirtschaftliche Lage war angespannt.
Martin hat über Jahrzehnte ihre eigene Work Life Balance gehabt; die Arbeit war ihr Leben. Als Mädchen begeisterte sie sich für Fußball, geblieben ist die Begeisterung für den VfB. Auch für die Raumfahrt schwärmt Martin, fotografiert und reist gerne.
Vor 22 Jahren übernahm Susanne Martin, die 1976 in Weißes Hofbuchhandlung als Buchhändlerin ausgebildet wurde, drei Monate in einem Kibbuz verbrachte und 1988 ein Praktikum in den USA absolvierte, die Schiller Buchhandlung.
„Susanne Martin weiß, was sie gut kann, überlässt anderen das, was diese besser können. Ihre Stärke ist Behutsamkeit. Und sie ist eine pragmatische Strippenzieherin.“ Martin engagierte sich stark im Social Media Bereich, ihre Buchhandlung war eine der ersten mit einem Online-Shop.
„Als die erfahrene Buchhändlerin im Februar ihren Laden schloss, tat sie das anständig und aufrecht“, sagte Rausch. KNO Geschäftsführer Thomas Raff sei erschrocken gewesen, als er vor einem geschlossenen Laden stand. Die Schiller Buchhandlung und die Begegnungen fehlen. Doch Martin trifft ihre Kunden weiterhin im Umfeld, reist aber auch durch die Republik, um Buchhandlungen zu besuchen und ihre ehemaligen Azubis zu treffen.
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu – an diesen Wahlspruch hat sich Susanne Martin stets gehalten.
Die so Gewürdigte nahm Blumen und Glückwünsche entgegen. Ihre Dankesrede begann mit einer Begriffsklärung. Was ist ein „vorläufiges Lebenswerk“? „Huch! Bin ich doch tatsächlich schon so alt?“, fragte sich Susanne Martin.
Doch was ist eigentlich ein Lebenswerk? Im Duden steht: „schöpferische Leistung eines Lebens“. Genau das sei der Aspekt, der während der „knapp 42 Jahre im Buchhandel immer Freude gemacht hat: Schöpferisch sein bedeutet für mich, meinen Beruf kreativ auszuüben und Gestaltungsspielräume zu nutzen oder sie mir zu schaffen“, betonte Martin.
Als sie 1995 die Schiller Buchhandlung übernahm, stellte sie fest: „Das Internet brach in die Buchbranche ein, und ich wurde, ohne das jemals geplant zu haben, zur digitalen Vorreiterin im analogen Buchhandel – so steht es jedenfalls im Pressetext.“ Sie nutze die neuen Medien, trug ihre Begeisterung für Bücher auf allen Kanälen in die Welt, freute sich über Reaktionen und merkte: Das Gespräch kann in den digitalen Raum erweitert werden.
„Vielleicht liegt es auch an den Bücherfrauen, dass ich so schnell auf diesen Zug aufgesprungen bin. Denn bei ihnen habe ich gelernt, wie bereichernd Vernetzung sein kann“, sagte die Geehrte.
Bei den Bücherfrauen war sie mit Frauke Ehlers das erste Städtesprecherinnentandem in Stuttgart.
Die Tätigkeit als Chefin fiel ihr zunächst schwer – sie selbst hatte das nie gewollt, aber es hatte sich so ergeben. War sie erfolgreich? Susanne Martin sieht es so: „Die Buchhandlung war ein Erfolg als Treffpunkt und Ort der Begegnung, als Raum, in dem über Bücher gesprochen wurde.“ In ihrem Berufsleben sei es ein wenig wie beim von ihr geschätzten Bergwandern gewesen; schon auf dem Weg zum Gipfel gibt es herrliche Ausblicke. „Das Spannende war der Weg, auf dem ich unterwegs war“, sagte Martin.
Eines ihrer Lieblingsbücher ist übrigens Wer die Nachtigall stört von Harper Lee. Und eine ihrer eindrucksvollsten Veranstaltungen war der Abend mit Donna Leon in den 1990er Jahren in ihrer Buchhandlung. Das bleibt – vieles Andere auch. Und andere, neue Erfahrungen werden hinzu kommen.
JF
