Veranstaltungen Frankfurt: Gedenken an Valentin Senger

Valentin Senger wäre am 28. Dezember 2018 genau 100 Jahre alt geworden, der Schriftsteller starb jedoch 1997. Gestern wurde an ihn in einer besonderen Feierstunde im Frankfurter Haus am Dom gedacht.

Das Jüdische Museum, der Verlag Schöffling & Co. und die Katholische Akademie Rabanus Maurus hatten die Veranstaltung organisiert.

Ein Porträt von Valentin Senger stand an der Bühne, angefertigt hatte es Eva Demskis Vater, der Bühnenbildner Rudolf Küfner. Über dem Podium zeigten Fotografien den Autor und Journalisten Valentin Senger, der als Frankfurter, Sozialist und Jude in einer Gesprächsrunde gewürdigt wurde.

Verleger Klaus Schöffling begrüßte die zahlreichen Gäste: „Die hohe Zahl der Anmeldungen – weit über die Anzahl der knapp 200 Plätze hinaus – verdeutlicht, wie präsent Valentin Sengers Buch Kaiserhofstraße 12 noch ist. 2009 lag das Buch in der 1978 erschienenen und vergriffenen Ausgabe von Luchterhand vor mir. In der Badewanne kam ich auf die Idee für Frankfurt liest ein Buch. Es war nicht sehr schwierig, die Rechte für eine Neuauflage zu bekommen. Inzwischen haben wir fünf Auflagen gedruckt, die sechste, eine broschierte Ausgabe, ist gerade in Arbeit.“ Mit Valentin Sengers Kaiserhofstraße 12 startete 2010 das Frankfurter Stadtlesefestival, das 2019 in die zehnte Ausgabe geht.

Michael Lenarz, stellvertretender Direktor des Jüdischen Museum, unterstrich, dass sich das Museum seit 1998 um Valentin Senger kümmere und verwies auf die Anwesenheit der drei Senger-Kinder Ionka, Judith und Rüdiger. Sie haben einen großen Anteil an der Gestaltung des Senger-Raumes im künftigen Jüdischen Museum, das nach jetzigem Stand im November 2019 wiedereröffnet wird.

Kata Bohus, seit 2016 am Jüdischen Museum tätig und verantwortlich für den Raum zur Geschichte der Familie Senger, informierte über die Vita des Schriftstellers. Die Familie Senger ist die einzige, die den Nationalsozialismus in Frankfurt versteckt überlebte.

Im Podium hatten der Journalist Georg Hafner, die Schriftstellerin Eva Demski und die Tochter Ionka Senger Platz genommen, Bohus moderierte.

Valentin Sengers Eltern, so erzählte Ionka Senger, waren aufgrund ihrer revolutionären Aktivitäten aus dem zaristischen Russland nach Deutschland geflohen. Sie nahmen in der russischen Revolution den Namen Senger an und traten in Deutschland der Kommunistischen Partei bei. Valentin Senger, 1918 in Frankfurt geboren, war in den kommunistischen Kinder- und Jugendorganisationen aktiv.

„Wir arbeiteten zwar beide beim Hessischen Rundfunk, aber in verschiedenen Abteilungen. Alle guten Linken kauften sich damals alte Bauernhäuser, Dorfschulen oder Bahnhöfe – wir und die Sengers auch“, erinnerte sich Eva Demski an ihre ersten Begegnungen mit Senger.

„Ich hatte mich 1982 als Ressortleiter Innenpolitik beim Hessischen Rundfunk beworben, das Vorstellungsgespräch war eine strenge Befragung. Zum Schluss fragte mich Valentin Senger, der sich bislang kaum beteiligt hatte, was ich auf das Transparent bei einer Demonstration schreiben würde. Ich antwortete: Gerechtigkeit und Freiheit. Damit hatte ich den Job.“

Wie war Valentin Senger als Kind? „Er war, glaube ich, ein sehr wilder Junge. Bis die Nazis an die Macht kamen. Die Familie überlebte nur mit 1000 und mehr Wundern. Beispielsweise strich Polizeimeister Kaspar den Eintrag ‚mosaisch’, ein Arzt verschwieg die Beschneidung“, sagte Ionka Senger. Dass ihr Vater Jude war, erfuhr sie erst mit neun Jahren auf einem jüdischen Konzert mit ihrer Tante Paula, Valentin Sengers Schwester.

Das Buch Kaiserhofstraße 12 sei auf dem Land geboren worden: „In verschiedenen Dörfern saßen Valentin Senger und ich und schrieben an unseren ersten Büchern“, bemerkte Demski. Sie ging schließlich mit Sengers Manuskript zu Peter Härtling. „Wenige Wochen später hatte Senger nicht nur einen Vertrag, sondern auch einen Lektor – Thomas Scheuffelen. Einige Wochen später hatte ich dann auch Vertrag und Lektor“, meinte Demski. „Mein Vater war im Odenwald zur Kur, und in den Gesprächen mit dem Chefarzt brach alles Vergangene aus ihm heraus. So begann er zu schreiben“, ergänzte Ionka Senger.

Hafner hatte das Buch erst 1982 gelesen und äußerte: „Die Widmung von Valentin Senger bringt mir im Nachhinein einen bitteren Beigeschmack. Ich habe nie gefragt, was das für ein Mann war, mit dem ich ein Jahr lang fast nebeneinander gearbeitet habe. Wir wussten wenig voneinander.“

Nach Erscheinen der Kaiserhofstraße 12 als Buch und als Film sei die Familie bekannt geworden, „das hat vieles verändert“, bemerkte Ionka Senger. Ihr Vater hatte stets ambivalente Gefühle zwischen dem Stolz und der Schuld, überlebt zu haben. „Valentin Sengers Lesungen waren eher Verbreitungen von Sub-Büchern. Er hielt sich wenig an den Text und erzählte viel. Er war ziemlich stolz darauf, in der Gilde der Büchermacher angekommen zu sein, hatte ein eigenes Scheibhäuschen von zwei, höchstens drei Quadratmetern“, verriet Demski.

Noch einmal kam man auf die drei Senger-Kinder zu sprechen. „In der Wohnung war ein ständiges Kommen und Gehen, die Kinder waren mittendrin“, sagte Ionka Senger. Abende im Familienkreis seien selten gewesen, aber es gab viele Gelegenheiten, seine Argumente zu schärfen. Natürlich habe die politische Einstellung der Eltern Einfluss auf die Kinder gehabt. „Mein Vater war allerdings eher irritiert über die Studentenbewegung“, sagte Ionka Senger. Nie jedoch sei er dogmatisch gewesen, habe sich immer einen kritischen Geist bewahrt. Aber die Kinder durften keine Cola trinken, keine Jeans tragen und keine Micky Maus-Hefte lesen. „Mein Vater war zwar von Amerikanern gerettet worden, hatte aber mit dem amerikanischen Imperialismus ein Problem“, erklärte die Tochter.

Auch die Geschichte mit der Einbürgerung kam auf dieser Matinee zur Sprache. 1958 stellte Valentin Senger einen Einbürgerungsantrag, der nach vielem Hin und Her abgelehnt wurde. Erst 1982, als Senger sich einen Namen als Autor gemacht hatte, wurde ihm die Einbürgerungsurkunde zugeschickt.

Ein besonderes Verhältnis hatte Valentin Senger zu Frankfurt. Er war beim Hessischen Rundfunk in der Redaktion, in der auch Hafner arbeitete, der Einzige, der aus dieser Stadt stammte. „Er hat sich mit Frankfurt identifiziert“, betonte Ionka Senger, „nicht mit der Kommunistischen Partei, die 1956 von der Bundesregierung verboten wurde. Mit der unzureichenden Aufarbeitung des Stalinismus in der KP war mein Vater nicht einverstanden gewesen.“

In einigen Büchern beschäftigte er sich intensiv mit dem Judentum, ohne je aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde gewesen zu sein.

Was hätte Senger wohl zur AfD gesagt? Georg Hafner zitierte aus Der Heimkehrer: Eine Verwunderung über die Nachkriegszeit, erschienen 1995: „Es haben sich neue Ängste eingestellt“. Aktueller denn je. Aber Valentin Senger hätte sich nicht weggeduckt, sondern Stellung bezogen.

JF

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