Zielgruppenorientierung – Erfolgsfaktor im Einzelhandel?! Britta Meyer: „Die Auseinandersetzung mit Zielgruppen war im Handel immer wichtig. Heute ist die Kundenzentrierung von gewichtigerer Bedeutung“

Britta Meyer

Handelsberaterin Britta Meyer am Beispiel des Spielwarenhandels darüber, wie sich der Einzelhandel als „Bedarfsversteher“ und Problemlöser im Kernsortiment und darüber hinaus qualifizieren kann – mit Ansätzen, die so auch für den Buchhandel gelten.

Der Ertrag eines Unternehmens ist das Ergebnis vielfältiger Erfolgsfaktoren, die ihrerseits von der Geschäftspolitik bestimmt werden. Zielvorgaben und Steuerung bestimmen Kosten und Erträge. Ein wesentliches Kriterium dabei ist auch die Frage, ob sich der Händler mit seinem Leistungsangebot auf die sich ändernden Bedürfnisse seiner Kunden dynamisch genug ausrichtet oder ob und inwieweit er nur die klassischen Dinge wie Warenverfügbarkeit und Präsentation im Auge hat. Im ersten Fall ist die Zielgruppenorientierung für die steuernden Maßnahmen erfolgsentscheidend. Im zweiten Fall geht es um zielgerichtetes Marketing für ein austauschbares Sortiment.

Annemarie Dettendorfer, Amedi Spiele Reischenhart

„Die weichen Faktoren“
„Als gelernte Schreinerin ist mir das ‚Selbermachen‘ ein Anliegen. Weil meine Kunden sich über neue Ideen freuen, gehören zum Ladenkonzept eine Bastel- und Fantasiewerkstatt für Kinder und die Möglichkeit, den Kindergeburtstag in der Holzwerkstatt zu feiern. Die Gruppe der Eltern, die wünschen, dass Kinder weniger vor Handy, Computer oder Fernseher sitzen, ist groß. Diese Eltern suchen nach attraktivem Programm und geben dafür auch Geld aus. Es sind die weichen Faktoren, die beim Kunden entscheiden: Ohne Kundenorientierung gibt es keinen Grund, einen stationären Laden aufzusuchen.“

Grenzaufhebung

In Zeiten von Umsatzeinbrüchen im stationär angebotenen Kernsortiment durch Kaufverschiebungen ins Internet wird die Grenzaufhebung zwischen Produktspezialisierung einerseits und zielgruppenorientierter Sortimentsvielfalt andererseits v.a. für das Stationärgeschäft immer bedeutsamer. Oder anders gesagt: An so manchem Standort ist der Umsatz ohne Veränderungen im Sortiment nicht mehr zu halten.

Wer sein Schwergewicht bei der klassischen Spielware hat, kann z.B. sein Spielesortiment ausbauen und damit durch Ausweitung und Vertiefung einer Warengruppe des Kernsortiments agieren. Die Kategorie Spiele und Puzzle hat nicht zuletzt durch die aktuell sehr große Beliebtheit analogen Spielens – vielleicht als Gegenbewegung zu einer hochrasanten digitalen Kommunikationswelt – eine hohe Marktbedeutung, an der der Händler durch Sortimentsvertiefung in Kombination mit attraktiver und kaufstimulierender Warendarbietung partizipieren kann.

Olaf Waldecker, Schreiben, Spiel & Schenken Mendig

„Ich richte unser Sortiment verstärkt an jungen Familien aus, weil – wenn ich diese gewinne – ich von Geburt bis Schulabschluss Geschenke, Spielwaren, Bücher und PBS anbieten kann. So binde ich mehrere Generationen an mein Geschäft. Ergänzendes Sortiment ist wichtig, weil auch die Mütter und Väter beim Einkauf für die Kinder auf ihre Kosten kommen sollen. Es sind vor allem persönliche Ansprache, Service, Freundlichkeit, Kinderansprache und Events, worüber ich versuche, die Kunden zu binden. So kann ich der Abwanderung ins Netz entgegengewirken.“

Sortimentsergänzung

Andererseits kann die Erschließung von neuem Umsatzpotential darin liegen, zwar branchenfremde, aber zielgruppen- und themenverwandte Sortimente aufzunehmen oder auszubauen. So kann die Sortimentsergänzung durch Bücher oder Bastelartikel genau die Kunden erreichen, die im Kontext von Geschenke- oder Kreativitätssuche unterwegs sind und durch eine gut sichtbare und ansprechende Präsentation zum Impulskauf bewegt werden. Auch wenn die Geburtstagskisten zum Standard eines Spielwarengeschäftes gehören, ist das Angebot an Partysortiment teilweise eher stiefmütterlich. Wer hätte gedacht, dass eine Heliumballonfüllung mal zum Top-Seller eines Spielwarengeschäftes werden kann?
Eine Sortimentsergänzung durch Kindertextiles ist eine Option, die je nach Größenstruktur die werdenden und jungen Mütter verstärkt wieder ins Geschäft zurückbringt, aber auch verfügbare Fläche und ein „Händchen“ im Einkauf beim Händler erfordert.
So gibt es rechts und links der Zielgruppen und Themen eine Vielzahl an Möglichkeiten, eine Sortimentskomposition zu finden, die den Kunden einen Anlass gibt, ins Geschäft zu kommen und Ware und Themen zu erleben.

Beatrix Rosenberg, Spielschiff Düsseldorf

„Für unsere Sortimentsausrichtung wird die Zielgruppe der Frauen/Mütter interessanter, weil sie sich gerne Zeit nehmen, Dinge zu entdecken und es begrüßen, wenn ihnen auch schöne Produkte in den Bereichen Deko- und Geschenkartikel angeboten werden. Insofern suchen wir auch vermehrt nach ergänzendem Sortiment, um den Kreis potenzieller Kunden zu vergrößern. Wir müssen den Kunden gute Gründe für den Einkauf im Facheinzelhandel bieten: interessantes Sortiment, gute Beratung und aufmerksamer Service gehören dazu: Vor allem über Beratung und das Einkaufserlebnis versuchen wir, die Kunden zu binden.“

Erlebnisfaktor Inszenierung

Hilfreich ist für die Zusammenstellung eines kuratierten Sortiments und die Maßnahmen zu seiner Darstellung in den verschiedenen On-und Offline-Werbekanälen eine Fokussierung zum einen auf Altersgruppen und zum anderen – mit zunehmender Bedeutung – auf Bedarfe und Anlässe, also auf Themen. Erfolg im stationären Abverkauf wird immer weniger über das Produkt an sich, sondern über seine Inszenierung im zielgruppengerechten Bedarfskontext erreicht. Die Tendenz dahinter: Bedarfskunden kaufen im Internet – Kunden, die Geschichten und Inszenierung suchen, kommen ins Geschäft.
An Stories und Anlässen mangelt es gerade dem Spielwarenhandel nicht: Babys oder Kleinkinds erste Erlebnisse, Lernenswertes für Vorschulkinder, Spiele für die Familienbande, Gedächtnistraining für’s Jungbleiben, Konstruktives für die Jungs, Outdoor für den Sommer sind Themenwelten, die mit Produkten gebaut werden können. Der Grund, Zeit und ggf. eine Autofahrt zu investieren, um in ein Geschäft zu kommen, liegt im „Erlebnisfaktor Ware + Darbietung“.

Fazit

Die Auseinandersetzung mit Zielgruppen war im Handel immer schon wichtig. Heute ist die Kundenzentrierung von gewichtigerer Bedeutung, da für die Kunden die Auswahl des Händlers, bei dem sie kaufen, durch das Angebot im Netz ungleich größer und bequemer geworden ist. Der stationäre Handel kann vor allem damit punkten, dass er sich in der Zusammenstellung seines Sortimentes durch Besonderes und sein Personal abhebt und den Kunden darüber Anlass gibt, das Geschäft aufzusuchen. Der Händler muss die speziellen Bedarfe und die Informationsquellen seiner Zielgruppe(n) dazu sehr viel genauer kennen, um kompetenter Gesprächspartner und für den Kunden im wahrsten Sinne des Wortes attraktiv zu sein. Daraus erwächst Kundenbindung, nicht aus einer aggressiven Preispolitik oder einem austauschbaren Sortiment.
Britta Meyer

Über die Autorin:
Britta Meyer ist seit 20 Jahren im Einzelhandel tätig. Seit 2010 ist sie selbständige Beraterin im mittelständischen Einzelhandel (Buchhandel, Spielwarenhandel, Babyfachhandel). Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen betriebswirtschaftlich orientierte Analysen und Steuerungsmechanismen. Außerdem moderiert sie mehrere ERFA-Gruppen im Verbundgruppenkontext. Sie ist assoziiertes Mitglied im Beratungsverbund der Konzeption GmbH und der Media-Partner GmbH.

Hier geht’s zur E-Paper-Variante (ab Seite 54)

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