Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Anselm Kiefer: Heute erhielt erstmals ein bildender Künstler den Preis

Anselm Kiefer nahm den
Friedenspreis in der Paulskirche
entgegen

Traditionell in der Frankfurter Paulskirche fand soeben die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels statt.

Unter den etwa 1000 geladenen Gästen begrüßte Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins, Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker, EU-Kommissar Ján Figel und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Frühere Friedenspreisträger wie Ernesto Cardenal (1980) und Karl Dedecius (1990) waren ebenfalls gekommen.

Seine Begrüßung begann Gottfried Honnefelder mit den Worten: „Es war die Macht des Buches, die den Börsenverein 1949 bewegte, zum Träger eines Friedenspreises des deutschen Buchhandels zu werden.“ Weiter heißt es: „Nur das Bekenntnis zum Buch als einem Träger von Sprache und Bild, das verbindet und versöhnt, konnte nach dem Krieg von Seiten des Börsenvereins die Antwort sein auf die Erfahrung von schmählichem Missbrauch und eigener Schuld“.

Zur fortschreitenden Digitalisierung mahnte Gottfried Honnefelder: „Wer aus kultureller Ignoranz und falschen wirtschaftlichen Rücksichtnahmen eine Politik verfolgt, der Piraterie digitaler Bücher freien Raum zu geben und der daraus erwachsenden Entwicklung ihren Lauf zu lassen, sollte die Folgen für eine Kultur bedenken, für die individuelle Kreativität und geistiges Eigentum unverzichtbare Eckpfeiler sind.“

Er bestätigte die diesjährige Wahl von Anselm Kiefer als eine glückliche, denn der Künstler spüre der ambivalenten Macht der Bilder, ihren Tiefen und Untiefen, ihrem Sinn und ihren Grenzen nach wie kaum ein anderer. Seine Kunst führe in das eigene menschliche Labyrinth und konfrontiert mit dem noch nicht Humanisierten unseres Wesens.

Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth würdigte den Preisträger Anselm Kiefer und den Laudator Werner Spies als mit Frankfurt verbundene Künstler. Kiefers Werke sind beispielsweise im Städel Museum ausgestellt.

In seiner Laudatio ging Werner Spies davon aus, „dass die Diskussion, die eine für manche überraschende Wahl ausgelöst hat, nicht allein für den Kunstbetrieb von Bedeutung sein wird. … Kiefers Auseinandersetzung mit Vergangenheit und eigener Zeit liefert einen Beitrag, der … mit dem zu tun hat, was den Rang des Friedenspreises … ausmacht: auf eklatante und lästige Weise gegen Vergessen und für Aufklärung zu kämpfen“.
Wo Anselm Kiefer seine Spuren hinterlassen hat, herrsche eine „unverwechselbare Stimmung, die die Bilder und die in ihnen abgespeicherten Wörter hervorbringen. Kiefer ist nicht nur ein ständiger, besessener Leser, der aus der Literatur Transfusionen in seine Arbeiten vornimmt.“ So gesehen gäbe es kaum einen Künstler, „der sich derart auffallende Weise für die sinnliche Existenz von Büchern einsetzt“, sagt Spies und verweist auf die gigantische Ansammlung von Bleibüchern in „Zweistromland“ (1985/89).

Zur Diskussion um die Vergabe des Preises an Anselm Kiefer erklärte Werner Spies, dass hier etwas zu Tage tritt, „was die Entwicklung der modernen Kunst lange unterdrückt hat: das natürliche und fruchtbare Eifersuchtsdrama zwischen Poesie und Malerei“.

Den Inhalt von Kiefers Werken charakterisiert der Laudator folgendermaßen: „Er provoziert, er zündelt mit Verbotenem und Verdrängten. Es gibt keinen anderen Künstler aus Deutschland, der sich auf derart sichtbare und riskante Weise der Geschichte zugewandt hätte.“

Anselm Kiefer bedankte sich für die Verleihung des Preises und erklärte: „Ich denke in Bildern. Dabei helfen mir Gedichte. Sie sind wie Bojen im Meer. Ich schwimme zu ihnen, von einer zur anderen; dazwischen, ohne sie, bin ich verloren“.
Auf die Paulskirche Bezug nehmend sagte er: „Wir sind hier in einem leeren Raum. Was einmal eine Kirche war … hat nur dieses Podium hinterlassen … dieser Raum ist ein Zylinder … ich empfinde ihn wie den Einstieg in ein Bergwerk.“ Beim Hinabsteigen in die Tiefe begegne man vielen Persönlichkeiten und sich selbst.

Zu seinen Werken erläuterte er: „Trümmer sind wie die Blüte einer Pflanze der strahlende Höhepunkt eines unentwegten Metabolismus, der Anfang einer Wiedergeburt. Und je länger man das Wiederauffüllen von leeren Räumen hinausschieben kann, desto vollständiger und intensiver kann die Vergangenheit hergestellt werden, die spiegelbildlich mit der Zukunft fortschreitet.“

Anselm Kiefer erinnerte an Worte von Ingeborg Bachmann, die schrieb: „Ich grenz, wie wenig auch, an alles immer mehr.“ Ganz besonders aber ist die Grenze zwischen Kunst und Leben, oft verschiebt sie sich. Doch ohne dies Grenze gibt es keine Kunst. Leben hinterlässt Spuren in der Kunst, „und das Kunstwerk ist umso interessanter, je mehr es gezeichnet ist vom Kampf um die Grenze zwischen Kunst und Leben“.

„Ich meine nicht, dass der Frieden jenseits der Menschen zu finden sei … aber in der Allianz mit etwas Größerem, ebenfalls noch nicht Erreichtem, Unerlöstem.
Der Mensch, sagt Rabbi Eleasar, ist ein Stück, an dessen Enden Gott und Satan ziehen und am Schluss ist dann freilich Gott der stärkere. Ich dagegen denke, dass der Ausgang offen bleibt.“ Mit diesen Worten beendete Anselm Kiefer seine Rede.

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