Der Messe-Mayer Zahlenrad, Krake Kohl und Helmut Paul

Liebe Freunde,

so sehr mich diese Messe martert, es ist unfasslich, wie schnell sie schon wieder fast vorbei ist. Fast. Den letzten der Fachtage habe ich im Lesezelt begonnen. Johanna Paungger, die bekannte Erfinderin der Mondkalenderausschlachtung, stellte bei GU ihre Bücher über das Tiroler Zahlenrad vor.

Das Zahlenrad ist eine Art Geburtsdatums-Sudoku-Horoskop, und die Tiroler Bergbauern haben’s erfunden, um der Kirche die Zunge herauszustrecken, und das finde ich ja dann doch wieder sympathisch.

Was allerdings nichts an meiner Skepsis ändert. Aber ich öffne mich gerne in journalistischer Haltungslosigkeit und stelle mein Geburtsdatum zur Verfügung. Frau Paungger zerlegt es rasch in seine Ziffern, die sie in einem Koordinatenkreuz verteilt, und dann liest sie in mir wie in einem offenen Buchhändler.

Stimmt aber nur bei Neumond

Ich sei wohl für die Medien tätig. Ich habe anscheinend einen besonderen Humor. Ich könne nicht sehr gut auf andere eingehen. Ich möge die Farbe grün. Und Donnerwetter: Das stimmt alles! Lauter Dinge, die man mir trotz meiner Kamera und meines Notizbuches, trotz meiner lustigen Zwischenrufe und trotz meiner grünen Krawatte und meines grünen Aktenkoffers nicht ansieht!

Sobald es das als App gibt, lege ich es mir zu.

Beeindruckt verlasse ich die Veranstaltung und laufe direkt Klaus Barski in die Arme, einem Selfmade-Millionär (und das meine ich so, wie es klingt) und Hobby-Autor, der die Chuzpe hat, von seiner Schreiberei nicht mal leben zu müssen. Er ist die Art Millionär, der in RTL-Reportagen gezeigt wird, damit das Prekariat sehen kann, was Millionäre so machen.

Und er trägt sein Buch in einem Leinensäckchen herum.

Ich weiß ja auch nicht.

Also, wenn Barski hier in den Gängen Bücher in Leinensäckchen herumträgt, gehe ich lieber wieder nach draußen. Vielleicht treffe ich ja da sympathische, bodenständige und vernünftige Menschen.

Vielleicht.

Wer war denn das? Und was guckt der mich so an? Also, Leute laufen hier herum…
Das kann auch Peter Hetzel bestätigen, der ständig vor Halle 3 herumlungert. Hier hat sich der kriminelle Wulf Dorn angeschlossen, und wie wir da so lungern, taucht auch Dora Heldt schon wieder auf.

Lothar de Maizière und Helmut Kohl

Überhaupt ist der Platz vor Halle 3 der allerbeste Platz zum Lungerleutetreffen. Nirgendwo sonst stehen so viele interessante und uninteressante Menschen herum wie vor Halle 3.

Außer Holger Ehling natürlich, der steht vor Halle 4.

Die Schweiz muss natürlich wieder mal aus der Reihe tanzen. Aber zurück zum Gipfeltreffen der Halle-3-Lungerer – Dora Heldt jedenfalls sagt mir ins Gesicht, dass ich mich dauernd an den Hetzel ranschmeiße. Hetzel grätscht gleich ein und behauptet freundlicherweise, dass er es sei, der sich an mich heranschmeiße, aber natürlich leugne ich meine Anbiederschaft in keiner Sekunde.

Nun muss ich aber los, denn ich habe bei riva einen Termin bei einer der angesehensten Berater-Instanzen der Welt, einer Kapazität auf allen Gebieten, ein Universalgelehrter und Verfechter klarer Ansagen:

Ich bin´s, Knut!

Lassen Sie sich von diesem Schaumgummikostüm nicht täuschen; da drinnen steckt tatsächlich die echte Krake Paul. Man wollte ihn erst in einem großen Becken präsentieren, aber die Messe schreibt ein gewisses Kontingent an würdelosen Schaumgummikostümen vor – daher dieser Aufzug.

Das merkwürdige an solchen Kostümen ist ihr anthropomorpher Effekt: Wir wissen zwar, dass da eine arme Sau drinsteckt, aber weil vorne ein Gesicht drauf ist, reden wir mit dem Kostüm und nicht mit seinem Träger.

(Also fast wie bei mir.)

Am Abschlusstag wird Paul dann zu Tre Torri gebracht, wo Ralf Frenzel ihn persönlich frittiert.

Der bloße Gedanke macht mich hungrig, und das will hier niemand. Ich begebe mich schleunigst zu Edition XXL, um dort meine auf Lebenszeit stehende Einladung zu Odenwälder Rindswurst wahrzunehmen. Stefan Richter hat mir sogar einen Tisch reserviert.

Noch nie hat mir jemand seine Geringschätzung liebevoller mitgeteilt.

Ich bin gerührt. Immerhin: Ich muss meinen Ruf nicht mehr entschuldigen. Mittlerweile entschuldigt er also mich.

Günstigerweise liegen meine Termine in Kongruenz zu meiner Menüabfolge, so dass ich nun einen tadellosen Espresso bei Suhrkamp zu mir nehme. „Tadellos“ heißt: Wunderbar gebrüht; die Jura-Maschine war eine richtige Investition, und die Bohne hat Bauch und Rauch.

Praktische Anwendung der Spiegelneuronen

Suhrkamp-Außendienstler Michael Geißler hatte diese Einladung schon letztes Jahr ausgesprochen, aber ich wollte erst warten, bis Suhrkamp eine gescheite Kaffeemaschine hat.

Geißler bezeichnet uns als Buchmesse-Aficionados. Wird es da nicht Zeit, dass Duden das in sein Fremdwörterlexikon aufnimmt? Eigentlich wird dieser Ausdruck ja eher für Zigarren und Stierkampf verwendet, aber wenn ich an die öffentlichen Besuchertage denke, scheint mir Stierkampf schon gleich weniger abseitig.

Wir plaudern noch ein wenig über Nobelpreise und wieviele Suhrkamp wohl schon bekommen haben mag. Wir versuchen durchzuzählen, scheitern aber bei sechs oder sieben. Einer wird sogar hier am Stand als Crackerschale benutzt.

Aber nun wird es ernst, denn Dr. Helmut Kohl kommt. Bzw. er kommt bald. So genau weiß es keiner, und bereits eine halbe Stunde vor Termin quillt der Gang vor dem Stand von Collection Rolf Heyne vor Journalisten über.

Wenn wir diesen Waldo nicht bald finden…

Auch vor Halle 3 kondensiert die Journaille, weil sie sich dort einen besseren Fotomoment erhofft als im engen Gang. Und nicht nur die, denn wartende Journalisten locken immer auch Zuschauer an:

Der Riva-Verlag wird mir helfen, Kohlwartezeit zu überbrücken

Kohl hat bei Collection Rolf Heyne eine prächtige Bildchronik über sein Leben herausgegeben. Das heißt, herausgegeben hat sie Kai Diekmann, Chefredakteur von Deutschlands berüchtigtster Maurerbibel, und der ist natürlich auch da. Und er liest sich sehr genau durch, wer ihn fotografiert.

Nämlich ich.

Gespannte Erwartung liegt in der Luft und ist geradezu spürbar. Alexander Stauch (sorry für das inzwischen korrigierte Name-Morphing) vom Marketing schleicht auf und ab, sogar Markus Heitz steht parat und sucht wahrscheinlich Stoff für sein nächstes Buch über Trolle.

Und da kommt Kohl. Der Versuch, diesem alten Mann vom Wagen in den Rollstuhl zu helfen, ohne dass die Presse sich auf dieses Bild der Hilflosigkeit einschießt, gelingt anhand geschickten Parkens zwischen den Limos und dank beflissenem Personenschutzpersonal.

Dafür fällt die Meute meiner Kollegen um so heftiger über ihn her, als sich der Rollstuhl endlich blicken lässt und den Weg zum Haupteingang nimmt. Diese bislang heftigste Erfahrung mit Ellenbogenpresse und Schubsjournaille meistere ich auch hier wieder mit meiner Kleinstkamera, die ich auf Selbstauslöser programmiere und dann einfach in die Luft werfe…

…und dann auch wieder auffange.

Da seine öffentlichen Auftritte selten sind, fallen die Spuren seiner Alterung leider um so erschreckender auf. Und trotzdem ist dieser Mann noch immer beeindruckend und groß. Ich erwarte jede Sekunde, dass er sich wie ein gewaltiger Transformer aus seinem Stuhl herausverwandelt, um die Berliner Mauer nochmal niederzurollen. Der Optimus Prime der Wiedervereinigung.

Allein dafür würde es sich glatt lohnen, sie nochmal aufzubauen.

Der Altkanzler verbleibt zwei Stunden am Stand von Anja Heyne, zu der er eine persönliche Verbundenheit pflegt, die diesen exklusiven Besuch bei einem vergleichsweise kleinen Verlag mit großem Stilbewusstsein auszeichnet.

Nach einem solch gewichtigen Termin bleibt nicht mehr viel Raum zur Steigerung, daher greife ich die Krönung zum Mister und zur Miss Bookfair auf. Am Stand von Murmann treffe ich nämlich endlich mal Nele Süß, die anscheinend doch eine real existierende Person ist und keine Scherz-SMS.

Nele Süß (links), ebenfalls süß (rechts)

Nele Süß wiederum bringt mich mit Michaela Naumann von everybody’s public zusammen, und wir alle gehen dann zur Miss- und Misterwahl.

So. Was ist Mister / Miss Bookfair?

Eigentlich nur eine Art uneheliches Schnapsideenkind von Twitter und Carsten Tergast und anderen Spielkindern und aber insgesamt ein erfrischendes Beispiel dafür, wie digitale Netzwerk-Auswüchse in die Wirklichkeit schwappen, ohne dabei an Irrelevanz zu verlieren.

Mein ehemaliger Mentor:
Schreibstube Tergast

Aus Tergasts völlig korrekter Unterstellung, dass man sich aus Eitelkeit für die Buchmesse wieder in Form bringen wolle, wurde ein Tweet, und daraus erwuchs eine ganze Kommentierlawine, und die erhärtete sich zur drolligen wie beherzten Missmisterwahl im Netz.

Diese Wahl dann tatsächlich mit einer Prämierung auf der Buchmesse reell zu machen, war dann nur noch ein kleiner Schritt, und so wurden heute die Sieger im Hot Spot Literatur und Special Interest tatsächlich gekrönt.

Als nächstes: Partei gründen oder Sekte?

Ich gratuliere der Social-Media-Füchsin Wibke Ladwig und dem Antiquar aus Leidenschaft Philipp Weinbrenner. Besonders an Weinbrenners Krönung lässt sich dankenswerterweise ablesen, dass die Verbundenheit zur Buchbranche ein innerer Wert bleibt.

Zur Initiation verpasst König Weinbrenner seiner First Lady erst mal die Watschn ihres Lebens.

High Face(book) statt High Five

Und das ist ein schöner Abschluss für diesen Freitag. Wie komme ich denn vom Hot Spot aus zur S-Bahn-Station? Ich weiß es nicht und ziehe es vor, mich zu verlaufen. Haben Sie schon mal Halle 10 betreten? Ich wusste bisher gar nicht, dass es die gibt.

Der Bau des Todessternes kommt rasch voran.

Aber Halle 10 liegt immerhin in unmittelbarer Nähe zu Halle 8, wo ich Einsicht nehmen kann in den größten Atlas der Welt. (Halle 8 heißt so, weil man 8 km laufen muss, bis man sie von den echten Messehallen aus erreicht hat.) Ich weiß nicht, welchen Maßstab er hat, aber um auf einer Europakarte alle Regionalstationen der Strecke Frankfurt – Fulda finden zu können, kann er nicht höher als 1:70.000 sein.

Ich will doch nur heim.

Das wäre mal ein schönes Geschenk für diese völlig geographielosen Luftpumpen, die in meinem Buchladen immer nach Fahrradkarten von München nach Rügen fragen und dann noch empört sind, wenn ich dann nicht eine, sondern fünf Karten anrate, die man nebeneinanderlegen müsste.
Dafür hätte ich nun endlich eine Lösung anzubieten: Alles in einem Blatt.

gibt es das Format nicht bald bei Bikeline?

Ob zu Fuß, per Rad, per Bahn oder durch Eurasien: Kommen Sie gut heim und zittern Sie mit mir vor den Besuchertagen.

Ihr Matthias Mayer

herrmayer@hotmail.com

www.herrmayer.com

Berühmte Schein-Argentinier, Teil 4:

Giaconda Belli (Nicaragua)
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