Der Messe-Mayer Leipzig 2018: Tag 2 von 5, Donnerstag Tag 2 von 5: Ich danke Dir für Deine Phonetik.

 

Liebe Freunde,

 

jawohl, ich muss mich korrigieren: Leipzig hat einen Oberbürgermeister und viele kleine Unterbürgermeister. Frau Dr. Skadi Jennicke ist nicht die Bürgermeisterin, sondern die Kulturbürgermeisterin.

(Aber der Rest, das mit der Jagd und dem Winter, das stimmte.)

(Odin steh mir bei.)

 

Herzlich willkommen zur Leipziger Buchmesse 2018! Ich glaube, das sagte ich gestern schon, also heute. Aber im Grunde heiße ich Sie gerne täglich willkommen, so sehr gefällt es mir hier.

Das findet auch Ed Mainzel.

 

 

Der Harald Schmidt unter den Mainzelmännchen

 

Die Messe startet aus dem Stand gleich voll durch, politische Podiumsgespräche, Stärkung der unabhängigen Verlage, Mayer wanzt sich an die Messegesichter heran, von allem das Beste.

 

Sie wissen schon, die halbjährliche Dosis Dora Heldt

 

Auch darf ich heute mein erstes Interview präsentieren, und dann war ich auf der Verleihung des Leipziger Messepreises (weil ich musste) – also wieder einmal Leipzigmesse von ihrer Schokoladenseite. Und dies war mein Donnerstag.

 

Wichtige Veranstaltungen

Wichtige Veranstaltung Nummer Eins:

MVB-CEO Roland Schild führt die neue Bestsellerliste der Unabhängigen Verlage ein! Konzernbereinigt rutschte plötzlich Kein & Aber mit der Taschenbuchausgabe von Robert Seethalers Der Trafikant auf Platz Eins. Verleger Peter Haag bekam die gerahmte Bestsellerliste, das Blumenbouqet und den Champagner!

 

Und der Buchhandel bekommt eine weitere Bestsellerliste – Win Win.

 

 

Wichtige Veranstaltung Nummer Zwei:

Börsenblatt-Chefredakteur Dr. Torsten Casimir führt ein Podiumsgespräch mit drei politischen Buchhändlerinnen und Buchhändlern, darunter auch die unlinke Buchhändlerin Susanne „Hört, hört“ Dagen. Die Frage, ob (und wie) der Buchhandel politisch sei, hat viele Menschen interessiert. Und dennoch verlief alles friedlich!

 

Zumindest, als ich noch da war.

 

Muss man als politischer Buchhändler auch Sarrazin im Sortiment haben? Nun, doch zumindest als Bückware, löst Manfred Keiper das Problem sehr elegant.

 

 

Manfred Keiper (guckt wie Stephen King), Susanne Dagen (lässt sich total gut googeln), Michael Lemling (guckt lieb) und Dr. Casimir (Hallo Spencer).

 

Leider hatte ich aber einen Termin beim Arzt, so dass ich zeitig weiter musste.

 

Nur Hocker für die Patienten, aber gute Medizin: der Buchdoktor aus den Niederlanden.

 

 

Apropos Buchdoktor: Wir gratulieren Lorenz Borsche von der eBuch zu seinem ersten Buch!  Es heißt: Bomben sind nicht süß. Nein, warten Sie, es heißt:

 

Genau, so heißt es.

 

Der Slogan der eBuch wird dahingehend auch ein wenig überarbeitet:

„Wir lieben Bücher, aber bei Zucker sehen wir inzwischen etwas genauer hin.“

 

 

 

Mein erstes von vier Messe-Interviews

 

Beim Rowohlt-Verlag hatte ich auf ein Interview mit der weltbekannten Erfolgsautorin Jojo Moyes gehofft, weil ich so gerne Liebes- und Schicksalsromane lese, aber das war aussichtslos.

Stattdessen tröstete man mich mit Dennis Gastmann: Womöglich kennen Sie sein Buch Atlas der unentdeckten Länder, oder womöglich erinnern Sie sich an seine legendären Interviews, die alle mit „Hallo, ich bin Dennis“ begannen. Und nun hat er einen Bestseller, der bei Amazon schon sechs Rezensionen hat! In Der vorletzte Samurai beschreibt er das Land Japan und seine Menschen aus der Perspektive des eingeheirateten, elenden Gaijin.

 

Dennis Gastmann: Die Japaner halten ihn für Michael J. Fox

 

 

 

BuchMarkt: Sie sind also dieser „Hallo, ich bin Dennis.“

Dennis Gastmann: Oh, meine Zeit als Guerilla-Korrespondent des Öffentlich-Rechtlichen – das ist aber nun schon länger her. Nun, heute bin ich also Ihr Ersatz für Jojo Moyes.

Oh nein, das hat man Ihnen erzählt? Wie peinlich.

Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Vor einigen Jahren war ich einmal Ersatz für Helge Timmerberg und hatte Sorge, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Ich verehre Timmerberg sehr. Er ist mein Guru.

Jojo Moyes ist halt erst mal ein Name, der was hermacht. Deshalb hatte ich sie angefragt. Dennis Gastmann klingt aber auch sehr gut.

Es soll ja ein großes Mysterium sein, wie Jojo Moyes ausgesprochen wird.

Ich denke, man muss ihren Namen amerikanisch-englisch aussprechen: „Joe-Joe“ Moyes.

Aber vorhin sagten sie noch „Jo-Jo“.

Vermutlich, weil „Moyes“ ein wenig niederländisch klingt. Vielleicht sollte man den ganzen Namen komplett rudicarellisieren: Schouschou Moysh?

Darauf können wir uns einigen.Ich habe übrigens nicht nur dieses Interview, sondern auch einen Blumenstrauß von Jojo Moyes geerbt. Sie ist bereits wieder auf dem Weg nach Essex und konnte ihn nicht mitnehmen. Ich hoffe, meine Gattin freut sich über die Moyes-Tulpen.

Natsumi, ihre Ehefrau, stammt aus der Linie eines furchtlosen japanischen Kriegers. Sie sind „Der vorletzte Samurai“, weil Sie in ein japanisches Samuraigeschlecht eingeheiratet haben. Was stellen die Japaner mit Wörtern aus unserer Sprache an?

Oh, das ist zauberhaft. Ich kann Abende damit verbringen, meiner Frau westliche Begriffe zuzuwerfen. Aus „Gastmann“ wird dann „Gasutomang“, aus Restaurant wird „Lesutolang“ und aus Schweinsteiger wird „Schuainschutaiga“. Ich will mich nicht lustig machen, Japaner ironisieren diese Art der Aussprache selbst, vor allem in Fernsehshows. Ähnlich bizarr muss es klingen, wenn ich versuche, Japanisch zu sprechen.

Als Sie in Japan nach Cosplayern suchte, machten Sie alle verlegen, weil das bereits total out und passé war. Was denken Sie, wenn Sie hier in Leipzig im Mekka der Cosplayer ankommen?

Das sollten wir all den Elfen und Waldläufern auf der Messe besser nicht erzählen. Als ich auf der berühmten Brücke von Harajuku nach Cosplayern gefragt habe, lachten die Japaner überrascht: „Die treffen sich seit Jahren nicht mehr!“, hieß es, „Spielt Cosplay in Ihrer Heimat etwa noch eine Rolle?“

Japaner werden immer so bizarr dargestellt, oder besser, das Bizarre an den Japanern wird immer so besonders herausgestellt. Wäre es nicht einmal interessant, etwas über den normalen, den langweiligen Japaner zu schreiben?

Tatsächlich ist mein Buch eine Schrift wider die Klischees. „Ihr Autoren beschreibt uns immer wie Schimpansen“, hatte mir Natsumi auf unserer Abenteuerreise durch Japan gesagt, „Wie Affen im Zoo. Ihr seht etwas, dass Ihr Euch nicht erklären könnt, und dann erklärt Ihr alle Japaner für verrückt.“ Vermutlich hat sie recht. Japan ist ein Land der Regeln und der Rituale, und manchmal braucht man ein Ventil. Die Leute wissen, dass sie ihre Welt nicht verändern können, also verändern sie sich selbst.

Ihre Frau hat Ihnen erlaubt, über Ihr beider Leben zu schreiben?

Ja, aber sie war mein strengster Leser. Der Verlag war längst zufrieden, da hat sie sich noch immer mit dem Rotstift durch mein Manuskript gearbeitet. Sie schrieb, ganz charmant, an den Rand: „Irrelevant, streichen!“. Oder besonders freundlich: „Völlig lieblose Beschreibung dieser Szene. Das kannst Du besser!“. Und wieder hatte sie recht. Meine Frau hat immer recht. Das ist wohl eine Erfahrung, die jeder Mann einmal machen muss.

Sie sind Reisejournalist. Ich glaube, Herrmann Hesse hat mal gesagt, dass Menschen in die Ferne reisen, obwohl sie die Wege vor ihrer Haustür nicht kennen. Obwohl, das klingt mehr nach Hermann Löns…

Ich kontere mit Alexander von Humboldt: Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.

Vielen Dank für dieses Gespräch!

 

 

Sehr lesenswert, sehr lustig!

 

 

Meine Leuteschnappschüsse von heute

Man könnte diesen Teil auch die Doraheldtiade nennen: Fotos von Leuten, die ich gerne mag.

Da ist zum Beispiel dieser alte Schmäh Lojze Wieser, bekannt aus der ORF-Reihe Der Geschmack Europas, und der bringt auf jede Messe eine Keule mit. Und das ist aber sowas von dermaßen lecker! Frisch gesäbelt, nussig, aromatisch, zartestes Fett!

 

Also wenn das Europa ist – dann gerne mehr davon!

 

Ich weiß, was Sie jetzt denken: Herrn Wiesers Keule ist kein sehr origineller Beitrag im Messe-Mayer, jedes halbe Jahr diese olle Keule da!

Aber so ist der Deal: Ich esse sie, ich zeige sie. So.

 

Und das noch obendrauf.

 

Und außerdem ist es immer wieder sehenswert, wie Messegänger erschrecken, wenn sie plötzlich vor einem Bein von einem Schwein stehen und das große Messer (und den großen Österreicher) sehen. Zudem hat Vegetarier-Entsetzen für uns Fleischfresser einen hohen Unterhaltungswert.

 

Nur ein satter Bauch hat Lust zu lesen, sagt Lojze Wieser.

 

 

Tja, da staunt die Generation Smartfon.

 

 

Hier begegnen sich MairDumont und BuchMarkt:

Uta Niederstraßer wird von mir unter den Tisch gezerrt

 

 

 

Ursula Rosengart, GABAL, wird kurzerhand mitgeselft (sagt man das so?)

 

 

Ich traue diesem Leander Wattig einfach nicht über den Weg. Diese einhundert Prozent Zuversicht, die er immer ausstrahlt, kenne ich sonst nur von Bond-Schurken.

Hoffentlich kommt er zu meiner Whiskyrunde am Freitag!

 

 

Auf der Suche nach Waverley Scotland –  die haben angeblich Notizbücher aus echtem Schottenrock – stolpere ich geradezu über diesen Mann, einen freundlichen, deutschen, älteren Herrn mit schönen Polaroids von 1984:

 

Otto Grokenberger

 

Genau, Grokenberger. Wie „Helmut Grokenberger“, der Taxifahrer, der in Jim Jarmuschs Night on Earth von Armin Mueller-Stahl gespielt wird und nur deshalb so heißt, weil Jarmusch einen Scherz über seinen Produzenten einbauen wollte, der, wie im Nachspann stand, Otto Grokenberger hieß. Und wie mir all das einfällt (wie, sowas wissen Sie nicht?), erkenne ich auch John Lurie, damaligen Dauerdarsteller bei Jarmusch in Herrn Grokenbergers Polaroids.

 

Also DER Otto Grokenberger?

 

Wen man nicht alles trifft. Am Stand von Waverly Scotland treffe ich Otto Grokenberger, den Produzenten der besten Filme von Jim Jarmusch.

Und nicht nur den, sondern auch den Goliath unter den Fotografieverlagen:

 

 

also den Goliath-Verlag

 

Herrje, Helmut Grokenberger, nackte Frauen mit gespreizten Beinen – dabei wollte ich doch nur Notizbücher aus echtem Schottenrock sehen!

 

Nicht Helmut Grokenberger. Otto.

 

Ich erhole mich von diesen aufregenden Kontakten bei einer Person, die stets die Ruhe selbst ist: Droemer-Knaur-Schachtelteufel und VM-Geschäftsführer Bernhard Fetsch.

 

Ich wüsste niemanden, der hilfsbereiter, entgegenkommender und dabei auch noch doppelt so schnell ist.

 

 

Und seit sich der magische Frankfurter Kaiserstraßenverleger Klaus Schöffling mal beschwert hat, dass er noch nie im Messe-Mayer war, baue ich ihn immer wieder ungefragt ein.

 

Selbst wenn er es gar nicht merkt.

 

Genau so läuft das hier.

 

 

Preis der Leipziger Buchmesse 2018

Der Preis der Leipziger Buchmesse ist eine, wenn nicht die zentrale Preisverleihung dieser Messe, und sie findet mit einigem Aufwand in der Glashalle vor zehntausenden, wenn nicht hunderten von Zuschauern statt.

Mit Nominierungen, Ausschnitten, Einspielern, Dankesreden, Umschlägen und Livekamera wird ein ganz klein wenig Oscarflair erzeugt, und prämiert werden die Kategorien Sachbuch, Roman und Übersetzung, und all das ist tatsächlich nicht ein einziges bisschen unterhaltsam!

Aber kulturpolitisch ist es doch von einiger Strahlkraft, und weil die schnellste Redaktion der Welt die Sieger sofort reingesimst haben will, muss einer von uns auf diese Preisverleihung.

Und das bin diesmal ich.

 

Super, die besten vierhundert Plätze sind bereits reserviert

 

 

Und erst den allerletzten kriegt Oliver Zille.

 

 

 

Aber am lustigsten ist der Blick dieser Kollegin, als ich Zilles Stuhl fotografiere. Dabei habe ich doch heute noch gar keine Öhrchen an.

 

 

Clever: Die Anzeigentafel zeigt nicht die Uhrzeit, sondern zählt einen Countdown herunter, um die Spannung zu steigern.

 

Und dann muss man auch pünktlich anfangen.

 

 

Bei so einem imposant-professionellen Kamerakran über der Menschenmenge denke ich immer:

Und der fällt auch gewiss niemandem auf den Kopf?

 

Und wen treffe ich bei der Preisverleihung?

Von rechts nach links die Journalistenkollegin Petra Samani, den Verlagsbuchhändler Dinu Popa und…?

…und schon wieder Otto Grokenberger.

 

 

Hier sehen Sie das Ausmaß der Echtzeit-Live-Professionalität:

Der große und der kleine Karl Schlögel und die Kulturbürgermeisterin Skadi.

 

Schönster Dankessatz: Übersetzer Juri Durkot sagte zu seiner Kollegin Sabine Stöhr: „Ich danke Dir für Deine Phonetik.“ Ein Kompliment, das viel zu selten ausgesprochen wird.

Nach der Preisverleihung werden die Gewinner (und sicher auch die Verlierer) sofort in alle Interviewkanäle weiterverwertet. Beim Rausgehen sehe ich die Preisträger jener Veranstaltung, die ich gerade selber erst verlasse, bereits auf dem Blauen Sofa beim ZDF sitzen.

 

Und sogar schon wieder weggehen: Preisträger Juri Durkot und Sabine Stöhr beim Speed-Couching

 

 

Preisträgerin Esther Kinsky rückt sofort nach

 

Verblüffend:

Messepreisträgerlayout orientiert sich am Farbcode von Bestsellern!

 

 

Lesen Sie hierzu auch gerne auch unsere seriöse und vollständige Meldung aus der echten Redaktion.

 

Ach so, und ich soll nochmal alle Preisträger zusammen abbilden:

 

Gerne, da sind sie.

 

 

So, und jetzt kann ich hoffentlich nach Hause gehen.

Das war mein Donnerstag.

 

Zum Geleit

Ein schönes Abschlussfoto bildet die Spätversorgung bei Random House:

 

Eigentlich sind es zwei Kästen, aber ich war nicht schnell genug

 

Und dieses schöne Motiv hier, das einen auch nach dem Verlassen der Hallen dazu bewegt, doch noch mal seine Kamera herauszukramen:

 

Zuviel Lens Flare nagt an der Glaubwürdigkeit.

 

Ich freue mich sehr auf den morgigen Freitag, es erwarten mich mein Frühstückstermin bei BLV, unvorhergesehener Standdienst am Mittag und das nächste Interview.

Einen guten Messefreitag wünscht

Ihr Matthias Mayer

 

Berühmte Rumänen, die Sie nicht auf dem Schirm hatten, Teil 2 von 5:

Alexandra Maria Lara

 

 

 

 

 

www.herrmayer.com

herrmayer@hotmail.com

 

 

Kommentare (4)
  1. Lieber Ohrenmann,
    du hattest heute keine Ohren an.
    Wir haben dich trotzdem erkannt!
    Erwarten dich morgen an unserem Stand.

    Herzlichst,
    die eiermalenden Damen von C208 (H. 4)

  2. Zwischen Deutung und Geschäft

    Wer die Stufen zu den Messehallen in Leipzig hinaufstieg, konnte es step by step und weiß auf schwarz lesen: „Für das Wort und die Freiheit“, Hashtag darf nicht fehlen: #FreeTheWords
    Und natürlich für Offenheit, Vielfalt und Austausch. So ein Buchmessenmotto kann Kopfweh machen: erhebend, aufrüttelnd, diskursiv, richtungsweisend und einfach gescheit soll es sein! Die Leipziger Wahl war letztlich nicht allzu schwierig, weil aufgelegt. Wort und Freiheit haben Konjunktur, weisen multiple Bezüge auf und sind rutschfest eingepasst in die aktuelle gesellschaftliche und politische Gemengelage von Sorge, Streit, Deutungshoheitskampf und selbstverordneter Zuversicht – konkret dann vor Ort mit Vorträgen, Diskussionen, Pressekonferenzen, Streitgesprächen, Lesungen und und und.

    Praktischen Nutzen muss eine Buchmesse natürlich auch aufweisen als Bedeutungsspender für Leser: Cutting-Edge-Intellektuelle, Comic-Schlinger, Spannungs-Junkies und Zweikäsehoch-Bilderbucheinspeichler vereint im bunten Treiben. Die Bedeutung muss dann auch noch auf die Messe selber abstrahlen, muss sie doch in den Folgejahren wieder wirtschaftlich gesund gestaged werden. Wort und Wert, Emotion und Geldbörserl, Überlebensmittel und Lebensunterhalt – die Dualität von Idee und Endsumme ist allgegenwärtig. Die Inszenierung behübscht das geschäftige Geschehen mit Geist, Toleranz und Giveaway-Gimmicks. Diskurs- und Marketingdurchlauferhitzer, eine Messe muss sich nicht jedes Jahr neu erfinden.

    Dem Preis der Leipziger Buchmesse täte gerade das aber gut. Denn dieser wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen, unsexy, nicht eventig, nicht anti-eventig, bemüht, bildungsbürgerlich, bisschen lieblos, Dienst nach selbstgewählter Vorschrift – gäbe es nicht das eine oder andere Filmchen auf der Videowall, das hätte alles vor 40 Jahren genauso stattfinden können.

    Da saß sie nun die Preisjury, vier Frauen und drei Männer, ein wenig wie am Pinguinfelsen, besser wie ein um zwei Substitute angereicherter Big Band-Saxophonsatz mit ihren Buchmesse-gebrandeten (Noten)Pulten. Die Juryvorsitzende exemplifizierte die Komplexität des Literaturbetriebs, einzelne Jurymitglieder lasen Buchbesprechungen vor. Das bei den Preisenthüllungen gerade noch ausreichend applaudierende Branchenpublikum schafft es, sich auf den Sesseln zu halten, hinter dem Absperrband dann das gemeine Volk – aber da stehen eigentlich gar nicht viele.

    Dank überall: Die Juryvorsitzende dankt der Jury, die Autor_innen danken den Verlagen und ihren Helfern, der Messedirektor dankt der Jury und beglückwünscht die Gewinner. Das Publikum dankt fürs Ende der „Show“. Die danach Bewirteten danken für die Erfrischungen usw. ¬– Abschlussfoto, Klappe. Haben die Gewinner ihre Redezeit genützt, um das Motto der Messe zu befeuern und mit der geschliffenen Klinge des gesprochenen Wortes Kommentare bzw. Forderungen zu brancheninternen oder gesamtgesellschaftlichen Phänomenen abzugegeben? Fehlanzeige.

    Sehr fein allerdings die Printpublikation: „Die Jury hat entschieden – Die Nominierten“. Hier kann man in Ruhe alles über die vor den Vorhang geholten Bücher und Autor_innen/Übersetzer_innen inklusive Leseproben nachschlagen, die jeweilige Presseansprechpartner sind ebenfalls genannt.

    Sonst soweit alles stabil auf der Messe und in der Stadt: Ab Samstag mangat es heftig in der Glashalle, attraktives Fotofutter für die diversen Kanäle. Und die Anreise zur Messe immer wieder eine Challenge, wenn 3.000 Leute in die 16er Straßenbahn drängen und keine Nachfolgerin in Sicht. Aber viel schwieriger war die Heimfahrt. Da wurden die Züge bzw. der Leipziger Hauptbahnhof zum unfreiwilligen Zuhause.

    Donnerstags hatte man den Eindruck deutlich niedrigerer Besucherfrequenz als üblich und sah insgesamt eine lockerere Hallenbespielung mit teilweise weiter von den Wänden abgerückten schwarzen Trennvorhängen, die Ausstellerzahlen deuten allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Die Themen-, Lese- und Infoinseln meanderten auf dem gesamten Areal, und die Attraktivität fürs Nicht-Branchenpublikum scheint ungebrochen. Beim Publishing- und Dienstleistungsbereich ist man über die übliche Teilmenge der Frankfurtfachbesucher vor Ort ja nicht mehr erstaunt. Den Rest wuppen wir dann wieder am Main.

    So hatte sich die Branche zwischen Links-Rechts-Orientierungslauf und Toleranzdurchhalteparolen angenehm wenig selbstbespiegelt und die eigene Rolle einfach einmal bis zum nächsten Messeclash unverändert fortgeschrieben: als Bücher erschaffender Zauberlehrling mit industrieller Buchproduktion und Programmplatzbewirtschaftung im Hamsterrad. Die Messe bot vielfältige Impulse zum Mitradeln oder zum Verlassen des Käfigs.

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