Beckmann kommtiert Martin Schulz: Die wichtige politische Paulskirchen-Rede des Buchhändlers und EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz muss endlich registriert und aufgearbeitet werden

Jaron Laniers Auftritt zum Abschluss der Buchmesse hat, Gott sei Dank, die verdiente große Beachtung gefunden. Dagegen ist Martin Schulz als Laudator auf den diesjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels in den Medien so gut wie untergegangen – weil die Berichterstatter und Kommentatoren in seiner Rede offenbar etwas überhört oder nicht verstanden haben. Weil es sich dabei aber um etwas sehr Wichtiges handelt, soll es hier ausdrücklich zur Sprache gebracht werden, damit es nicht in Vergessenheit gerät.

Also gut: Bei Preisverleihungen ist es mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme, dass sich der Laudator so brillant und ehrenhaft laut in Szene setzt, dass der Mensch, der eigentlich geehrt werden soll, eher wie ein Statist wirkt, den es nun mal braucht, damit der Lorbeerkranz dann auch einen Ständer hat. Für die Medien sind solch blendende Preisredner dann natürlich ein gefundenes Fressen –je prominenter sie sind, desto besser.

Bei Jaron Lanier nun geht es um hohe und höchste Kultur- und Technologiekritik. – wäre dafür nicht, aus der Perspektive von Fernsehen und Rundfunk sowie meinungsbildenden Printmedien, ein Star aus den obersten Geistessphären als Laudator vonnöten gewesen, der hehre Zitate für immer neuer Mediendebatten liefert?

Martin Schulz hat es nicht getan. Man hat seine Rede als (zu) wenig „originell“, als gerade mal – das Allermindeste, was geboten gewesen wäre – für „solide“ befunden, also intellektuell und rhetorisch für eher dürftig. Weil er, behaupte ich, an völlig falschen, eben den weithin üblichen Preisrede-Maßstäben gemessen wurde. Oder sollte sich da gar ein snobistisch herabmindernder Ton in der Medienwahrnehmung eingenistet haben – weil Martin Schulz von Beruf (nur) Buchhändler ist und (auch bloß) ein kleiner selbstständiger Sortimenter in der Provinz war? (Das wäre allerdings eine dumme Unterstellung: Bei einer kleinen privaten Umfrage haben nicht einmal gestandene Verlagsvertriebsleute gewusst, was über Martin Schulz diesbezüglich schon bei Wikipedia steht.)

Nun ist es freilich (nur) gut, dass Martin Schulz Buchhändler ist. (Er lebt privat auch noch immer in dem Ort am Niederrhein, wo er die eigene Buchhandlung aufbaute und führte, bis er sie 1994 verkaufte.) Denn somit hat er eine ganz konkrete persönliche Vorstellung von den kulturellen; sozialen und ökonomischen Umwälzungen, die das Internet gerade hier hervorruft und in der Herausforderung an Gegenkräften erfordert. Er hat eine solide Rede gehalten, weil er ein solides Wissen von den Dingen hat, um die es Jaron Lanier geht.

Was zur Bewertung seiner Rede vom 12. Oktober aber sogleich und unbedingt allen hätte präsent sein müssen, ist die Tatsache, dass dieser Präsident des EU-Parlaments sich kurz zuvor als ein hellwacher und entschiedener Kämpfer für Demokratie auf unserem Kontinent bewiesen hatte. Auf dieser Linie hat er sich auch in der Frankfurter Paulskirche engagiert.

Er ist der erste, und bisher einzige führende europäische Politiker, der klar und solide erklärt hat, dass mit den Totalitätsansprüchen der real existierenden, praktizierten Internet- Technologie Demokratie nicht möglich sein wird. Er hat, mit anderen Worten, klipp und klar gemacht, dass diese Technologie so in demokratischen Ländern und Staaten keinen Platz haben kann – egal, “was Netzpolitiker oder Netzaktivisten sagen“.

Dass der Präsident des Europäischen Parlaments, ein Buchhändler, anlässlich der Verleihung des Friedenspreises an einen Internet-Kritiker eine so radikale hochpolitische Erklärung abgibt, hätte als Nachricht in die Tagesschau gehört und ein Thema für Günter Jauch sein müssen.

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