ARCHIV Günter G. Rodewald über das Potenzial des Hörbuchs für den spanischen Markt

Hört, hört! Bald auch auf Spanisch?

Dieser Tage ist auf Einladung von ADAL, der spanischen Vereinigung der Literarischen Agenturen [mehr…], Rita Bollig von Lübbe Audio in Barcelona zu Gast. Der Anlass ihres Besuches wird ein Referat sein, das sie vor den Mitgliedern des Verbandes über die kulturelle und ökonomische Entwicklung des Hörbuchs auf dem deutschen Markt halten wird.

Denn ähnlich, wie es lange in der deutschen Verlagslandschaft Realität war, stößt dieses Medium in Spanien noch auf sehr viele Vorbehalte, auch wenn sich an verschiedenen Stellen erste, aber eher schüchterne verlegerische Initiativen zu rühren scheinen.

Um eines Tages nicht von einem ähnlich fulminanten Aufstieg des akustischen Buches in Spanien überrascht zu werden, schien es der ADAL nötig und ratsam, mehr über die Hintergründe dieses Phänomens in Deutschland zu erfahren und sich darüber hinaus mit den technischen Aspekten der Produktion, den Vertriebswegen, den Absatzmärkten sowie den vertraglichen Gesichtspunkten auseinander zu setzen.

Sehr spannend wird sicher auch sein, die Rolle und die Möglichkeiten kennen zu lernen, die das Hörbuch bei der Aufgabe leisten kann, neue Lesergruppen zu gewinnen, etablierte zu halten und letztere sogar neu zu motivieren.

Vielen der spanischen Agenten ist der erfreuliche Werdegang und seine aktuelle sichere Stellung in der deutschen Verlagsszene weitgehend unbekannt, so schien der ADAL eine Person wie Rita Bollig mit ihrem doppelten Erfahrungshintergrund – lange Jahre erfolgreich in der Auslands-Lizenzabteilung der Verlagsgruppe Lübbe und seit zwei Jahren in verantwortlicher Stellung bei Lübbe Audio – die ideale Besetzung zu sein, diese Erfolgsstory vorzutragen und zu erzählen.

Ganz besonders interessant wird es sein, von der stimulativen Rolle etwas zu erfahren, die das Audiobook bei der Gewinnung neuer Lesergruppen finden könnte, besteht doch in diesem Land ein ungeheurer Nachholbedarf. Diese Bedeutung wird veranschaulicht durch die Wachstumsraten, die das Hörbuch gerade für Kinder auf dem deutschen Markt erzielt.

Ganz sicher sind da große Potenziale zu entdecken, selbstverständlich alles unter der Voraussetzung, dass das Medium attraktiv und lustbetont in den Markt eingeführt wird und sich in relativ kurzer Zeit integrieren kann. Und immer unter Berücksichtigung der speziellen Bedingungen, aber auch besonderen Möglichkeiten, die der spanische Markt anbieten kann. Der Versuch einer 1:1-Umsetzung wäre unweigerlich zum Scheitern verurteilt.

Vielleicht können gerade die Agenten eine stimulierende Rolle dabei spielen, den für Neuerungen immer eher schwer zugänglichen spanischen Verlegern Mut zu machen, sie auf Ideen bringen, auf dieses akustische Pferd zu setzen.

Gute gesellschaftliche Voraussetzungen für einen Erfolg in Spanien scheinen gegeben: Gerade in den Ballungsgebieten der großen Städte, wie Madrid, Barcelona, Bilbao oder Sevilla verbringen viele potenzielle Hörer/Leser beim Weg zur Arbeit und Ausbildung viel Zeit in ihren Autos, damit in Staus, ebenso in Metros und durch technische Pannen oft genug in festsitzenden Vorortzügen.

Die spanische Motorisierung ist auf sehr hohem Standard und der Bestand erneuert sich oft; so sind die Automobile in der Regel medial bestens ausgestattet. In kaum einem europäischen Land verkaufen sich so viele MP3/4-Player, ganz vorne liegt natürlich auch hier der iPod.

Gar nicht unterschätzt werden sollte ein psychologischer Aspekt: In keinem Land der Welt wird so viel und so gerne gespielt wie in Spanien, und eben gerade an und mit technischem Spielzeug. Eine der jüngsten Erfolgsgeschichten, die diesen Spieltrieb vortrefflich nutzen konnten, sind die neuen Wegwerfkaffeeautomaten der Marke Nespresso.

Vor einem Jahr kannte man sie hier kaum, im vergangenen Weihnachtsgeschäft waren sie der alles überragende Renner. Vor allem das spielerische Element an diesen Maschinen ist das Entscheidende für den Erfolg gewesen, denn bislang war man in spanischen Haushalten bestens in der Lage, einen wohlschmeckenden Kaffee auch ohne ein von George Clooney beworbenes Patent zu brauen.

Die Präsenz und Versorgung durch den klassischen Buchhandel ist in Spanien gerade in kleineren Städten und generell in der Provinz nach wie vor unterentwickelt. So spielen Zeitungskioske und Supermärkte beim Umsatz von Büchern eine um so wichtigere Rolle. In steigender Tendenz kommt der Kauf im Internet dazu.

Da der spanische Konsument durchschnittlich häufig, gerne und überraschend ausdauernd große Einkaufszentren besucht und nutzt, den hiesigen Tankstellen immer häufiger attraktive und bunt sortierte, 24 Stunden geöffnete Supermärkte angegliedert werden, die ebenso intensiv frequentiert werden, wäre es eine grobe Unterlassung, diese Art der Umsatzplätze bei der Entwicklung einer sinnvollen Verkaufsstrategie nicht mit einzubeziehen.

In den großen Ballungszentren der Metropolen böten sich die großen Medienkaufhäuser als ideale Verkaufsorte für das Audiobook an. Ketten wie der FNAC oder El Corte Inglés, die neben allen Produkten aus der audiovisuellen Unterhaltungsbranche sehr umfangreiche und aufreizende Buch-, CD- und DVD-Sortimente führen, registrieren eine sehr hohe Verweildauer der Kunden in ihren Läden, ihre Umsatzzahlen sind prächtig bis manchmal atemberaubend.

Spanien ist extrem medienorientiert, in kaum einem Land wird so viel ferngesehen, aber auch Radio gehört, es gibt also viele beliebte Stimmen, die als Sprecher für Hörbücher in Frage kämen, Leser könnten somit über die Popularität der Interpreten zum Kauf des Audiobooks angestiftet werden. Modelle vom Typ der Brigitte-Kollektionen Starke Stimmen, eben denkbar in Zusammenarbeit mit großen Zeitschriften oder Tageszeitungen, sollten auch hier ideal funktionieren.

Kinder könnten als Hörer und Leser sicher leicht gewonnen werden. Leider verbringen sie hier unglaublich und überdurchschnittlich bedrohlich viele Stunden vor den Fernsehgeräten, deren Programme dazu von einem obszön hohen Anteil von Werbung durchsetzt sind. Aber warum sollte man diese Werbung nicht nutzen, um ihnen von Hörbüchern zu erzählen, zumal deren Sprecher wiederum die Protagonisten der TV-Kinder-Shows sein könnten. Vielleicht kann man sie damit sogar ein paar Minuten am Tag von der visuellen Beeinflussung weglocken.

Ein weiterer sehr interessanter Markt könnte auch Lateinamerika werden, vor allem mit den Chancen, die das Hörbuch per download dort erlangen könnte. Die riesigen Ausmaße und Distanzen auf dem mittel- und südamerikanischen Kontinent, die sehr begrenzten Infrastrukturen, gerade auch im kulturellen Bereich, denn in den Provinzen dieser Länder gibt es so gut wie keine Buchhandlungen, die dort manifesten logistischen Barrieren könnte das Audiobuch im Download unter Umständen aufheben.

Nicht unterbewerten sollte man dabei den kulturpolitischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkt, den eine solche Demokratisierung von Lektüre haben könnte, auch bei den vielen Kampagnen der Alphabetisierung in Lateinamerika wäre das Hörbuch in der Lage zu unterstützen. Wie allgemein bekannt, sind lesende und schreibende Bürger auch mündigere Bürger.

So steht der ADAL sicher ein sehr spannender Vormittag bevor, wenn Rita Bollig aus dem akustischen Nähkästchen ihrer Arbeit plaudern wird.

Um dem Hörbuch in Spanien zu einem sinnvollen Durchbruch zu verhelfen, ist sicher viel Fantasie und Risikobereitschaft gefragt, mehr noch als große wirtschaftliche Potenz. Das deutsche Beispiel des Hörverlages kann da ja als sehr plastisches und lebendiges Beispiel herhalten.

Anzusprechen wären eher junge, unabhängige Verleger, die keine Berührungsängste mit den neuen Medien haben, sondern sie selber nutzen. Abseits von den großen Gruppen, bei denen die hierzulande übermächtigen Verlagsvertreter gerne dazu neigen, Innovationen erst einmal grundsätzlich in Frage zu stellen, weil deren Durchsetzung Dynamik erfordert und zur ungeliebten Veränderung in eingeübten Arbeitsabläufen zwingen.

Wäre es da nicht eine innovative Idee, dass der so umtriebige Arbeitskreis Hörbuchverlage des Börsenvereins unter einer Sponsorenschaft beispielsweise der großen und mittleren deutschen Hörbuchverlage, der Frankfurter Buchmesse und anderer möglicher Institutionen interessierte, neugierige Verleger aus Spanien (und natürlich auch anderen Ländern) zu einem Workshop nach Deutschland einladen würde, um ihnen den Mund, besser die Ohren wässerig zu machen?

Dem Hörbuch auch eine Chance auf anderen Märkten zu geben, kann ebenso positive Folgen für das internationale Lizenzgeschäft haben, nicht in erster Linie wegen der zusätzlichen Sublizenzen, die für das Hörbuch vergeben würden, sondern weil man über das akustische Erlebnis neue Lesergruppen schaffen und erreichen könnte. Neue Lesergruppen benötigen mehr Bücher, damit stiege auch die Nachfrage nach Büchern von außerhalb, aus dem Ausland.

All das zu optimistisch? Den einen oder anderen soliden Versuch könnte es doch wert sein, oder?

Günter G. Rodewald ist Literaturagent und arbeitet in der Literaturagentur Ute Körner www.uklitag.com in Barcelona

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