Ein unhaltbarer Zustand

Unter Verlegern erheben sich noch immer laute Stimmen, welche die SZ-Bibliothek mit ihren wohlausgestatteten Titeln zum Preis von 4,90 Euro als verheerendes Phänomen brandmarken, weil es „das Preisbewusstsein der Menschen für normale neue Bücher untergräbt“. Zu diesem Empfinden trägt gewiss der riesige Erfolg bei, mit dem in der Branche so keiner gerechnet zu haben scheint. Aber stimmt es wirklich, dass Buchhandlungen für diesen Herbst nicht einmal mehr hoch interessante literarische Novitäten mit dem Ladenpreis von, sagen wir, 22,50 Euro bestellen wollen, weil „die Kunden die SZ-Titel kaufen und dann kein Geld mehr für andere neue Werke haben“, wie Vertreter zur Erklärung ihrer kläglichen Reise-Resultate einem renommierten Verlagsleiter sagten?

Gewiss, im deutschen Buchmarkt zeichnet sich seit etwa zwei Jahren eine tiefgreifende Veränderung ab. Doch die SZ-Bibliothek hält die Bestimmungen des Preisbindungsgesetzes ein. Es gibt jedoch eine andere Entwicklung, die durch eben dies Preisbindungsgesetz mit verursacht worden ist, das am 1. Oktober 2002 in Kraft getreten ist – eine Entwicklung, die eben dieses Gesetz eigentlich verhindern sollte. Und wenn es ein herausragendes Phänomen gibt, das dem Buchpublikum die Lust nimmt, vor allem normalpreisige belletristische Titel zu kaufen, dann ist es meines Erachtens diese Entwicklung, die zu einer Schwemme „billiger“ Bücher in bisher unbekannten Grössenordnungen geführt hat.

Das Preisbindungsgesetz untersagt die Aufhebung des festen Ladenpreises vor Ablauf einer Frist von 18 Monaten nach Erscheinen einer Novität. Nun hat sich jedoch bekanntlich die durchschnittliche „Lebensdauer“ von Romanen von früher ein bis zwei Jahren jüngst auf sechs Monate verkürzt. So sagt man offiziell: In Wahrheit handelt es sich da eher um drei bis vier Monate, in zunehmend vielen Fällen gar nur mehr um vier bis sechs Wochen, nach denen das Sortiment vorbestellte Literatur remittiert. Was tun?

Seit vergangenem Jahr hat sich eine neue Praxis eingebürgert. Remittenden werden unbesehen und unsortiert prompt als „Mängelexemplare“ umgelagert und palettenweise zum Billigverkauf freigegeben – auch wenn es sich bei den zurückgekommenen Bücher um noch eingeschweißte und völlig makellose Ware handelt. Stellt sich bei einer Novität von Anfang an mangelnde Nachfrage heraus, wird angeblich nicht selten gleich am Lager „gemängelt“ und als Ramsch verhökert.

So finden sich denn heute lediglich durch einen blauen Strich am unteren Schnitt der Bücher Stapel von an sich einwandfreien Exemplaren in Buchhandlungen, obwohl ein paar Meter weiter oder eine Etage drüber andere, für das bloße Auge kaum unterscheidbare Exemplare zum regulären Ladenpreis in den Regalen stehen. „Eine Situation, die auf Dauer unhaltbar scheint“, sagt Heinrich Hugendubel. „Da bahnt sich ein Konflikt an.“ Und durch diese neue Praxis wird die Glaubwürdigkeit der normalen Buchpreise in allererster Linie untergraben – wobei durchaus fraglich ist, ob solche Praxis durch das Preisbindungsgesetz gedeckt ist. Wie dem auch sei – es ist nicht der Buchhandel, der, obwohl dafür immer wieder kritisiert, mit zunehmend größerer Bereitstellung für MA und Ramsch den Verkauf hochpreisiger Bücher erschwert. Es sind die Verlage selbst. Gut, sie befinden sich in Folge der Marktveränderungen in einer schwierigen Lage. Doch mit ihren kurzfristigen Billigflügen graben sie sich selbst – und den Autoren – das Wasser ab. Sie müssen sich selbst neu am Markt reorientieren, wenn sie die Preisbindung halten wollen. Mit Pauschalvorwürfen gegen Dinge wie die absolut preisbindungskonforme SZ-Bibliothek schießen sie sich nur selbst ins Bein.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert