Die "Buddenbrooks des Ostens" Sigi Ressel über die Doku „Familie Brasch“

Seit wenigen Wochen läuft in den Kinos sehr erfolgreich der sehenswerte Dokumentarfilm „Familie Brasch“ von Annekatrin Hendel. Grundlage dieses Films ist der 2012 bei S. Fischer erschienene Roman Ab jetzt ist Ruhe: Roman meiner fabelhaften Familie von Marion Brasch, die eine der vier Kinder von Gerda und Horst Brasch gewesen ist, der auf dem Höhepunkt seiner SED-Funktionärskarriere stellvertretender Minister für Kultur der DDR gewesen ist.

Sigi Ressel, selber Filmemacher (und früherer Buchhändler) über diesen sehr besonderen und literarischen Film (sein „Sonntagsgespräch“ mit der Schriftstellerin Marion Brasch lesen Sie hier):

Marion Brasch in „Familie Brasch“: „Im Film nun sitzt und steht Marion in einem New Yorker Appartement und erzählt chronologisch und adäquat zu ihrem Roman die Geschichte ihrer Familie als deren Überlebende neu“

Ab Minute 42 hält der Tod leitmotivisch Einzug in den Dok-Film „Familie Brasch“. Nämlich, als Marion Brasch vom Suizidversuch ihres Vaters Horst berichtet: „Wegen einer Partei! Wegen einer Partei, die ihn nicht mehr lieb hat, sich das Leben zu nehmen! Seine kranke Frau und seine dreizehnjährige Tochter allein zu lassen, also mit so einem Gedanken zu spielen alleine, wie verzweifelt muss er gewesen sein, was muss in seinem Kopf vorgegangen sein – was ist da los?“

Die Partei, die Horst Brasch mit Liebesentzug bestrafte, war die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands und der Geschasste ein hoher Funktionär, der in die Provinz (Karl-Marx-Stadt/Chemnitz) abgeschoben worden ist. Schuld an diesem Downgrading wiederum waren die renitenten Brasch-Söhne, die weder Staat noch Eltern in den Griff bekamen. Was war da los?

Die Filmemacherin Annekatrin Hendel hat einen Faible für komplexe Persönlichkeiten jenseits von Gut und Böse: ihre dokumentarische Erforschung der Biographien von Paul Gratzik, Rainer Werner Fassbinder oder Sascha Anderson haben Ewigkeitswert und lohnen immer mal wieder angesehen zu werden. Mit unvoreingenommener Neugier gestaltet sie freischwebend gesprächsweise die Interviews mit ihren Protagonisten; es entstehen sehr nahe aber auch zugleich distanzierte Begegnungen, die dem Zuschauer genügend Raum zum eigenen (Nach-) Denken lassen.

Im Falle der „Familie Brasch“ ist die Hauptgesprächspartnerin Marion Brasch. Sie, das jüngste Kind der vier Brasch-Geschwister, hatte mit ihrem 2012 erschienen Roman Ab jetzt ist Ruhe: Roman meiner fabelhaften Familie für einige Furore gesorgt. Das Setting einer Ost-Funktionärsfamilie in der alle irgendwie aus dem Ruder laufen und die mit Thomas Brasch einen künstlerisch hochbegabten wie berühmten Provokateur in ihren Reihen hatte, ist unschlagbar und verführte bisweilen zu der (etwas übertriebenen) Etikettierung, die Braschs seien so etwas wie die „Buddenbrooks des Ostens“.

Im Film nun sitzt und steht Marion in einem New Yorker Appartement und erzählt –von Hendel animiert– chronologisch und adäquat zu ihrem Roman die Geschichte ihrer Familie als deren Überlebende neu: das Narrativ beginnt mit dem Exil der jüdischen Eltern Gerda und Horst Brasch, die in England ein Paar wurden, den dortigen Ableger der FDJ gründeten und 1945 ihren ersten Sohn Thomas zeugten. Euphorisiert von den Chancen des Neuanfangs der Nachkriegszeit zog es den zum Kommunisten konvertierten Horst Brasch im Jahre 46 zurück nach Deutschland, und zwar in die Sowjetzone, wo er sogleich gemeinsam mit Erich Honecker die FDJ etablierte. Die Kaderkarriere des Horst Brasch nahm seinen Lauf. Dessen Ehefrau, eine geborene Wienerin, wiederum zögerte und folgte mit Sohn Thomas erst ein Jahr später. Eine Selbstaufgabe der an sich künstlerisch ambitionierten Funktionärsgattin, die bis 1961 Mutter von noch 2 Söhnen und einer Tochter werden wird.

Die weitere filmische Familienchronik wird – ergänzend zu der wunderbar lakonisch berichtenden Marion Brasch – ganz klassisch verwoben mit dokumentarischem Bildmaterial und den Reflektionen von Freunden und Weggefährten der Braschs. Die, man kann es nicht anders sagen, traumatischen Daten der DDR-Geschichte: 1961 (Mauerbau), 1965 (Verschärfung der Kulturpolitik), 1968 (Niederschlagung des Prager Frühlings), 1976 (Biermann-Ausbürgerung) und 1989 (Mauerfall) dienen im Film als dramaturgische Eckpfeiler und zeigen exemplarisch wie brutal sich die SED-Politik in die persönliche Lebensführung der Menschen einmischte. Die tragikomischen Geschichten von Bettina Wegner, Florian Havemann oder Katharina Thalbach illustrieren schmerzlich, wie hoffnungslos die Versuche der DDR-Nachkriegsgeneration (also die der Brasch-Kinder) gewesen sind, sich mit Partei und Staat kritisch aber auch identifikatorisch auseinanderzusetzen. Florian Havemann bringt es im Film auf den Punkt: „Die konnten sich nicht erklären, dass es innere Widersprüche gibt, die einen zum Oppositionellen bringen. Wir wollten mehr Sozialismus.“ Die Brasch-Söhne Thomas und Klaus, der eine angehender Schriftsteller, der andere Schauspieler, gerieten schnell in diese Oppositionsrolle. Sie wurden verhaftet, bzw. wurden vorbestraft. Innere Zerwürfnisse, die nicht gut für eine Funktionärsfamilie waren in der mehr und mehr die Türen geknallt und rumgebrüllt wurde. Dabei wollten die Eltern vor allem nur das Gute. Um Zeit für den Aufbau der DDR zu haben, schickten die Eltern ihre Söhne und Marion auf eine Kadettenschule, in Internate und in die Wochenkrippe. Dass die dort Heimweh bekamen und unglücklich waren, konnten sich die Eltern Horst und Gerda nicht vorstellen. Das waren doch sozialistische Einrichtungen …

Marion Brasch in New York: „Wie sie im grauen T-Shirt mit dem orange Volksbühnen-Räuberrad vorne drauf durch Manhattan läuft“

Das filmische Glück von „Familie Brasch“ ist New York. Hier ist Marion Brasch zu einer Lesung eingeladen, hier, wie beschrieben, reflektiert sie ihre Familiengeschichte. Und hierher kehrt der Film von den oft bedrückenden Episoden aus dem Leben der Braschs immer wieder in die Gegenwart zurück: Marion, wie sie im grauen T-Shirt mit dem orange Volksbühnen-Räuberrad vorne drauf durch Manhattan läuft und auf Coney-Island den Karussells zusieht. Da öffnet sich die Welt. Und mit ihr die banale wie hoffnungsfrohe Erkenntnis, dass das Leben anscheinend irgendwie weitergegangen ist.

Aber, wie gesagt, ab der 42. Filmminute wird gestorben: Nach dem mißglückten Selbstmordversuch von Horst Brasch, starb wenig später seine Frau Gerda. „Vor den Vätern sterben die Söhne“ heisst programmatisch der Erzählband mit dem Thomas Brasch, der 1976 zusammen mit Katharina Thalbach in den Westen ging, da Honecker persönlich diese Texte für die DDR verbot. Das Buch erschien dann im Westen bei Rotbuch. Der Bruder Klaus Brasch, Schauspieler, starb 1980. Sein Vater Horst Brasch 1989 wenige Wochen vor dem Mauerfall. Peter, der drittgeborene Sohn folgte 2001; Thomas dann kurze Zeit später im selben Jahr. Todesfälle, die viel mit Einsamkeit, Unverständnis, Verzweiflung, Alkohol und Drogen zu tun haben. So richtig glücklich war von denen keiner.

Dass Hendels Dok-Film dennoch keinesfalls zu einem Nekrolog ausfranst, liegt vor allem an der ausführlichen wie filmisch spannenden Schilderung des künstlerischen Werdegangs von Thomas Brasch, der z.B. als einer der ganz wenigen Regisseure zweimal mit Spielfilmen im Wettbewerb um die Goldene Palme von Cannes gewesen ist. Differenziert wird diese komplizierte Persönlichkeit u.a. von Christoph Hein, Joachim von Vietinghoff, Alexander Polzin und der langjährigen Lebensgefährtin Ursula Andermatt beschrieben. Sie selbst reflektiert: „Wir hatten uns getroffen in dieser Liebe zur Sprache und in Verletzungen. Also in Verletzungen, die uns früher zugefügt wurden. Also wir hatten beide diese schlimmen K-Wörter Kommunismus, Katholizismus, Kadettenanstalt, Klosterinternat. Wir hatten ein Gespür füreinander, das man nicht lernen kann“.

„Familie Brasch“ ist irgendwie wie die kleine Familie DDR: Da sind die Überväter Walter und Erich, die’s mal so und mal so richten: rein ins Gefängnis, raus aus dem Gefängnis, Textverbot, Ausreise ja und Ausreise nein. Immer sehr persönlich.

Und Marion Brasch erinnert sich, was sie und ihre Freunde taten nach Klaus Braschs Beerdigung: „Da sind wir zu Heiner (Müller d.A.) saufen gegangen.“ Und wer von den DDR-Intellektuellen ist nicht irgendwann mal „zu Heiner saufen gegangen“?

Tot sind die Mütter, Väter und Söhne. Es leben Marion Brasch und ihre Tochter Lena. The future is unwritten, wie man in New York sagt.

  • „Familie Brasch“, ein Film von Annekatrin Hendel (2018). www.Familie-Brasch-Film.de
  • Ab jetzt ist Ruhe: Roman meiner fabelhaften Familie von Marion Brasch (S. Fischer)
  • ­Vor den Vätern sterben die Söhne von Thomas Brasch (Rotbuch)

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