Die Krimibestenliste hier zum Ausdrucken Krimibestenliste Februar 2020: „Trüb“ von Sarah Schulman auf Platz 1

Die Krimibestenliste von Tobias Gohlis finden Sie als Download unter Krimibestenliste Februar. An der Spitze der aktuellen Krimibestenliste Februar 2020 finden Sie neu auf Platz 1: Trüb von Sarah Schulman (original 2018: Maggie Terry)

Gohlis schreibt zunächst in eigener Sache: Margarete von Schwarzkopf ist nach 15 Jahren, für die wir ihr herzlich danken, aus der Jury ausgeschieden. Neu in der Jury ist Alf Mayer. Alf Mayer ist nicht nur Kritiker, sondern auch Übersetzer (u.a. der Crissa-Stone-Serie von Wallace Stroby). Seine Krimikolumne „Blutige Ernte“ erscheint seit 1984 im Frankfurter Magazin „Strandgut“, seit 2015 ist er CvD des Krimimagazins CrimeMag im CulturMag und seit neuestem dort gemeinsam mit Thomas Wörtche Herausgeber.

Auf Platz 1: Trüb von Sarah Schulman (original 2018: Maggie Terry)
Queere Aktivistin, Hochschullehrerin, Filmemacherin, Sachbuchautorin, Krimischriftstellerin –   Sarah Schulman, 1958 in New York City geboren, führt ein engagiertes Leben. Bereits ihre ersten übersetzten Romane sind bei Ariadne erschienen. Berühmt wurde sie mit „After Delores“ (1989).
Auf der Krimibestenliste standen eine ganze Reihe von amerikanischen Romanen, die die Finsternisse von Trumps Hinterland und die abgelegenen Quartiere seiner Fans ausleuchteten. Nach Jonathan Lethems Der wilde Detektiv ist Trüb der erste Roman auf der Liste, der quasi nebenbei die geschlossene Gesellschaft der linksliberalen LGBT-offenen Opposition gegen Trump porträtiert.
Der erste Satz lautet: „Alle waren komplett verwirrt, denn der Präsident war ein Irrer.“ Darin sind sich alle handelnden Figuren einig. Zum Glück der Leser*innen steht jedoch Maggie Terry, die Expolizistin, im Zentrum, die nach dem Entzug einen Job als Ermittlerin bei einer liberalen Anwaltskanzlei bekommen hat, wo sie sich allmählich zurück ins soziale Leben arbeiten kann.

„Am spannendsten sind (…) die Passagen, in denen Schulman vom Leben in New York erzählt, von der Hitze und dem Müll, den gutmütigen und knallharten Menschen, die die Stadt hervorbringt, von der Luxusverödung des Greenwich Village, vom Leben in Jared Kushners Immobilienimperium oder dem Schrecken, dem sich die Einwanderer aus Jamaika oder Bangladesch ausgesetzt fühlen, seit Trump regiert. Schön, New York wieder als echte Stadt mit verschiedenen Milieus und all ihren kommunalen Konflikten zu erleben.“ (Thekla Dannenberg, Perlentaucher)

„Um die Konventionen des Kriminalromans schert sich Schulman wenig, interessiert sich kaum für Suspense oder Täterrätselei. Trüb erzählt vielmehr davon, wie eine Stadt ihre Seele verliert, und was das mit den Menschen macht, die längst spüren, dass sie nicht mehr gewollt sind, und die sich das Leben hier nicht mehr leisten können. Der Roman ist eine stellenweise wütende, dann wieder überraschend komische Anklage gegen die Auswüchse der Gentrifizierung und streift auch andere aktuelle Themen wie Polizeigewalt und strukturellen Rassismus.“ (Marcus Müntefering, Der Spiegel)

Neu auf der Krimibestenliste Februar finden Sie insgesamt vier Titel. Diesmal sind es je 2 amerikanische, 1 irakischer und 1 englischer. Mit zusammen 1478 Seiten.
3 Autorinnen, 1 Autor.

Für die Genderzählung: Auf der Februarliste sind 7 von 10 Titeln von Autorinnen verfasst, wobei sich hinter dem Autorennamen „Nicci French“ das Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French verbirgt.

Neu sind:

Auf Platz 2: Heaven, My Home von Attica Locke (original 2019: Heaven, My Home)

Nach ihrem sensationellen Erfolg mit Bluebird, Bluebird, dass 2018 mit dem Edgar Allen Poe Award für den besten Krimi des Jahres ausgezeichnet wurde, setzt Attica Locke (Jahrgang 1974) mit Heaven, My Home ihre Romanserie um den schwarzen Texas Ranger Darren Mathews fort.
Darren wird darin in eine Vielzahl von Konflikten um Rasse, Besitz und Ehre verwickelt. Wie auch im ersten Band hat er zudem die Staatsanwaltschaft an der Backe, die ihn zu Recht verdächtigt, einem alten Freund der Familie gegen das Gesetz unter die Arme zu greifen. In dem fiktiven Kaff Hopetown in Ost-Texas ist ein neunjähriger Junge verschwunden. Das Land gehört einem alten schwarzen Farmer, der es sich seit Jahrhunderten mit einem Rest von nicht vertriebenen Native Americans teilt. Jetzt haben weiße Red Necks Teile davon okkupiert. Außerdem ist ihr Refugium von weißen Spekulanten bedroht.
Der Roman spielt in der Zeit zwischen der Wahl Trumps und seiner Inauguration 2017. Das provoziert bizarre Reaktionen: Darrens bester (weißer) Freund will den alten Schwarzen wegen Hassverbrechen gegen Weiße überführen, um der neuen Administration beweisen zu können, dass die Strafverfolgungsbehörden „farbenblind sind“ (Sylvia Staude).Wie auch der erste Roman beruht Heaven, My Home teilweise auf Erinnerungen und Erfahrungen von Lockes Familiengeschichte.

Mir hat Heaven, My Home trotz einiger sprachlicher Unsauberkeiten gut gefallen, nachzuhören und zu -lesen bei Deutschlandfunk Kultur.

„Attica Locke erzählt vom US-amerikanischen Rassismus in Zeiten Donald Trumps – von fatal ermutigten Rassisten also. Aber auch vom „Abschaum“-Milieu, in dem die Menschen „elend und unterversorgt“ sind. Sie sind neidisch, wenn andere – besonders Schwarze – etwas mehr haben. (..) Heaven, My Home ist ein komplexer Roman. Das liegt vor allem auch an der Figur Darren Mathews’, des Rangers, der durchaus nicht immer den geraden, gerechten Weg geht. Der eher mal mit ausgleichender Gerechtigkeit flirtet, zugunsten ‚seiner Leute‘, die eine echte Heimat nicht erst im Himmel finden sollen.“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

Auf Platz 3: Was sie nicht wusste von Nicci French (original 2019: The Lying Room)

Das Ehepaar Nicci Gerard (*1958) und Sean French (*1959) schreibt seit 1997 unter dem gemeinsamen Pseudonym Nicci French psychologische Kriminalromane. Zuletzt erschienen acht Romane um die Londoner Psychotherapeutin Frieda Klein, deren Titel sich nach den Wochentagen richteten.
Was sie nicht wusste ist nach diesem Ausflug in die Wirrnisse von Psychotherapie und Kriminalistik wieder ein Stand-alone, diesmal mit einer „ganz normalen“ berufstätigen Mutter und Hausfrau als Protagonistin. Neve Connolly bekommt eines Morgens einen Anruf zu einem Stelldichein, doch als sie im Liebesnest eintrifft, findet sie ihren Liebhaber mit erschlagenen Schädel vor. Um ihre Affäre zu verheimlichen, vertuscht sie den Mord und reinigt den Tatort von allen Beweisen. Das Romangeschehen folgt gewohnten Mustern: Neve wird verdächtigt und muss den wahren Mörder finden.

Was sie nicht wußte ist trotzdem lesenwert: Es sind die lebendige Sprache und die klischeefreie Darstellung der Lebensbedingungen einer tendenziell überforderten Frau, es sind auch die gekonnt servierten Twists, die diesen Roman aus dem grauen Allerlei des Mainstreams herausragen lassen. Zudem wird hier der Kampf um weibliche Selbstermächtigung einmal nicht in sozialen Randzonen (wie etwa bei Sarah Schulman) oder im fantastischen sozialen Untergrund (Regina Nössler), sondern im schlichten mittelständischen Alltag beschrieben – nicht so durchtrieben böse wie das Ruth Rendell als Barbara Vine konnte, aber doch gut gemacht.

Auf Platz 4: Frankenstein in Bagdad von Ahmed Saadawi (original 2013: Frānkištāyn fī Baġdād: riwāya)

Arabische Kriminalromane sind schon selten, einen aus dem Irak hatten wir noch nie unter der Lupe. Frankenstein in Bagdad wurde 2014 mit dem International Prize for Arabic Fiction ausgezeichnet, den viele wegen seiner Bedeutung mit dem Man Booker Prize vergleichen.

Sein Verfasser Ahmed Saadawi stammt aus dem Süden des Irak, wo er 1973 geboren wurde, und lebt als Dokumentarfilmer und Romancier in Bagdad.
Die abgedroschene Floskel, Frankenstein in Bagdad sei „mehr als ein Krimi“, trifft diesmal zu: Die Geschichte vom Monster „Soundso“, das vom Trödler und bekannten (Lügen-) Erzähler Hadi aus den versprengten Köperteilen von namenlosen Anschlagsopfern zusammgebastelt und von den Seelen der Vergeltung Fordernden belebt wurde, ist eine Parabel auf die soziale, politische, religiöse und menschliche Situation des Irak nach dem Krieg von 2003, ein Essay über die Entstehung und die Vergeblichkeit von Rachegelüsten und Vergeltungswünschen, eine Karikatur der politischen und medialen Hanswursterei und auch ein Kriminalroman. Vor allem aber ist es eine große Satire, vergleichbar den „Satanischen Versen“ eines Salman Rushdie und ein Appell zu Versöhnung über den Massengräbern und den Ideologien. Lesen Sie die Rezension von Thekla Dannenberg im „Perlentaucher“.

„Frankenstein in Bagdad (ist) mehr als eine mit allen Wassern der Postmoderne gewaschene Allegorie auf die Selbstzerstörung eines „Failed State“, denn am Ende ist Saadawi weniger Zyniker als Humanist, auch wenn er sein Prinzip Hoffnung in bitterböser Ironie in die Gestalt einer alten und verwirrten assyrischen Christin einpflanzt, die im Soundso ihren im ersten Golfkrieg verschollenen und nun nach zwanzig Jahren heimkehrenden Sohn erkennt.“ (Gunter Blank, Rolling Stone)

Auf Platz 10: Long Bright River von Liz Moore (original 2017: Long Bright River)

Der „lange leuchtende Fluss“ des englischen Titels (für den sich, Marotten der Filmbranche folgend, offenbar kein deutschsprachiges Pendant hat finden lassen) hat im Text zwei miteinander zusammenhängende Entsprechungen. Zu einen sind damit die Venen der süchtigen Kacey gemeint, die von ihrer Schwester Mickey im lebensbedrohlichen Drogenkoma aufgefunden wird, zum anderen der lange, leuchtende Fluss „verstorbenerSeelen“, die wie in einem Epitaph am Ende des Romans namentlich aufgelistet werden.
Long Bright River ist einer der ersten US-amerikanischen Romane, die sich mit der nationalen Katastrophe der Opioid-Pest auseinandersetzt. Das hat sicher zur Begeisterung beigetragen, mit der er in den USA gefeiert wurde. Endlich hat das Verschweigen und Vertuschen ein Ende!
In ihrem vierten Roman spielt die 1983 geborene Liz Moore angesichts der Opioid-Epidemie in Philadelphia (im Herzland der Pilgerväter) die moralischen Komplikationen durch: „I was interested in playing with who is on the right side of the law and who is on the right side of morality, and switching those back and forth several times,” verriet sie dem Korrespondenten des Guardian.
Weniger spielerisch als vielmehr streng sind die Rollen zwischen den Schwestern Fitzpatrick verteilt. Mickey, die sich durch Fleiß, Intelligenz und Rechtschaffenheit aus den Sümpfen einer halbkriminellen Familie zur Streifenpolizistin hochgearbeitet hat, verzehrt sich in beinahe krankhaft überspannter Sorge um ihre drogenkranke Schwester Kacey, die in der Geschichte der beiden Schwestern die emotionalere, lebhaftere, sozialere war, jetzt aber doppelt gefährdet ist: Ein Mörder drogensüchtiger und sich prostituierender Frauen ist in Philadelphias verkommenem Stadtteil Kensington unterwegs. Jede im Polizeibericht gemeldete Tote könnte Kacey sein.
Mir scheinen die von Liz Moore vorgeführten moralischen Dilemmata einem eher viktorianischen Geist entsprungen und eines der zentralen Rätsel des Plots eher der Dickens-Ära als der Gegenwart zuzugehören – Marcus Müntefering jedoch war begeistert und erschüttert von der emotionalen Wucht des Romans.

Unsere Dauerchampions: Zum vierten Mal stehen Hannelore Cayre mit Die Alte und John le Carré mit Federball, zum dritten Mal Sarah Schulman mit Trüb und Melba Escobar mit Die Kosmetikerin auf der Krimibestenliste.

Ich wünsche Ihnen wie immer viel Anregung und Vergnügen bei der Lektüre und würde mich freuen, wenn Sie unsere Bestenliste weiterempfehlen könnten. Abonnieren kann man diesen Newsletter hier. Die Krimibestenliste Februar wird am Sonntag, den 2.2.2020 veröffentlicht, und ist online wiederzufinden unter www.faz.net/krimibestenliste
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Am Freitag, dem 31. Januar um 8.20 Uhr  gab es wie immer einen Vorgeschmack auf die Krimibestenliste bei Deutschlandfunk Kultur.

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Krimibestenliste Februar

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