Um folgende Bücher und Autoren geht es in der Druckfrisch-Ausgabe am am 23. Februar 2020 um 23:50 Uhr :
Bov Bjerg: „Serpentinen“ (Claassen Verlag)
„Es war nicht schwer, ein Kind zu töten, wenn es schlief. Die Hände drückten nicht auf den Hügel, sie zogen an den Seiten den Hügel hinunter ins Laken. Sie zogen das Kissen ins Laken, das Laken in die Matratze, in den Fußboden, in die Erde. Ich musste keine Kraft aufwenden. Ich musste keine Gewalt gebrauchen. Das war kein Schlagen. Das war kein Erdrosseln. Das war ein weiches, zärtliches Kissen. Ich machte es uns leicht. Wir berührten uns nicht. Das Leben war nur eine Behauptung. Ebenso der Tod.“
Dieser Vater ist Soziologieprofessor in Berlin. Er hat Erfolg. Aber er glaubt nicht daran. Und das Kind soll nicht so werden wie er. Schwierig. Denn wie ist er überhaupt?
Bov Bjergs neuer Roman ist die poetische Analyse einer Lebenskrise. Und so wie der Professor seiner eigenen Geschichte nicht traut, scheint Bjerg an den Gewissheiten des Erzählens zu zweifeln. Er kreist um seine Protagonisten, tastet, nähert sich vorsichtig, erkundet Möglichkeiten, in aller gebotenen Langsamkeit. Wenn das Leben eine Behauptung ist, dann wird diese wahr durch das Schreiben, zeigt uns Bov Bjerg. Literatur ist also die Alternative zum Nichts: Tröstlich und schön.
Peter Bichsel: „Auch der Esel hat eine Seele“ (Suhrkamp Verlag)
„Man sagt, Politik sei ein schmutziges Geschäft, und viele Leute glauben es gern und erzählen es weiter. Mir scheint, daß irgendwer mal diesen Satz ausgestreut hat, um möglichst viele von der Politik abzuhalten, um sie möglichst allein machen zu können. Es ist an der Zeit, daß dieser Satz bekämpft wird. Politik ist ein edles Geschäft, Politik ist die Verpflichtung dem anderen gegenüber, die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. (…) Wäre Politik wirklich ein schmutziges Geschäft, hätte nichts mehr auf dieser Welt einen Sinn.“
Das hat Peter Bichsel schon vor über 50 Jahren geschrieben, und es klingt wie ein Kommentar zu den Geschehnissen von heute. Das zeigt uns vermutlich nichts anderes, als dass es wahr ist. Außerdem, und das ist besonders, ist es auch noch glaubwürdig. Denn Bichsel schreibt lakonisch, nüchtern, unaufgeregt. Nicht im Ton des Besserwissers, des Belehrenden, sondern aus der Haltung des Beobachtenden, des neugierig Fragenden. Ein bisschen schweizerisch ist das alles natürlich immer auch. Und spielerisch. Ironisch. Wirklich brillant. Deshalb sind plötzlich jahrzehntealte Betrachtungen zum Zustand der Welt nicht nur aktuell und bildend, sondern auch noch unterhaltsam. Ein Vorbild!
Denis Scheck empfiehlt
Außerdem, wie immer, Denis Schecks Kommentar zu den Büchern auf der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste. Diesmal: „Belletristik“.