Die besten Krimis des Monats Die Krimibestenliste im Mai hier zum Ausdrucken: Auf Platz 1 Gary Victor

An der Spitze der Krimibestenliste Mai 2017 finden Sie auf  Platz 1:

Suff und Sühne von Gary Victor (original 2013: cures et châtiments)

Suff und Sühne ist der dritte Roman um den einsamen Inspektor Dieuswalwe Azémar, der auf Deutsch erschienen ist. Schweinezeiten (2013) und Soro (2015) haben zwei noch nicht übersetzte Vorläufer – hoffen wir, dass wir sie noch lesen können.
Wer den 1958 in Port-au-Prince geborenen Gary Victor auf seiner Deutschlandtournee im März kennenlernen durfte, weiß jetzt, wie man den Vornamen seines verzweifelten Helden aussprechen muss: Dieuswalwe ist die kreolische Schreibweise für „Dieu-soit-loué“ – Gott sei gelobt. Wer nach Schweinezeiten und Soro geglaubt hat, Haiti oder sein einziger unkorrumpierbarer Polizist könnten nicht mehr tiefer sinken, sieht sich eines besseren belehrt. Dieuswalwe ist auf Entzug, ihm ist der Soro, sein einziger Trost, genommen. Die Frau, die neben Taranteln in seiner Absteige auftaucht, ist keine Entzugserscheinung. Mit Fotografien beweist sie, dass Inspektor Azémar ihren Vater, einen brasilianischen General der UN-Mission MINUSTAH, erschossen hat. Sie will Rache, Dieuswalwe flieht angeschossen, sie wird von brasilianischen Milizionären mit eigener Agenda erschossen. Dieuswalwe begibt sich auf einen Höllentrip in seine Vergangenheit, verfolgt von den Milizionären und seiner eigenen Truppe. Er stößt auf Intrigen und Verschwörungen, die ahnen lassen, warum Haiti unter UN-Kuratel gestellt werden musste, um nicht völlig in der Karibik zu versinken. Wie immer verknüpft Gary Victor Tatsachen (tatsächlich ist der Tod des brasilianischen MINUSTAH-Kommandanten Urano Teixeira da Matta Bacellar 2005 ungeklärt, hierzu ein Dossier der taz: www.taz.de/Inspektor-im-Delirium ) virtuos mit Fiktion. Nur mit Hilfe eines Schutzzaubers kann Dieuswalwe seinen Widersachern entkommen und die Entführung eines Unternehmersohns aufklären. Die letzten Sätze lassen nichts Gutes ahnen: Mireya, seine geliebte Adoptivtochter sitzt im Flugzeug, dass sie weg von Haiti bringen wird. „Seine Liebe zu Mireya war sein einziges Bollwerk gegen den Todestrieb gewesen, der ihn bedrängte.“

Gary Victor taucht mit seinem kraftvollen, kreolischen Erzählen recht ausgelassen die Klassiker der Weltliteratur in karibische Farben. Wie seine anderen Romane auch, ist „Suff und Sühne“ nicht länger als hundertfünfzig Seiten. Doch darin steckt so viel Sinnlichkeit, Sehnsucht und Schönheit wie in einer ganzen Kiste Soro. Bei aller Bitternis sind die Romane reiner Genuss, ganz ohne Reue.“ (Thekla Dannenberg, Perlentaucher)
„Keine Frage: einer der interessantesten Autoren der internationalen Krimilandschaft derzeit.“ (Ulrich Noller)

Neu auf der Krimibestenliste Mai sind insgesamt fünf Titel.
Diesmal sind es je
1 haitianischer,
1 australischer,
1 südafrikanischer,
1 amerikanischer und
1 deutscher.
Drei Autorinnen, zwei Autoren.
Mit zusammen 1764 Seiten.

Neu sind außer Suff und Sühne:

Auf  Platz 3: Fall von Candice Fox (original 2015: Fall)

Im nach Eden und Hades (beide 2016) abschließenden Band der Trilogie Fall führt die vermutlich noch junge (Geburtsdaten gibt sie damenhaft nicht preis) Australierin Candice Fox die Motive und biographischen Fäden der Trilogie rasant zusammen. Obwohl schwer angeschlagen von den Messerattacken in Hades betritt Eden nicht als Polizistin, sondern erst einmal als Mörderin die Szene. „In diesem Becken bin ich der einzige Haifisch.“
Fall erzählt zwei Stränge: die Geschichte eines fetten gemobbten Mädchens, das die Leser recht bald für die Serienmörderin halten, die in den Parks von Sydney Joggerinnen kaputt schlägt, und die Versuche Edens, die Recherchen in ihrer Biographie zu unterbinden. Ihr Partner Frank, der Ich-Erzähler, versucht, sie von ihrem Mördertrieb zu heilen, und riskiert dabei sein Leben. Seine Geliebte, die dem Detektivmythos verfallene Psychologin Imogen (eine Bestie der Übergriffigkeit) bohrt und bohrt ebenfalls.
Das ausgelutschte und abgegriffene Motiv des Serienkillers erhält durch Fox einen neuen überraschenden Dreh:.

„Während die Masse der minderbemittelten Krimiautoren immer noch mühselig die Tatsache zu begreifen versucht, dass jeder Mensch das Zeug zum Mörder hat, tut Candice kühn den Schritt in die Dystopie: Bei ihr kann jeder zum Serienmörder werden.“ (Tobias Gohlis, Die ZEIT)

Auf  Platz 5: Sie werden dich finden von James Rayburn (original: The Truth Itself)
Immer häufiger gehen deutsche Verlage das Wagnis ein, ihre deutsche Übersetzung eines englischen Originaltextes vor der Veröffentlichung in der Originalsprache zu publizieren. Don Winslows „Missing New York“ (2014) ist bisher nur auf Deutsch und Französisch erschienen. Die Veröffentlichung läutete das Ende seiner Wertschätzung als großer Krimiautor ein.
James Rayburns Sie werden dich finden wird voraussichtlich nicht das gleiche Schicksal ereilen. Die Fallhöhe zwischen den in Kapstadt spielenden Romanen des Roger Smith und seinem unter dem offenen pseudonym Rayburn veröffentlichten Agententhriller Sie werden dich finden ist so groß nicht. Der 1960 geborene Südafrikaner Rayburn/Smith lebt inzwischen in Thailand. Dort kommt es am Ende der Flucht von Kate und Suzie Swift zum Showdown, nachdem die ehemalige CIA-Agentin und ihre kleine Tochter mehrfach den Globus umrundet und ihre Identitäten gewechselt haben.

Rayburns Gespür für Drastik, deren Dosierung und für das richtige Timing ist exzellent, das Personaltableau wirkt angemessen reichhaltig, ohne je unübersichtlich zu werden, die Dialoge sind präzise. Sie werden dich finden ist ein Thriller, den man nicht weglegt, sobald man ihn einmal begonnen hat.“ (Peter Körte, FAZ)

Auf Platz 6: Es geschah im Dunkeln von Carol O‘Connell ( original 2013: It happens in the dark)

Kreidemädchen von 2015 war eine Hommage an den Centralpark und seine düsteren Geheimnisse. Es geschah im Dunkeln, der neueste, elfte Roman der großartigen Carol O’Connell ist eine Hommage an den Theatre District in Manhattan, geschrieben 2011/12, als sich die New Yorker gegen das dort grassierende Theatersterben zu Wehr setzten.
Die Hommage einer so ausgefuchsten Genrespielerin wie Carol O’Connell (*1947) kann gar nicht anders ausfallen als dieser Roman: ein unglaublich verzwickter Plot um Morde, die von Aufführung zu Aufführung verhindern, dass das Publikum den Ausgang eines Stücks erlebt, das fortwährend von einem geheimnisvollen Ghostwriter umgeschrieben wird, nachdem der Autor des Stücks gleich zu Beginn nach einem Schnitt in die Kehle aus dem Spiel genommen wurde. Beiläufig reklamiert O’Connell die Literarizität ihrer Arbeit: Pirandellos weltberühmter „Sechs Personen suchen einen Autor“ wird bei ihr zur Boulevard-Schlagzeile umgeschrieben: „Ein Stück ermordet seine Zuschauer“. Dazu passt es, dass die Zahl der Verdächtigen, wenn man ein Zwillingpaar als eine Figur zählt, sich auf sechs Personen beläuft.
Raffiniert: Das Theaterstück selbst handelt von  der Lust am Morden und rekonstruiert einen ungelösten Fall auf dem Lande, dem der größte Teil einer Familie zum Opfer fiel. Es wimmelt nur so von Mordmotiven, Verstellungen, Lügengebilden, unsichtbaren Theaterkatzen und Geheimgängen. Diesem Wirrwarr an Emotionen und Verwirrspielen ist nur eine gewachsen: Katy Mallory. Die Soziopathin mit dem messerscharfen Verstand, die 1994 ins literarische Leben trat, ist die Vorläuferin all der superschlauen, emotionsgestörten Heldinnen von Lisbeth Salander bis Saga Norén, die in jüngster Zeit  begeisterten. Und Mallory ist die beste: eine kalte Dämonin der Ermittlung, beschützt von einem bizarren Club älterer Herren und einem ultrahässlichen Psychologen, die ihre gröbsten Fehltritte väterlich korrigieren.

„Da hat die US-amerikanische Autorin einiges aus der Thriller-Klamottenkiste geholt. Aber wie sie diese altbekannten Motive neu zusammenwürfelt, verzahnt, mit überraschenden Haken und Ösen ausstattet, das ist auch diesmal wieder eine typische Mallory-Geschichte und ein origineller Spaß.“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

Auf  Platz 8: Drei Meter unter Null von Marina Heib

Dass spektakuläre Fälle wie der Natascha Kampuschs, die Jahre von ihrem Entführer im Keller gefangen gehalten wurde, die Krimiproduzenten anregen würden, war klar. Ähnlich wie der ebenso seltene, aber erratische Sonderfall des Serienmörders scheinen auch die Fälle machtbesessener Mädchenkerkermeister zum anthropologischen Arsenal des homo sapiens zu gehören. Mythen wie vom König Blaubart und von Ariadne und dem Minotaurus sprechen eine deutliche Sprache.
Die 1960 geborene Drehbuch- und Krimiautorin Marina Heib versucht, in Drei Meter unter Null dem Skandalon Plot und Sprache zu verleihen. Dazu greift sie zum dicken Beitel, das Buch liest sich, als sei es von einer expressionistischen Holzschnitzerin verfasst. Aber das Drama ist ja auch gewaltig: Mit Mitte Dreißig begreift die bis dahin ein bisschen verträumte aber angepasste und erfolgreiche Ich-Erzählerin, die einst den Berufswunsch Pippi Langstrumpf hatte, dass ihr Leben auf einer fundamentalen Täuschung beruhte. Sie fühlt sich zertrümmert, „Städte (zerfielen) zu Staub“, das zerbrochene Ich häutet sich zur Wölfin, zur kaltblütigen Mörderin. Planvoll bringt sie einen satten Spießermann nach dem anderen um, und enthüllt schrittweise die Urszenen aus Gewalt und Ohnmacht, die sie als Kind erleiden musste. Auch sie verwendet eine am Mythischen trainierte Sprache, um die Energien, die die Rache freisetzt, zu bändigen. Nüchtern ist dem Minotaurus nicht beizukommen.

Unsere Dauerchampions: Zum dritten Mal stehen Denis Johnson mit Die lachenden Ungeheuer und Jérôme Leroy mit Der Block  auf der Krimibestenliste.

Die Krimibestenliste Mai wird am Sonntag, den 7.5.2017 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gedruckt veröffentlicht, und ist online nachzulesen unter unter documentwww.faz.net/krimibestenliste
und www.deutschlandfunkkultur.de/krimibestenliste .
Unter diesen Webadressen finden Sie immer die aktuelle Krimibestenliste.
Bereits am Freitag, den 5.5., wurde um 8.20 im Deutschlandradio Kultur auf den Spitzentitel der Krimibestenliste hingewiesen:www.deutschlandfunkkultur.de/gary-victor-suff-und-suehne

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