Rainer Dresen zum VG Wort-Urteil: Der Pyrrhussieg des Dr. Vogel – Gedanken zur VG Wort-Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Rainer Dresen

In einer perfekten Welt hätten Ende 2015 bei der VG Wort die Champagnerkorken geknallt und die Präsentkörbe der Verlage und Autoren wären dutzendfach eingetroffen. Nach langen Verhandlungen nämlich war es der deutschen Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ), bei der u.a. die VG Wort, die GEMA und die VG Bild-Kunst Gesellschafter sind, gelungen, die Hersteller von Smartphones und Tablets dazu zu bewegen, Kopiergeräte-Abgaben zu akzeptieren.

Mit diesen Geräten kann man bekanntlich auch Kopien von Texten anfertigen. Nun also zahlen Unternehmen wie Apple, Google, Samsung, Sony und Microsoft rund fünf Euro pro Smartphone und sieben Euro pro Tablet, und das rückwirkend ab 2008. Apple hat deshalb schon Anfang 2016 seine Preise erhöht und weist seitdem auf den Rechnungen diese „Urheberabgabe“ ausdrücklich aus. Millionenbeträge für die VG Wort werden alleine dadurch zusammenkommen – und die Verlage werden davon Stand heute nichts erhalten.

Statt also diesen historischen Verhandlungserfolg feiern zu können und sich zu freuen, dass die Kopierabgaben aufgrund der immer stärker technisierten Welt wohl auch zukünftig immer weiter steigen werden, steht die VG Wort spätestens seit heute vor ihrer größten Bewährungsprobe. Das jahrzehntelang vorbildlich gelebte Solidarmodell von Autoren und Verlagen, die innerhalb der VG Wort gemeinsam Rechte wahrnahmen und Erlöse erhielten, ist möglicherweise bald Geschichte. Heute hat der Bundesgerichtshof (BGH) über die Klage des wissenschaftlichen Autors und VG Wort-Mitglieds Martin Vogel gegen die langjährige Vergütungspraxis der VG Wort entschieden.

Demnach dürfen Verlage an den VG Wort-Ausschüttungen nicht beteiligt werden. In der Pressemitteilung des BGH steht dazu in betrüblicher Eindeutigkeit: „Den Verlegern stehen nach dem Urheberrechtsgesetz keine eigenen Rechte oder Ansprüche zu, die von der VG Wort wahrgenommen werden könnten. Verleger sind – von den im Streitfall nicht in Rede stehenden Presseverlegern abgesehen – nicht Inhaber eines Leistungsschutzrechts. Die gesetzlichen Vergütungsansprüche für die Nutzung verlegter Werke stehen kraft Gesetzes originär den Urhebern zu.“

Für den Kläger Dr. Vogel ging es, und dieser Gedanke macht einen als von den zu erwartenden wirtschaftlichen Einbußen unmittelbar bedrohten Verlagsmitarbeiter schier wahnsinnig, neben dem ihm offenbar heiligen Prinzip der buchstabengetreuen Auslegung des Gesetzes, „nur“ um knapp zweieinhalbtausend Euro. Mehr nämlich reklamiert er an Mehrausschüttungen nicht. Für die VG Wort aber und vor allem – aufgrund der nun zu erwartenden Rückforderungsansprüche in großer Millionenhöhe für die Vergangenheit und die ausbleibenden Zahlungen für die Zukunft – für nicht wenige der dort organisierten Verlage geht es um die Existenz.

Bevor man sich Gedanken macht, wie es nun weitergehen könnte, lohnt vielleicht ein Blick auf die Hintergründe. Für eine Vereinigung, die jährlich rund 300 Millionen Euro ausschüttet, interessierten sich lange Zeit erstaunlich Wenige für die VG Wort. Was macht die eigentlich? Vereinfacht gesagt, zog die VG Wort die Erlöse ein, die aus der im öffentlichen Interesse von Autoren und Verlagen hinzunehmenden Bibliotheks- und Kopiergerätenutzung von Büchern entstehen und schüttete diese dann an Verlage und Autoren aus. Die jeweilige Verteilungsquote regelten die VG Wort-Gremien in ihren Verteilungsplänen. Wissenschaftliche Verlage erhielten demnach zuletzt 50 Prozent der auf ihren Bereich entfallenden Ausschüttungen, Publikumsverlage immerhin 30 Prozent. Jahr für Jahr kamen so stattliche Einnahmen für Autorinnen und Autoren, aber eben auch für die Verlage zusammen, Tendenz weiter steil steigend, siehe oben.

Über diesen Geldsegen freuten sich Verlage und Autoren gleichermaßen über Jahre und Jahrzehnte. Kaum jemand, genau genommen niemand außer Dr. Martin Vogel, einem netten, umgänglichen, hoch gebildeten und literarisch wie musikalisch äußerst interessierten Juristen mit Schwerpunkt Urheberrecht, konnte sich vorstellen, dass sich dies einmal ändern würde. Dr. Vogel war über Jahre im Patent- und Markenamt beschäftigt. Da es dort für einen Urheberrechtsliebhaber wie ihn nicht viele Stellen gab, traf er die im Nachhinein für die VG Wort wenig segensreiche Entscheidung, sich auf die just in diesem Amt angesiedelte Position als Aufsichtsbeamter über die VG Wort zu bewerben. Die Aufsichtsbehörde, so das Gesetz, hat darauf zu achten, dass die VG Wort den ihr obliegenden Verpflichtungen ordnungsgemäß nachkommt.

Eine schöne Aufgabe, so könnte man meinen, weitgehend stressfrei noch dazu, denn die VG Wort agierte nach allgemeiner Überzeugung über Jahrzehnte hinweg selbstredend stets korrekt und beanstandungsfrei. Bis Dr. Vogel kam, der das alles ganz genau betrachtete. Die VG Wort hatte zwar auch in unter seiner Aufsicht nichts anders gemacht als die Jahre zuvor, nämlich das ausgeschüttet, was Verlage und Autoren beschlossen. Aber Dr. Vogel hatte zu jener langjährigen Praxis rasch und dezidiert eine eigene Auffassung entwickelt.

Er kam nämlich nach gründlichem Studium der einschlägigen Gesetze zu der Überzeugung, dass die VG Wort ihre gesetzlichen Pflichten grundlegend missachte. Dies, so Dr. Vogel, deshalb, weil sie Ausschüttungen an Verlage vornehme, obwohl diese im Urheberrechtsgesetz gar nicht als eigenständige Inhaber von Urheberrechten oder wenigstens Leistungsschutzrechten genannt seien. Eine der beiden Rechtspositionen aber, so Dr. Vogel, wäre nach dem Wortlaut des Gesetzes schon nötig, um überhaupt eigene „gesetzliche Vergütungsansprüche“ innezuhaben und ausschüttungsrelevant in die VG Wort einbringen zu können.

Diese seine formal durchaus fundierte Meinung (der sich der BGH nun vollumfänglich anschloss) veranlasste Dr. Vogel, in seiner Funktion als Aufsichtsbeamter, die Verteilungspläne der VG Wort zu monieren. Sein Vorgesetzter, der Präsident des Patent- und Markenamts, bestellte ihn darauf wöchentlich zum Rapport und wies ihn an, den Verteilungsplänen dennoch zuzustimmen. Irgendwann kam es wie es kommen musste, und Dr. Vogel verlor seinen Aufsichtsposten und wurde stattdessen Patentrichter. Die einmal liebgewonnene VG Wort-Thematik aber ließ ihn nicht mehr los.

Dr. Vogel war es gelungen, in seiner weiteren Funktion als SPD-naher Urheberrechtsexperte und Mit-Urheber am sog. Professorenentwurf des Jahres 2001 nahezu unbemerkt eine Verschärfung des Urheberrechtsgesetzes durchzusetzen. Dies hatte zur Folge, dass Verlegern, die von jeher keine eigenen gesetzlich normierten Vergütungsansprüche hatten, nun auch die stattdessen bis dahin wie selbstverständlich erfolgte und von niemandem in Frage gestellte erfolgte teilweise Abtretung der Autoren-Honoraransprüche zur Einbringung bei der VG Wort unmöglich wurde.

Von der VG Wort aber war die Frage, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Verleger an den Ausschüttungen beteiligt werden, über Jahrzehnte nie wirklich offen thematisiert worden. Offenbar ohne sich um die in der Tat im Nachhinein betrachtet erstaunlich brüchige gesetzliche Basis groß Gedanken zu machen, vielmehr auf die jahrzehntelange Praxis vertrauend, hatten die Gremien der VG Wort, also ausdrücklich auch die Autorenvertreter, Verlagen stets eigene Ausschüttungsansprüche zugesprochen. Grundlage hierfür war eine als unbestritten vorausgesetzte – allerdings im Gesetz nie normierte – angebliche „Symbiose“ zwischen Autoren und Verlagen, die Ausschüttungen an beide rechtfertige. Schließlich, ein durchaus zwingender Gedanke, werden ja nicht die bloßen Ideen von Autoren kopiert und in Bibliotheken ausgeliehen, sondern deren gedruckte Worte, die letztlich erst durch kleinteiliges Verlegerschaffen zustande kommen.

Gegen diese Praxis hatte nie jemand Einwände erhoben, zu sinnvoll und naheliegend erschien sie allen. Selbst Dr. Vogel fand und findet die Verlegerbeteiligung per se übrigens nicht ungerechtfertigt. Als Verlagsexperte weiß er genau, wie wichtig der Verlegerbeitrag an der Buch-Entstehung ist. Was ihn aber stets störte, war die mangelnde gesetzliche Fundierung. Mit einer einzigen Gegenstimme, seiner eigenen nämlich, die er als wissenschaftlicher Autor und VG Wort-Mitglied ausüben konnte, wurden die Verteilungspläne mit ihren Zahlungen auch an Verlegern Jahr für Jahr beschlossen.

Dr. Vogel störte sich auch besonders daran, dass eben jene den Verlagsbelangen offenbar so gewogenen VG-Wort-Autorenvertreter – in Form von einigen wenigen Berufsverbänden wissenschaftlicher Autoren – jährlich insgesamt bis zu 300.000 Euro aus der VG Wort Kasse erhalten, ohne dass sie dazu von Gesetzes wegen ausdrücklich berechtigt wären. Für Dr. Vogel lag nahe, dass es hier zwischen den erfolgten Zuwendungen an die Berufsverbände der Autoren und den mit den Autorenstimmen gebilligten Ausschüttungen an die Verlage einen zumindest mittelbaren Zusammenhang geben könnte. Diese Dr. Vogel so besonders übel aufstoßende Praxis, die er in jedem Gespräch, das man mit ihm führte, anprangerte, hat der BGH übrigens nun ausdrücklich gebilligt, eine weitere überaus bittere Pointe und ein nutzloser Sieg der VG Wort in diesem fast schon tragischen Gerichtsverfahren.

Aber zurück zur Historie. Als niemand bei der VG Wort auf seine Bedenken eingehen wollte und ihm überall, wo er auftrat und seine mittlerweile hinlänglich bekannten Bedenken vortrug, offene Ablehnung entgegen schlug, änderte er seine Strategie. Dr. Vogel sah offenbar keine andere Möglichkeit mehr, seine Position durchzusetzen, als Klage einzureichen. Eine Klage, gerichtet auf Feststellung, dass die VG Wort zu Unrecht die Verlage (und bestimmte Urheberorganisationen) auf Basis von seines Erachtens fragwürdigen Verteilungsplänen an den Ausschüttungen beteilige und dadurch den Autoren-Anteil schmälere.

Das Landgericht München und trotz einer mittlerweile erfolgten Gesetzesänderung, die Abtretungen von Autorenansprüchen an die Verleger zur Ausschüttung durch die VG Wort erlauben sollte, gab Dr. Vogel recht. Es urteilte, die VG Wort sei nicht berechtigt, von den auf die Werke des Dr. Vogel entfallenden Erlösen einen pauschalen Verlegeranteil abzuziehen. Verlage verfügten nach dem Urheberrechtsgesetz über kein eigenes Urheberrecht, auch nicht, was genügen würde, über ein Leistungsschutzrecht.

Immer wieder einmal, und dies schmerzt im Nachhinein sehr, hätte es übrigens die Möglichkeit für die Verlagsbranche gegeben, wie die Zeitungsverleger ein solches Leistungsschutzrecht zu reklamieren. Nie aber griffen die Buchverlage zu, schien doch die jahrelange Praxis unanfechtbar. Im Nachhinein ist man immer schlauer und heute wäre man wohl froh, damals nicht nein gesagt zu haben, stützt der BGH doch auf eben dieses Versäumnis wesentliche Teile seiner Argumentation.

Nach den Niederlagen in vor den Münchner Gerichten wurde von der VG Wort der Bundesgerichtshof angerufen. Der wollte die Sache nicht entscheiden, ohne zuvor das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in einem ähnlich gelagerten Fall aus Belgien abzuwarten. Die EU-Richter stellten leider im Fall „Reprobel“ fest, dass die für Verwertungsgesellschaften maßgebliche EU-Richtlinie eine Verlegerbeteiligung an gesetzlichen Vergütungsansprüchen nicht vorsieht.

Beobachter hofften noch, der BGH werde in Kenntnis des „Reprobel“-Urteils das Vogel- Verfahren aussetzen und den EuGH auch damit befassen. Das hätte Zeit gegeben, auf nationaler und Europa-Ebene nach Lösungen für die verfahrene Situation zu suchen. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Der BGH hat heute in aller Deutlichkeit ausgeschlossen, dass auf Basis der aktuellen Gesetzeslage eine Beteiligung der Verlage an den VG Wort-Ausschüttungen erfolgen kann.

Nun müssen diffizile, durchaus langwierige politische Lösungsmöglichkeiten, die aber nur zukünftige Wirkungen entfalten können, unter großem Zeitdruck mit dem nationalen und dem europäischen Gesetzgeber diskutiert und umgesetzt werden. Wirtschaftlich jedoch wird das Urteil sofortige Auswirkungen haben. Die VG Wort hatte auf die sich zunehmend verdunkelnde Situation reagiert und angesichts der großen Unsicherheit, ob die Verteilungspraxis der VG Wort im Hinblick auf die Beteiligung von Verlagen in der bisherigen Form beibehalten werden kann, Ausschüttungen an Verlage für 2015 ausgesetzt.

Die Ausschüttungen seit 2012 standen bereits unter Rückzahlungsvorbehalt. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Rückforderungsansprüche nun exekutiert werden. Wie das in der Praxis aussehen soll, ist derzeit völlig offen. Wird es flächendeckend zu Rückforderungen kommen? Werden im Weigerungsfalle von der VG Wort die Gerichte gegen die eigenen Mitglieder bemüht werden? Wie sollen wie die zusätzlichen Einnahmen auf welche Autoren verteilt werden? Wozu sollen Verlage zukünftig noch in der VG Wort mitarbeiten und mitentscheiden, womöglich auch bei Rückforderungsbeschlüssen an sich selber? Ein wahrlich düsterer Tag für die Buchverlage in Deutschland, und damit indirekt, aber sehr schon bald unmittelbar zu spüren, auch für deren Autorinnen und Autoren. Ob Dr. Vogel das so gewollt hat?

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