„Meine liebe Jung“

Irgendwann hat Jan Weiler, der Chefredakteur des SZ-Magazins, geheiratet. Das tun ja viele Menschen. Doch der geborene Rheinländer hat in eine italienische Familie eingeheiratet. Als er sich seinem zukünftigen Schwiegervater, Antonio, vorstellt, kann er diesen, wegen des Gegenlichts, das im Wohnzimmer des Reihenhauses herrscht, erst mal gar nicht erkennen. Antonio, wissen wir da schon, „sei ein wenig anstrengend“, „manche fänden ihn wunderlich“, „eine Art Windmaschine, die aber nicht nur Luft bewege, sondern auch Herzen“. So beginnt Jan Weiler’s Buch Maria, ihm schmeckt’s nicht! – Geschichten von meiner italienischen Sippe (256 S., 9,- E., Ullstein Verlag, http://www.ullstein-taschenbuch.de). Was da zu Beginn wie die reinste Situationskomik anmutet, entpuppt sich im Lauf des Buches als die mindestens so berührende, wie immer wieder überraschende Lebensgeschichte von Antonio Marcipane. Dem Mann, der im Jahr 1961 als einer der ersten „Gastarbeiter“ aus dem italienischen Campobasso (ja, „in culo al mondo“ oder: irgendwo in der Nähe von Neapel) als gelernter Dreher und Schlosser nach Osnabrück kam. Dort in einer Wohnbarracke mit zwei Spaniern und einem Portugiesen untergebracht wurde, die Arbeit machte, die andere nicht machen wollten und schneller eins auf die Nase bekam, als ihm lieb war. Tonio, der Zeiträume in Handlungen misst (dauert so lange wie einkaufen) und ein ganz eigenes Rechensystem (Antonio-Zahl!) hat, beschließt, um nicht an Leib und Seele zu zerbrechen, in seinem eigenen Universum zu leben. Es verschlägt ihn – als Kellner – in eine Hühnerbraterei nach Oldenburg, dann in ein italienisches Restaurant nach Krefeld. Dort lernt er Ursula, seine zukünftige Frau kennen. Er wird, als Ausländer, missachtet, betrogen, hintergangen und erträgt alles mit einem beinahe unheimlichen Gleichmut. Weil ihm niemand eine Wohnung vermieten will, baut er seiner Familie ein Haus, weil er nur „Gast-Arbeiter“ ist, verdoppelt die Bank die Zinsforderung für den Baukredit usw. usf. Doch Antonio hält durch und an seiner Überlebensstrategie fest, bis heute, was immer wieder zu urkomischen Situationen führt. Ein Buch über das Fremdsein, auch im eigenen Land, über die fast vergessene Zeit des „deutschen Wirtschaftswunders“ und ein Buch, bei dem uns schon mal das Lachen im Hals stecken bleibt, weil die Tragik und die Komik des Alltags so nah beieinander liegen. Gut beobachtet und schön aufgeschrieben. Von einem der, wie Tonio so schön sagt, „keine dumme Salat ist“. STEFAN BECHT stefan@stefanbecht.de

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