Loseblatt rockt! Über die Lebendigkeit einer totgesagten Gattung

Diese Woche fand die 2. Exklusiv-Tagung Loseblattwerke unter der Moderation von Ehrhardt F. Heinold statt. Die 70 Teilnehmer diskutierten rund um das Thema „Loseblatt“ über Strategien, Konzepte und Ansätze. Ein Konferenzbericht von Michael Lemster.

Die 70 Tagungs-Teilnehmer diskutieren rund um das Thema „Loseblatt“

Glaubt man der öffentlichen Branchen-Meinung, dann ist Loseblatt eine Art Mumie, die in muffigen Büros von bebrillten Männlein verwaltet wird, bis sie zu Staub zerfällt. In den Archiven eines führenden Branchen-Magazins stammt der letzte Artikel, der das Wort „Loseblatt“ im Titel trug, von 1994. Seitdem wird das Thema intensiv beschwiegen und sein bloßes Überleben dem Beharrungsvermögen knorriger Alt-Juristen in der Verwaltung zugeschrieben. Loseblatt zu publizieren, das kommt dem Eingeständnis, Pornos herauszubringen, schon sehr nahe. Da sind Datenbanken schon viel hipper!

Kein Wunder, dass die Münchener Akademie des Deutschen Buchhandels vergangenes Jahr mit gedämpften Erwartungen an die Planung der „1. Exklusiv-Tagung Loseblattwerke“ ging. Umso größer die Überraschung, als über 50 Teilnehmer sich ansagten, begeistert reagierten und großenteils versprachen, bei einer eventuellen Folgeveranstaltung wiederzukommen. Diese, für den 27. Februar 2013 angesagt, war mit fast 70 Teilnehmern knackevoll, perfekt organisiert und durch Ehrhardt F. Heinold locker moderiert.

Wer nun meint, dass die „Loseblattler“ in München zusammenhockten wie die Urchristen in den römischen Katakomben, der irrt. Hier strotzt ein Markt vor Kreativität, Selbstbewusstsein und Zukunftsglauben. Selten erlebt man so wenig Gejammer, wenn es um Print geht. Warum?

Trotz dürftiger Faktenlage – es gibt keinerlei Zahlen über die Umsätze im Loseblatt-Geschäft – steht die Wichtigkeit des Segments für keinen der hochkarätigen Referenten infrage. „Print bezahlt mir mein Gehalt“, brachte es Thomas Lennartz, Leiter Forschung und Entwicklung von NWB, auf den Punkt.

Das Printgeschäft ist margenstark und weitgehend stabil, etwaige Rückgänge sind planbar, und parallele digitale Angebote haben darauf nur geringen Einfluss. Im Gegensatz dazu gelingt es fast überall, die Zielgruppe für Inhalte zu erweitern, wenn man beide Kanäle bespielt, während es im Allgemeinen scheitert, das Print-Angebot einzustellen und Kunden von Print auf Digital „umzuheben“. Die Konsequenz: Viele Verlage führen nach wie vor Dutzende von Loseblatt-Werken mit teilweise an die 100.000 Seiten und weit mehr als 1 Million € Jahresumsatz, denken aber die digitale Ausgabe mehr oder minder intensiv mit.

Selbst Online-Vorturner Wolters Kluwer hat 380 Loseblattwerke im Programm. Dass damit die Welt noch nicht in Ordnung ist und wo die Stellschrauben für mehr Wertschöpfung eingedreht werden müssen, darüber wurde 8 Stunden lang leidenschaftlich und offen – was laut Moderator Heinold zwischen Verlagsleuten viel zu selten geschieht – diskutiert.

Vielfach praktizierte Ansätze und Methoden:
die Ablösung von Print durch Digital als „Leitmedium“
die medienneutrale Datenhaltung
Kostenreduzierung in der Druckvorstufe

Thomas Bußmann präsentiert
Innovationen im Marketing

mehr Wirtschaftlichkeit im Fulfillment dank Outsourcing an spezialisierte Dienstleister
Crossmedialität in der Bezugsform (z.B. Herstellung von Tagesaktualität durch ergänzendes Online-Angebot oder Auslieferung des Gesamtwerks in beiden Formen)
„Mobilisierung“ der Inhalte im Sinne des Bedürfnisses nach Fachinformation „anytime, anywhere anyhow“
neue Abonnement-Modelle, die dem gestiegenen Wunsch der Kunden nach Transparenz und Planbarkeit der Kosten Rechnung tragen
Abkehr von der Verschleuderung digitaler Fachinformationen zum Zweck der Gewinnung von Reichweite
Innovationen im Marketing angesichts der sinkenden Wirkung klassischer Werbung (besonders eindrucksvoll exerziert von Wolters Kluwer mit seiner klaren Online-Marketing-Strategie und smart präsentiert von Thomas Bußmann, Leiter Jurion Management)
genauere Analyse des Kundenverhaltens und aller Rück-Kanäle
und – vielleicht am allerwichtigsten – eine neue Selbstdefinition: vom Informationsdienstleister zum Prozessdienstleister, vom Content Manager zum Kundenmanager.

Ist der Fachinformationshandel für all dies ausreichend qualifiziert und gut genug aufgestellt? Jörg Pieper, Leiter E-Content und Produktentwicklung bei Schweitzer Fachinformationen, ist davon überzeugt und schließt in diese Aussage auch seine kleineren Mitbewerber ohne Abstriche ein.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert