Kinderbuchverlage rüsten sich für den App-Markt

Kinderbücher als Apps: Gegen Jahresende erreicht uns eine Meldung nach der anderen aus den Verlagshäusern, die ihre Stoffe in neuer Form anbieten. Im Dezember-BuchMarkt hatten wir bereits auf die neue Entwicklung hingewiesen, für buchmarkt.de hat Margit Lesemann die Recherche fortgesetzt und viele Stimmen aus den Verlagen eingeholt.

Noch ist der Marktanteil digitaler Bücher gering, doch die Branche ist in Bewegung. „Das kommende Jahr wird durch Apps viele Veränderungen bringen, sie werden viel schneller kommen, als wir hierzulande vermuten“, bringt es Minedition-Verleger Michael Neugebauer auf den Punkt.

Das stellt auch die Kinder- und Jugendbuchbranche vor neue Herausforderungen. E-Books, also 1:1 umgesetzte Versionen ihrer gedruckten Bücher, bieten viele Verlage bereits an, doch mit den technischen Möglichkeiten der so genannten enhanced E-Books öffnen sich neue Möglichkeiten. Solche angereicherten digitalen Buchausgaben, die Apps, eignen sich für Smartphones und Tablet-Computer. Noch sind die meisten hierzulande nur auf dem iPad, dem iPod touch oder dem iPhone lesbar und somit an Apple gebunden. Doch es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis alle Anwendungen auch für Googles Betriebssystem Android verfügbar sind.

In vielen Verlagen herrscht Goldgräberstimmung. Zusammen mit Softwareunternehmen wie textunes und Zuuka arbeitet man an neuen Anwendungen. Die Bandbreite der Apps ist so breit gefächert wie die der haptischen Bücher. Hier und da bewegt sich was auf dem Bildschirm, man kann den Text einblenden und auf Wunsch lesen sich die Apps selbst vor.

Sie können aber auch mit Spielen und Zusatzinformationen angereichert sein. So werden die Apps zu Märchen der Brüder Grimm, die Michael Justus, kaufmännischer Geschäftsführer des S. Fischer Verlags, auf dem Berliner Kongress Homer 3.0 ankündigte, mit Spielmöglichkeiten und Sachgeschichten ergänzt.

Ralph Möllers

Terzio-Verleger Ralph Möllers sieht einen großen Markt für Kindersoftware auf mobilen Geräten. „Kaum ein anderer Anbieter verfügt auf dem Gebiet des interaktiven Edutainment über so viel Expertise wie Terzio“, betont er. Der Verlag nutzt diese Erfahrung nicht nur für die interaktive Umsetzungen der Lern-Software, er hat jetzt auch „Kurz der Kicker“ nach der Buchvorlage von Martin Baltscheit und Ulf K. in den App Store gebracht. Das interaktive Bilderbuch wird als „Hörbuch, Bilderbuch, Zeichentrickfilm und iPad-Spiel“ in einem angeboten.

„Wir nutzen alle Bedienungsmöglichkeiten“, so Möllers. „Dabei haben wir darauf geachtet, dass die Interaktionen den Lesefluss nicht stören.“ Die Grenze zum Computerspiel wird mit dieser Anwendung fließend. „Beide Bereiche, Buch und Spiel, gehen immer weiter ineinander über. Dafür bietet das iPad eine ideale Plattform“, sagt Möllers, der schon bald mit einer animierten Version von „Ritter Rost“ auf den Markt kommen will.

„Die Olchis“ als Multimedia-E-Book

Auch andere Verlage arbeiten mit Hochdruck an Apps. Zum Beispiel Oetinger. Der Verlag hat soeben das Bilderbuch „Die Olchis aus Schmuddelfing“ von Erhard Dietl für Kinder zwischen fünf und sieben Jahren aufs iPad gebracht. Man kann einzelne Figuren im Bild antippen, der Drache Feuerstuhl fliegt durchs Bild, Kinder winken, und es kracht und scheppert.

„Das iPad bietet uns ganz neue Möglichkeiten, die Wahrnehmung von Kindern zu fördern“ so Geschäftsführer Till Weitendorf. „Das klassische Bilderbuch, das in unserem Verlagsprogramm einen hohen Stellenwert hat, wird durch eine multimediale Version der erzählten Geschichte ergänzt und erweitert – ganz sicher eine ganz eigenständige und neue Produktform.“ Der Verlag arbeitet bereits an der Umsetzung weiterer Titel etwa von Paul Maar und Cornelia Funke. „Wir haben derzeit nicht vor, gleich eine ganze Masse von Titeln zu veröffentlichen, sondern suchen gezielt einzelne ‚Leuchttürme‘ für die Aufbereitung als App aus“, so Weitendorf.

Rita Bollig

In Deutschland, so schätzen Experten, besitzen etwa 200.000 Nutzer ein iPad. Bis Ende 2012 rechnen sie mit 2,5 Millionen Käufern. „Tablet-Computer werden schon bald ein Familiengerät sein, das auf dem Wohnzimmertisch liegt“, vermutet Rita Bollig, Leiterin von Bastei Entertainment. Neu sind bei Bastei Lübbe vier animierte Kinderbücher, die im iBookstore erschienen sind.

Darunter James Krüss‘ „Henriette Bimmelbahn“ und Klaus Baumgarts „Lauras Stern – Gutenacht-Geschichten“. Weitere sind für Anfang des Jahres in Vorbereitung. Die Apps sind mit einer Tonspur unterlegt und behutsam animiert, denn der Verlag will vor allem

„Lauras Stern“ als enhanced Bilder-E-Book

buchaffine Eltern erreichen, die sich für ihre Kinder eine sinnvolle und lehrreiche Kinderbeschäftigung wünschen. „Kinder haben keine Berührungsängste im Umgang mit den elektronischen Geräten und finden sich sehr schnell zurecht“, weiß Bollig aus eigener Erfahrung.

Frank Kühne, Programmleiter Marken im Carlsen Verlag, sieht das ähnlich. „Vor ein paar Jahren hätte man nicht vermutete, dass Dreijährige das Smartphone ihrer Eltern benutzen dürfen, aber das ist heute so. Für Kühne ist es eine Herzensangelegenheit als Ergänzung des physischen Bilderbuchprogramms auch den digitalen Markt zu bedienen. „Wir möchten verhindern, dass die Kinder in den neuen Medien nur schlecht gemachte amerikanische oder asiatische Daddelprogramme finden“, sagt er. „Carlsen hat tolle Inhalte, tolle Bücher und bekannte Reihen. Da ist es naheliegend, sie auch für mobile Endgeräte zu nutzen.“

Frank Kühne

Der Verlag arbeitet dabei mit Vorlesestimme, Geräuschen und moderaten interaktiven Elementen. „Wir müssen gewährleisten, dass die App wie ein Buch anmutet und nicht wie ein Computerspiel. Unsere App bleibt ein Bilderbuch“, sagt Kühne und spricht von „reizreduzierter Anwendung“. „Man muss nicht alles mitmachen, nur weil es technisch möglich ist. Kinder brauchen Raum für die eigene Rezeption.“

Carlsen startete in diesem Monat mit Apps der Figur „Conni“ für iPhone und iPad, und auch für die Kleinsten kündigt Kühne Bilderbuch-Apps an. Man darf gespannt sein, ob die

„Conni“ als App

erfolgreiche Pixi-Reihe dabei sein wird. In der Entwicklung arbeitet Carlsen mit verschiedenen Anbietern zusammen, darunter die Firma Zuuka, die für den Berliner Verlag Jacoby & Stuart die Leporello-Sachbücher für den Appstore aufbereiten.

Auch für Ältere will Carlsen in Kürze angereicherte digitale Bücher anbieten und so Inhalte auf die Medien bringen, die Jugendliche nutzen: „Wenn erst einmal die Zehnjährigen ein Smartphone mit Flatrate haben, öffnet sich der digitale Markt für Kinder- und Jugendbücher weit. In fünf Jahren werden vielleicht schon zehn Prozent der jugendlichen Leser auf elektronischen Geräten lesen“, sagt Kühne und warnt vor einer ähnlichen Entwicklung wie in der Musikindustrie.

„In Deutschland haben wir selbstbewusste Verlage, die den Weg in die digitale Zukunft gehen müssen. Sonst könnten Unternehmen aus den Bereichen Software, Hardware oder Telekommunikation ganz schnell der größte digitale Kinderbuchverlag werden“, so Kühne. Dennoch sollten die Verlage sich nicht von der Technik überrennen zu lassen: „Lesen ist eine Kulturtechnik, die einzigartige kognitive Kompetenzen und Werte bietet und die gilt es zu erhalten. Sind erst die richtigen Geräte auf dem Markt, werden Kinder und Jugendliche darauf auch lesen wollen und nicht nur daddeln und spielen.“

Michael Neugebauer sieht in den Apps auch eine Chance für die Backlist: „Ich hoffe, dass so manche tollen Bücher, die sich nicht im Buchhandel behaupten konnten – z.B. weil sie von kleinen Verlagen kamen und die Buchhandelsketten normalerweise deren Bücher ignorieren –, durch eine tolle App wieder ins Leben gerufen werden können und vielleicht den Durchbruch schaffen.“

Michael Neugebauer mit seiner Bilderbuch-App

Wenn nun Bruno Hächlers und Birte Müllers „Was macht ein Bär den ganzen Tag“ auf den Markt kommt, soll das auch den Erwachsenen großen Spaß machen. Auf der Frankfurter Buchmesse habe es so manchen von den Sitzen gerissen. Neugebauer schwärmt: „Minedition hat es sich in Zusammenarbeit mit Auryn zur Aufgabe gemacht, Super-Apps zu entwickeln, mit 3-D Animation, interaktiven Spielen und Anwendungen in verblüffenden Effekten, die den Inhalt des Buches in vielen Varianten durchspielen lassen. Dazu gibt es die Originalbilder in wunderbarer Auflösung – einfach schön.“

Ob die Verlage die Investitionskosten, die in der Regel bei etwa 3.000 bis 10.000 Euro liegen, aber auch schon mal mit 50.000 Euro oder mehr zu Buche schlagen, wieder einspielen können, ist offen. Für viele ist der Einstieg in den App-Markt vor allem eine strategische Entscheidung. Die Preise der animierten Bücher liegen in der Regel unter zehn Euro, und die Verlage nutzen die nicht preisgebundene Version, um mit Einführungspreisen zu experimentieren.

Es ist vieles in Bewegung – wohin die digitale Reise geht und für wen sie sich rechnet, weiß wohl noch niemand. „Wir werden alle noch sehr viel lernen müssen“, betont Neugebauer. „Die rasche Entwicklung treibt uns an, die Konkurrenz schläft nicht, jeder wird versuchen, den anderen zu überbieten. Nur eines wünsche ich mir: dass man die Apps nicht mit Büchern vergleicht, beide werden nebeneiander existieren und sind von ganz anderer Natur.“

Till Weitendorf

Bleibt die Frage, ob der Buchhandel auch am Geschäft mit den animierten Büchern beteiligt werden kann. Solange sie bei Apple zu haben sind, hat kein anderer Händler eine Chance. Steve Jobs schuf seinen eigenen Store und diktiert die Verkaufsregeln. Zwar wollen die Verlage ihre digitalen Titel auch als Android anbieten, doch erst wenn es die entsprechende Infrastruktur gibt, wird der Buchhandel Apps über seine Website und entsprechende Plattformen verkaufen können.

Till Weitendorf sieht noch eine weitere Möglichkeit: „Es sind Modelle denkbar, die etwa elektronische und Printausgabe miteinander verbinden und damit den Buchhandel weiterhin mit einbeziehen“, sagt er. „Im Übrigen gehen wir davon aus, dass der Markt mit elektronischem Content nicht zu Lasten des stationären Buchhandels mit Printausgaben gehen, sondern ganz andere Käufergruppen erschließen wird.“

ML

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