Gustav Ernst – brauchen wir jetzt auch noch einen österreichischen Buchpreis?

Freitags um fünf: Was bewegt jetzt die Branche? Michael Lemsters Frage der Woche an Autor und Kolik-Herausgeber Gustav Ernst.

Angesichts der „immer ruckartigeren, monopolhafteren Durchschleusung von Neuerscheinungen durch den Buchhandel und die Medienrezeption“ sei die Einrichtung eines Österreichischen Buchpreises dringend geboten, haben Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft österreichischer Autoren, und der Autor und Herausgeber der Literaturzeitschrift Kolik, Gustav Ernst, in einem Brief an den Hauptverband des Österreichischen Buchhandels (HVB) formuliert.

Eine Auszeichnung als retardierendes Element – kann das funktionieren?

Gustav Ernst
© Gerhard Kresser
Theater KOSMOS

Gustav Ernst: Ich sehe es in diesem Fall, zumindest für den Anfang, eher als ein dynamisierendes Element.

Österreich hat den für den ganzen deutschsprachigen Raum bedeutsamen Bachmann-Wettbewerb und wählt jährlich die Buchlieblinge – ist da ein neuer Preis nicht ein bisschen inflationär?

Gustav Ernst: Der Bachmann-Preis ist erstens kein Buchpreis und zweitens fest in bundesdeutscher Hand. Er ist eine pompöse PR-Veranstaltung der bundesdeutschen Verlage, die hier die Bücher ihrer Herbstproduktion bewerben und dafür ihre Autoren ins Rennen schicken. Die ständig wiederholte Behauptung, hier würden die besten deutschsprachigen Texte präsentiert, ist eine der abgefeimtesten Lügen des Betriebs und nichts als ein Werbegag. Die Texte werden von Jahr zu Jahr erbärmlicher. Je fader und grauenhafter sie sind, je entfernter von jeglicher Literatur, umso zynischer und verlogener werden sie von der Jury als tolle Texte gefeiert. „Bedeutsam“ ist die Bachmannpreis-Inzenierung nur für Verlage und für Juroren, nicht für die Literatur. Vielmehr bringt er die Literatur vollends um. Er gehört abgeschafft. Österreichische Literatur und österreichische Verlage haben hier so gut wie keine Chance.

In Deutschland und der Schweiz werden die Buchpreise mit einem Riesenaufwand an Logistik gestemmt: Knochenarbeit für eine hochkarätige Jury, großflächige Einbindung der Medien: Haben Sie Partner, sprich Sponsoren, für Ihre Idee?

Gustav Ernst: Wenn der österreichischen Literatur- und Buchbranche endlich bewusst wird, wie überlebensnotwendig es für sie ist, der bundesdeutschen Dominanz, dem bundesdeutschen Literaturgeschmack, der dem österreichischen vollkommen verständnislos gegenübersteht und ihn auch überall auszustreiben sucht, Widerstand zu leisten, dann werden wir alles finden, was wir für einen solchen Preis brauchen.

Notfalls, so heißt es, würde der HVB die finanziellen Mittel für den Buchpreis aus eigener Kraft aufbringen. Das klingt, als sei die Entscheidung, dass es diesen Preis geben wird, bereits gefallen?

Gustav Ernst: Nein, die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Es braucht hier immer eine Weile, bis man aufwacht, das Problem sieht, seine Tragweite abzuschätzen weiß und seinen Hintern bewegt.

Viele österreichische Autoren erscheinen in deutschen Verlagen und nehmen damit auch am Wettbewerben um den Deutschen Buchpreis teil. Ist das nicht eigentlich genug?

Gustav Ernst: Viel mehr österreichische Autoren erscheinen in österreichischen Verlagen und nehmen somit nicht am Deutschen Buchpreis teil. Denn der Deutsche Buchpreis ist ein Preis der deutschen Verlage. Es werden damit in erster Linie deutsche Verlage gefördert und ihre Autoren. Österreichische Autoren in deutschen Verlagen werden daher mitunter ausgezeichnet, österreichische Autoren in österreichischen Verlagen eher selten und interessanterweise dann auch eher nicht-österreichische Autoren.

In Deutschland ist die Corine wieder eingegangen, und für den Deutschen Buchpreis ist die Sparkassen-Stiftung Frankfurt turnusmäßig als Sponsor ausgestiegen – das klingt nicht nach einer guten Zeit für Sponsorensuche für einen Buchpreis?

Gustav Ernst: Klar, wenn in Österreich niemand dafür Geld locker machen möchte, dann gibt es keinen Preis, und das Desaster, die Marginalisierung der österreichischen Literatur geht ungebremst weiter. Dafür reicht die ökonomische Macht der deutschen Verlage und die Hegemonie des ihnen vollkommen ausgelieferten und hörigen Feuilletons allemal.

Wie schätzen Sie die Wahrnehmung österreichischer Autoren in Deutschland, dem wichtigsten Markt auch für österreichische Autoren, ein?

Gustav Ernst: In der deutschen Wahrnehmung sind die österreichischen Autoren/Autorinnen im besten Fall kurios, putzig und skurril. Vor allem aber in zu fürchtender Weise sinnlos innovativ, schräg und sprachverspielt, politisch unkorrekt, unverständlich witzig, respektlos und anarchistisch, grauslich, gewaltverliebt, katholisch sexuell fixiert und pervers, obszön und vulgär, überhaupt ungut sinnlich und körperlich, und somit leser-, menschen- und verkaufsfeindlich. Die Österreicher haben eben keine anständige, ernsthafte, tragische und vernunftbegabte deutsche Seele. Wie sollte da ihre Literatur, gemessen an der deutschen, eine besondere Bedeutung haben?

Mit seiner Firma alVoloConsult berät Michael Lemster Verlage, E-Commerce-Unternehmen, Buchhändler und Dienstleister bei Geschäftsentwicklung, Programm, Business- und Datenprozessen. Stammdaten und deren Qualitätssicherung sind sein Spezialgebiet. Daneben publiziert er in Fach- und Publikumsmedien.

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