Dreitägige Konferenz in Tutzing zum Thema „Freiheit für die Literatur?“

„Freiheit für die Literatur?“ heißt das dreitägige Symposion, das gestern abend in der Evangelischen Akademie in

Uwe Wittstock

Tutzing begann. Damit ist ein Thema aufgegriffen, das die literarische Öffentlichkeit immer mehr beschäftigt; aber wie schon der erste Abend in Tutzing zeigte, wird es schwer (in Wahrheit: unmöglich) werden, die verschiedenen Positionen unter einen Hut zu bringen.

Prozesse um Buchverbote – ganz hoch im Kurs stehen heutzutage Klagen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen – sind ein neues lukratives Geschäftsfeld für einige Anwälte (und BuchMarkt veranstaltet deshalb zur Leipziger Buchmesse sein traditionelles Praxis-Seminar zum Thema „Neue Zensur in Deutschland – und wie man sie umgeht“ mit Rainer Dresen und Dr. Konstantin Wegner [mehr…]).

Eigentlich gab es diesen Streit um Persönlichkeitsrechte versus Kunstfreiheit ja immer – aber erst heutzutage hat eine regelrechte (und sehr lukrative) Vermarktung begonnen. Wir erinnern uns: „Dieses idiotische Schwein soll Ähnlichkeit mit meiner geringen Person haben“, notierte dazumal Gerhart Hauptmann in seinem „Zauberberg“-Exemplar – und war stinksauer auf Thomas Mann. Denn Hauptmann und viele andere vor und nach ihm dienten als „Schablone“ für eine literarische Figur – in besagtem Falle (in der Figur des Mynheer Peeperkorn) sozusagen auch noch eineindeutig gezeichnet.

„In jüngster Zeit erhält die Frage nach den Grenzen von Kunst und Leben, nach dem Schutz der Intimität zunehmend an Bedeutung“, begründete Tagungsleiterin Karin Andert die Aktualität des Tutzinger Symposiums. Die Auslieferung (mindestens) zweier Romane, vor allem aber die Prozesse um „Esra“ von Maxim Biller und „Meere“ von Alban Nikolai Herbst – letzterer Teilnehmer und Referent des Symposiums – zeigen: Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind leicht zu bewerkstelligende Verbotsgründe. „Was ist geschehen, was hat sich verändert gegenüber den Zeiten Thomas Manns, der sich seiner Personnage zumindest im Vorfeld bedenkenlos bediente?“ fragte Andert.

Zu Eröffnung sprach gestern in Tutzing Dr. Uwe Wittstock, Kulturkorrespondent der WELT, zum Thema „’Esra’ – Vom Unterschied zwischen Fakten und Fiktionen“. Wittstock verwies auf das Problem, dass Landgerichte, wo derartige Verfahren ihren Ausgang zu nehmen pflegen, eine „sehr grobe Elle“ anlegen und warnte vor einer Neuerung in der juristischen Betrachtung solcher Fälle: Bei Klaus Manns „Mephisto“-Roman (und die Rechtssprechung heute stützt sich allenthalben genau auf diese uralten Pozesse) galt als Verbots-Argument noch, dass der Betroffene einer großen Mehrzahl der Bürger bekannt war – inzwischen hat sich die Rechtssprechung darauf festgelegt, dass man nicht mehr „prominent“ sein muss, um Persönlichkeitsrechtsverletzungen (erfolgreich) einzuklagen.

Aber: Wo ist da der Anfang, wo ist das Ende? Hat der provokative Autor Biller in „Esra“ die Grenzen zu sehr ausgetestet und eine gezielte Ehrabschneidung begangen? Darf er sich künstlerische Freiheit berufen? In der Diskussion wurden so ziemlich alle Pro- und Contra-Meinungen deutlich, und das mag ein Vorgeschmack auf den Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht sein, den Billers Verleger Helge Malchow anstrengt: Der Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Unantastbarkeit der Persönlichkeit scheint schwer fassbar und deshalb kaum lösbar.

Bis Sonntag werden in Tutzing zahlreiche Themenkomplexe um Freiheit oder Einengung der Kunst diskutiert. „’Nicht zitierfähig’ – Editorische Fragen“ – heißt der Vortrag von Dr. Thomas Sprecher, Leiter des Thomas-Mann-Archivs, Zürich am Samstag. Danach fragt Dr. Eva Inés Obergfell, Rechtsanwältin von der TU München: „Was darf Literatur? Zum Konflikt von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz“. „Buddenbrooks, Bilse und Biller – Thomas Mann, der Schlüsselroman und die Kunstfreiheit“ ist Thema von Dr. Michael Ansel von der LMU München, „Was kann Literatur?“ fragt der Berliner Essayist und Kritiker Sebastian Kiefer, und abgeschlossen wird der zweite Tag mit einer Lesung von Georg M. Oswald.

„Verlagslastig“ ist der letzte Tag der Konferenz: Über „Persönlichkeitsrechte und Verlagsinteressen“ referiert Eckhard Kloos, kaufmännischer Leiter im Rowohlt Verlag. Danach ist Kiepenheuer & Witsch-Verleger Helge Malchow dran, der im Fall „Esra“ bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen ist [mehr…]: „Hier wird ein Präzedenzfall verhandelt, der festlegt, welches von zwei miteinander konkurrierenden Grundrechten schwerer wiegt und welche Freiräume der Kunst in Deutschland zugestanden werden.“ Allerdings ist die Verhandlung bislang zweimal vertagt worden. Malchow spricht über „Was kann – darf, soll Literatur“.

Abschluß der Veranstaltung: eine Lesung von Alban Nikolai Herbst – sein Verbotsfall von „Meere“ bei marebuch ist von den Kritikern immer gern unbesehen in den „Biller-Topf“ geworfen worden, dabei stimmen nur Äußerlichkeiten überein. Man darf gespannt sein, welchen Text er für diese Veranstaltung auswählen wird.

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