Andreas Auth: wie wichtig ist ein durchgängiges IT-System für die Zukunftssicherung mittelständischer Verlage?

Freitags um fünf: Was bewegt jetzt die Branche? Michael Lemsters Frage der Woche an Andreas Auth und Martin Treu, WBG-Geschäftsführer und -CIO.

Der studierte Wirtschaftswissenschaftler Andreas Auth begann seine Laufbahn bei Conlibro und hat seit 1994 Führungsfunktionen bei der WBG. Sein Bereichsleiter IT Martin Treu war zuvor beim Spezialisten für Automatenverpflegung Maas International Deutschland verantwortlich für EDV-Client-Server, ERP, Telekommunikation und Zahlungs- und Kassensysteme.

Andreas Auth, was ist das Besondere am Geschäft der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft?

Andreas Auth

Andreas Auth: Die WBG hat einige Besonderheiten aufzuwarten, die sie von vielen Unternehmen der Buchbranche unterscheiden. Zuallererst ist die WBG ein Verlag in Form eines Vereins. Mitglieder dieses Vereins müssen einen Vereinsbeitrag zahlen und mindestens einen Artikel pro Jahr beziehen. Im Gegenzug erwarten die Mitglieder, dass nahezu alle Bücher mit einem deutlichen Preisvorteil gegenüber dem gebundenen Ladenpreis angeboten werden. Das Angebot besteht zum Großteil aus selbst verlegten Publikationen, ergänzend führen wir Lizenzausgaben renommierter Verlage sowie Bücher zum gebundenen Ladenpreis…

… also Handelsware…)

Andreas Auth: … und auch Nonbook-Artikel. Insgesamt arbeiten wir ähnlich wie ein Buchversandunternehmen, mit einer eigenen Versandlogistik. Nahezu alle Bücher, die wir selbst verlegen, verkauft die WBG jedoch auch zusätzlich zu einem höheren, dann gebundenen Ladenpreis im Buchhandel. Diese Artikel werden, wenn sie über den Buchhandel verkauft werden, über die Verlagsauslieferung KNO-VA in den Handel gebracht.

Verlagsproduktion für den Handel plus Versandhandel mit eigener und fremder Ware – das finden wir noch an anderer Stelle – aber was machte den IT-Bedarf der WBG so speziell und so schwierig zu decken?

Andreas Auth: Das ist relativ leicht zu erklären. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen verkaufen wir unsere Bücher und Produkte an unterschiedliche Zielgruppen (Mitglieder, Nichtmitglieder, Buchhandlung, Institutionen etc.) in unterschiedlichen Vertriebskanälen zu unterschiedlichen Konditionen: Hier gibt es viele Kombinationen, die möglich sind, wie z.B. Verkauf der Eigenpublikationen nur exklusiv an Mitglieder oder Verkauf auch an Nichtmitglieder und/oder zusätzlich im Buchhandel zu unterschiedlichen Preisen. Lizenzausgaben von Fremdverlagen werden nur an WBG-Mitglieder – mit oder ohne Vergleichspreis – verkauft, Handelsware ohne oder mit Vorzugspreis (bei Preisaufhebungen), exklusiv oder nicht exklusiv für Mitglieder. Hier sind nahezu alle Kombinationen möglich! Subskriptionsangebote mit und ohne Reihen- und Serienpreise runden diese Darstellung ab. Nicht zu vergessen, dass dies alles für unterschiedliche Verlagslabels Theiss, Zabern, Lambert Schneider und auditorium maximum mit ihren vertrieblichen Besonderheiten ergänzt werden kann und auch digitale Produkte mit digitalen Vertriebswegen abgedeckt werden müssen.

Lange behalfen Sie sich mit einer Kombination von Systemen, wobei die Auftragsabwicklung auf Basis einer Siemens BS 2000 lief. Beschreiben Sie doch bitte mal kurz, wie die zentralen Abläufe waren.

Martin Treu

Martin Treu: Die BS 2000 war ein komplett auf die Bedürfnisse der WBG entwickeltes EDV-System, bei dem alle Prozesse der WBG mehr oder weniger fest und unflexibel auf Basis der Programmiersprache COBOL programmiert wurden. Gerade was Direktmarketinganforderungen betrifft, wurde das System über Jahrzehnte verbessert. Über Schnittstellen angebunden war zu Beginn lediglich die Buchhaltungssoftware, später dann eine Mediendatenbank, dann das Dokumentenmanagementsystem Habel, das Output-Management-System Printmachine sowie eine – für die damalige Zeit – anspruchsvolle Internetshop-Anbindung sowie weitere Subsysteme.

Wie lange ging das gut?

Andreas Auth: Spätestens Mitte der neunziger Jahre setzte im Medienbereich, ausgelöst durch die Revolution des Internets, eine unglaubliche Dynamik ein, die alle Bereiche eines Verlags betraf. Im Kern natürlich Herstellung, Lektorat und Vertrieb und alle damit verbundenen administrativen und Finance-Prozesse. Diese Veränderung in einem zwar sehr leistungsstarken und stabilen, gleichzeitig aber doch unflexiblen EDV-System nachzuvollziehen, war kaum möglich.

Wann fingen Sie an, sich für ein durchgängiges IT-System zu interessieren?

Andreas Auth: Als ich 2002 als Geschäftsführer bestellt wurde, war klar, dass eine der größten Herausforderungen die Ablösung des Altsystems war. Aufgrund eigener Erfahrung, vieler Berichte von Verlagskollegen sowie Beratern war es gemeinsames Ziel der Geschäftsleitung und des Vorstands, eine integrierte Anwendung möglichst nahe am Software-Standard mit möglichst wenigen, standardisierten Schnittstellen einzuführen.

Sie haben mehrere in verschiedenen Branchen marktführende Systeme sehr intensiv evaluiert – bis hinein in konkrete Projekte. Was war jeweils der Show-Stopper?

Andreas Auth: Aufgrund der beschriebenen Komplexität war es schwierig, eine Software zu finden, die alle wesentlichen Merkmale unseres Geschäftsmodells beinhaltete: Versender, klassischer Buchverlag mit zwei Zeitschriften, Buchgemeinschaft mit Vorteilspreisen, Verein mit Beitragsverwaltung sowie unterschiedlichste Kundengruppen und Produktarten. Entweder waren die Lösungen zu eingeschränkt oder zu mächtig, so dass sie für ein mittelständisches Unternehmen nicht umsetzbar oder finanzierbar waren. Gleichzeitig war es uns wichtig, eine gewisse Investitionssicherheit zu haben, so dass auch hier verschiedene Softwarelösungen oder Dienstleistungspartner ausgeschieden sind.

Ihre Reise endete schließlich bei Kumavision Medien, einer Verlagslösung auf der Basis von Microsoft Dynamics NAV– gern aus alter Gewohnheit als Navision bezeichnet. Was war da anders?

Martin Treu: Ein großer Pluspunkt bei Microsoft Dynamics NAV war die bereits vorhandene Branchenlösung für Verlage und die in Navision vorhandene Flexibilität, einzelne Prozesse spezifisch anzupassen, ohne dabei die Updatefähigkeit zu verlieren.
Als weitere Pluspunkte sahen wir die hohe Investitionssicherheit, die durch den Hersteller Microsoft gegeben ist. Das bereits vorhandene Know-how von Kumavision in der Verlagsbranche beeinflusste die Entscheidung ebenfalls in Richtung Microsoft Dynamics NAV.

Sie haben den großen mittelständischen Implementierer Kumavision gewählt, der mit seiner Branchenlösung mehrere wichtige Verlage bedient. War in dieser Lösung schon alles drin, was Sie brauchten?

Andreas Auth: Wir haben uns seinerzeit die im Einsatz befindliche Lösung beim DTV Verlag angesehen. Wichtige verlagsrelevante Funktionen waren hier schon umgesetzt. Weitere Funktionen konnten von anderen, eher verlagsfremden Anwendungen übernommen werden. Gemeinsames Ziel von Kumavision und WBG war es jedoch, durch das sehr umfangreiche Projekt der WBG viele Anforderungen durch die WBG im Detail kennenzulernen, um die NAV-Verlagslösung deutlich zu erweitern, damit sie für viele Verlage mit ganz unterschiedlichen Anwendungsfeldern einsetzbar ist.

Wie lang dauerte es vom ersten Scoping Workshop bis zum vollständigen Go-Live?

Andreas Auth: Insgesamt haben wir von der Vertragsunterzeichnung bis zur Einführung rund drei Jahre benötigt. Deutlich länger als ursprünglich geplant. Rückblickend muss ich sagen, dass der Zeitplan von beiden Partnern – WBG und Kumavision – sehr ambitioniert und zum Teil unrealistisch war, wenn man an den großen Projektumfang und die Anzahl der eingeführten Module sieht. Aufgrund der damals vorliegenden Anforderungsbeschreibung der WBG musste ja im Rahmen des Projektes ein Pflichtenheft erstellt und abgenommen werden. Erst im Anschluss ging es an die Umsetzung, die Tests, die Abnahme des Systems und die Schulung der Mitarbeiter.

Es ist anzunehmen, dass Sie viel Geld in die Hand nehmen mussten – für ein mittelständisches Verlags- und Versandunternehmen sicherlich nicht ganz leicht zu bewältigen. Welche Rolle spielte für Ihre Entscheidung der Preis?

Andreas Auth: Uns war bewusst, dass wir die benötigte Lösung nicht für kleines Geld bekommen würden, auf der anderen Seite kann ein Unternehmen unserer Größe keine Investition stemmen, wie sie große, zum Teil international agierende Verlagsgruppen tätigen. Was die WBG betrifft, so sind wir an die Grenze des Machbaren gegangen, in der Hoffnung, dass Synergien und Kosteneinsparungen kurz- und mittelfristig die Amortisation beschleunigen. Ein Teil dieser Planungen ist eingetroffen. Gleichzeitig sehen wir, dass Navision wie jede Verlagssoftware mit großem Funktionsumfang eine komplexe Anwendung ist, die gehegt und gepflegt werden muss, wenn man ihr volles Potenzial ausschöpfen will: Eine Vielfalt von Datenfeldern muss gefüllt und viel stärker als in der Vergangenheit abteilungsübergreifend abgestimmt werden. Den dafür notwendigen finanziellen und personellen Einsatz sollte man in keinem Fall unterschätzen.

Gab es im Projektverlauf finanzielle „Überraschungen“?

Andreas Auth: Sicherlich: So beispielsweise die Datenübernahme und alle damit verbundenen Probleme, deren Lösungen deutlich schwieriger und teurer waren, als wir ursprünglich angenommen haben. Auch die Kosten in der Phase nach Going Live mit den benötigen Anpassungen und Optimierungen sowie die dadurch notwendige Begleitung durch die Mitarbeiter von Kumavision waren deutlich höher als geplant.

Und das Pflichtenheft ist heute zur Zufriedenheit abgearbeitet?

Andreas Auth: Die meisten Kernfunktionen sind eingeführt und es müssen nur noch Details fertiggestellt werden. Zeitlich zurückgestellt wurde die Einführung des Zeitschriftenmoduls inkl. der Aboverwaltung sowie die Auslieferung der beiden Zeitschriften, weil wir uns dazu entschlossen hatten, die Tochterverlage direkt in die WBG zu integrieren. Außerdem arbeiten wir derzeit intensiv an der Einführung eines neuen Internetshops – IBM Websphere Commerce -, der ebenfalls mit Unterstützung von Kumavision an Navision angebunden werden muss. Dieses Projekt fordert alle drei beteiligten Partnerunternehmen sehr stark, so dass manch Wünschenswertes hintenan stehen muss.

Wie hoch ist in der täglichen Arbeit die Integration von Office-Anwendungen in MS Dynamics-Anwendungen? Wie wirkt sich das aus auf die Produktivität?

Martin Treu: Die hohe Integration der Office-Produkte, wobei hier Microsoft Excel hervorzuheben ist, erleichtert die tägliche Arbeit enorm. Sämtliche in NAV angezeigten Tabellen bzw. Analyseansichten können per Klick nach Excel exportiert und weiter verarbeitet werden. Dies unterstützt enorm im Bereich von ad-hoc Analysen. Die Integration von Microsoft Word ist ebenfalls hilfreich und wird in der Korrespondenz mit unseren Kunden häufig eingesetzt.

Und auf die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Andreas Auth: Trotz intensiver und vielfältiger Schulungen war die Umstellung für die Mitarbeiter nicht einfach. In der Zwischenzeit haben sich viele Bedenken relativiert und die Akzeptanz ist deutlich gestiegen. Trotzdem ist es noch ein langer Weg, bis alle Daten des Systems, alle Prozesse und alle Funktionen so in NAV abgebildet sind, dass ein hochperformantes Arbeiten möglich ist und die Vorteile voll gegenüber den Mitgliedern und Kunden ausgespielt werden können.

Haben sich die Ansprüche an den Funktionsumfang einer Verlagssoftware in den letzten Jahren verändert?

Andreas Auth: Am Beispiel der WBG sieht man, wie wichtig ein gutes CRM ist, um seine Kunden, insbesondere die Endkunden, mit den richtigen Produkten zu erreichen. Werblich und vertrieblich – gerade was den digitalen Vertrieb betrifft – gab und wird es in den kommenden Jahren immer wieder Handlungsbedarf geben.

Der Markt ist in der Zwischenzeit nicht stehen geblieben, und damit die Notwendigkeit der Anpassung. Auch Sie haben sich in der Unternehmensgruppe auf die Suche nach Synergien gemacht – war das in der Umsetzungsphase des MS Dynamics-Projekts schon absehbar?

Andreas Auth: Was die verlegerischen und vertrieblichen Veränderungen im Markt, bezogen auf die WBG, betrifft, machte es für die WBG-Verlagsgruppe keinen Sinn mehr, die rechtlich eigenständigen Töchterverlage als eigenständige Mandanten abzubilden. Aufgrund der programmatischen Nähe der Verlage, aber auch großer Überschneidungen im Debitoren- und Kreditorenstamm machte es Sinn, die oben angesprochene „Voll-Integration“ zielstrebig umzusetzen. Die Erfahrung mit Navision hat uns gezeigt, dass weniger Schnittstellen, mehr Integration und mehr Standards das verlegerische Geschäft deutlich vereinfachen, gerade auch im Hinblick auf die digitalen Produkte. Durch die Integration konnten wir uns erhebliche Aufwendungen ersparen.

Wie haben sich an diesem Punkt das System und die Zusammenarbeit mit Kumavision bewährt?

Andreas Auth: Diese Entscheidung ist letztendlich partnerschaftlich und in enger Abstimmung mit Kumavision getroffen worden, da wir finanzielle, personelle und zeitliche Folgen kalkulieren und uns auf dieser Basis gemeinsame committen mussten. Die Entscheidung war sicherlich richtig, weil sie die Komplexität der Systeme ein deutliches Stück reduziert hat. Insgesamt betrachtet haben wir uns für den richtigen Partner entschieden.

Was erwarten Sie für die kommenden Jahre für Ihr Geschäft, und welchen Stellenwert hat MS Dynamics darin für Sie?

Andreas Auth: Wir werden unsere Geschäftsmodelle konsequent auf die digitale Welt mit Blick auf unsere Vereinsmitglieder und Kunden übertragen. In weiteren Schritten werden wir ergänzende Geschäftsmodelle aufbauen, die die Bedürfnisse unserer Kunden noch besser befriedigen werden. Wir sind überzeugt, dass wir dadurch den Kerngedanken des Vereins stärken und die Mitgliederbasis deutlich erweitern können. Dies wird sich sicherlich auch auf die Verbreitung unserer gedruckten Werke positiv auswirken. Ohne eine leistungsstarke und flexible Software sind solche Entwicklungen und Veränderungen für ein modernes Medienunternehmen nicht denkbar.

Mit seiner Firma alVoloConsult berät Michael Lemster Verlage, E-Commerce-Unternehmen, Buchhändler und Dienstleister bei Geschäftsentwicklung, Programm, Business- und Datenprozessen. Stammdaten und deren Qualitätssicherung sind sein Spezialgebiet. Daneben publiziert er in Fach- und Publikumsmedien.

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