Zum Wochenende Alle’s nicht so schlimm?

Die Sprache lebt. Ständig werkelt an ihr ein Geist mit einem Werkzeug in Gestalt eines winzigen, gekrümmten Häkchens. Er hat uns Susi’s Hundesalon beschert und Otto’s Würstchenstand und was der bedeutenden Institutionen mehr sind.

Und weil es so schick zu sein scheint, dieses S mit Apostroph, breitet es sich weiter aus. Movie’s und Birdie’s und Room’s sind in gewissen Milieus längst zur Regel geworden und demonstrieren, dass die durch massenhaften Gebrauch offenbar sanktionierte Schlechtschreibung weiter auf dem Vormarsch ist. Jedes Häkchen ziert den Schreiber und verleiht ihm einen Hauch von Weltläufigkeit: Die Ami’s machen’s ja auch so.

Kurz: Die Sprachverwilderung in deutschen Landen ist unübersehbar. Und sie wurde zum erfolgsträchtigen Thema. Jedes Kind weiß heute dank Bastian Sick, dass „der Dativ dem Genitiv sein Tod“ ist. (Nebenbei gefragt: Warum spricht heute eigentlich niemand mehr von Eike Christian Hirsch und seinen kritischen, von Einfällen sprühenden Texten in „Deutsch für Besserwisser“?)

Aber nicht nur Hirsch und Sick mit seiner mittlerweile zweibändigen (und zunehmend belehrend ausgerichteten) Auflistung nehmen sprachliche Unarten aufs Korn. Man schaue nur ins Netz. Mit wunderbarem Elan, sagenhaftem Fleiß, wissenschaftlicher Akribie und stets auch einer gehörigen Portion Wut im Bauch werden da abwegige Entwicklungen der deutschen Sprache gegeißelt. Zu den bevorzugten Objekten gehört eben jene sich geradezu epidemisch verbreitende Lust (oder ist es vielmehr ein zwanghaftes Verhalten?), einen Apostroph an jede nur denkbare Stelle eines Wortes (und nicht nur dorthin) zu setzen – so wie der Rüde keine Gelegenheit auslässt, sein Bein zu heben.

Pari’s schießt den Vogel ab

Da ist im Netz beispielsweise ein veritables „Kapostropheum – Die Kapostroph-Gruselgalerie“ eingerichtet www.apostroph.de mit rund 30 „Links zu verwandten Seelen“ als da sind „Die Apostroph-S-Hass-Seite“, „Der Deppenakzent“, „Deutschland’s dümm’ste Apostrophe“ und so manche Seite mehr, die zu Belustigung wie auch Staunen und Entsetzen Anlass gibt. Man klickt sie an und denkt nur noch: armes Deutsch(land)! In einem Wettbewerb der Scheußlichkeiten schoss Pari’s den Vogel unter den Missbildungen ab.

An kaum schlimmeren Beispielen fehlt es nicht. Die’s und Das gibt einem Räts’el auf: Wer setzt all die Büro’s, Room’s, Test’s und Link’s, die Auto’s und Single’s als Highlight’s einer neuen Orthografie in die Welt? Ich würde niemal’s mit Osterhas’i und ihren Friend’s im Bahnhof’s-Imbiss Schwein’swürst’l essen. Ist das O’K? Und die weitere Frage: Wann wird der Duden einknicken und unter dem Druck massenhaften Auftretens zumindest einige dieser Formen sanktionieren?

In der Gruselgalerie finden sich übrigens auffallend viele Beispiele aus München. Man muss annehmen, dass sich dort Einheimische wie Zugereiste einbilden, besonders „boarisch“ zu schreiben, wenn sie im Land der Maderl’n und Schmankerl’n den Deppenakzent setzen.

Bemerkenswert immer wieder, wie viele Sprachbewusste – man möchte fast sagen: Kammerjäger – unterwegs sind, die solche Exemplare sammeln und im Netz zur Schau stellen. Aber man muss befürchten, dass das Alle’s für die Katz (so der sinnige Name einer Münchner Handlung für Tierbedarf) sein könnte. Vielleicht jedoch breitet sich irgendwann die Botschaft von der Dümmlichkeit solcher Mätzchen aus, und das Häkchen wird abgehakt. Vorerst aber schwappt die Häkchensucht (man spricht inzwischen von infektiöser Apostrophitis) weiter über das Land.

Häkchen jetzt im Doppelpack

Und es bleibt nicht bei dem schlichten Häkchen: Es tritt jetzt, „voll trendy“, auch im Doppelpack auf. Die Rede ist vom Anführungszeichen, einem Zeichen mit wichtiger Signalfunktion, dessen Anwendung – wie auch die des Apostrophs – vor allem in typografischer Hinsicht eine eigene Wissenschaft darstellt – http://de.wikipedia.org/wiki/Anführungszeichen.

Gemeint ist in diesem Zusammenhang jedoch ein Missbrauch, eine Manie, die besonders im kommerziellen Bereich zunehmend auftritt und den Schreiber letztlich in die Pfanne haut: Wenn ein Bäcker in München „Frische“ Faschingskrapfen oder ein Berliner Restaurant Frisch zubereitete „Salate“ in Anführungsstrichen offeriert, muss sich der potenzielle Gast wohl von vornherein angeführt vorkommen und wird     verzichten. Und wenn ein Gasthof auf einem Schild am Haus „Zimmer“ offeriert, weiß der des Lesens Kundige wohl auch, was ihm blüht.

Während es im Netz für die Absonderlichkeiten im Gebrauch von überflüssigen Apostrophen (siehe oben) und fehlendem Bindestrich (Hals Nasen Ohren Praxis) eine Fülle von Beispielen gibt (siehe www.agopunktion.de), hat man merkwürdigerweise das verräterische (rein orthografisch unverdächtige) Doppelhäkchen nur vereinzelt im Visier.

Nach neuesten Recherchen hat sich das Doppelhäkchen-Virus übrigens von einem oberbayerischen Alpental aus verbreitet: Schon 1979 trat in der Gegend von Oberaudorf ein erster Fall von rätselhafter Anführungssucht auf. Ein umtriebiger Sprachforscher fand dort damals auf einer hölzernen Tafel den bemerkenswerten Textbeleg: Nichts in die Weiher „w e r f e n!“.

Wer sorgt für mich?

Über die Apostrophitis ersten und zweiten Grades mag man sich aufregen – noch dominiert der Belustigungscharakter. Schlimmer, ja wirklich schlimm ist, was der Sprache permanent im Bayerischen Rundfunk angetan wird. Da das Phänomen in allen Programmen dieser Anstalt auftritt, liegt die Vermutung nahe, dass eine Anordnung des Intendanten vorliegt. Oder hat auch hier ein rätselhaftes Virus das Hirn der verantwortlichen Redakteure befallen?

Es gibt nämlich kein Unglück, kein Unwetter, keine Katastrophe jeglicher Art, bei der nicht hingewiesen würde auf die Fürsorglichkeit einer höheren Macht. So „sorgte der Tsunami für 260.000 Todesopfer“. Wie macht der das? fragt man sich. Doch der Tsunami stand nicht allein da mit seiner Aufgabe. Das Tief im August vergangenen Jahres „sorgte für Überschwemmungen in weiten Gebieten des Alpenraums“, und kaum hatte das Tief das geschafft, so kam schon der Hurrikan Katrina über das Meer und „sorgte für eine sechs Meter hohe Flutwelle“, die wiederum „für die Überflutung von New Orleans sorgte“. Fast täglich „sorgen Verkehrsunfälle für Tote“ oder jedenfalls für zahlreiche Opfer. Und wieder die bange Frage: Wie machen die Unfälle das nur? Und wann sorgt ein Unfall für mich? Eine Anfrage bei der Intendanz blieb ohne Antwort.

Im Sprachgebrauch meines Bekanntenkreises gibt es diese merkwürdige Form des Fürsorgens noch nicht. Da kursieren noch verbale Atavismen wie verursachen, bewirken, führen zu, auslösen, zur Folge haben, hervorrufen. Aber wie lange noch? Tröstlich jedenfalls: Wenn schon der Staat seine fürsorglichen Leistungen immer weiter zurückfährt, so haben wir doch wenigstens unsere Naturgewalten, die für uns sorgen – auch wenn wir in beiden Fällen die Opfer sind.

Bemerkenswert ist die Geschichte des Verblassens der ursprünglichen Bedeutung von „sorgen für“. Sieht man das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache www.dwds.de auf Belege von 1900 bis in unsere Tage hin durch, so bemerkt man, dass es bis vor etwa zehn Jahren kaum Beispiele für den – milde gesagt – sorglosen Gebrauch von „sorgen für“ gibt. Da ist die Welt noch in Ordnung: Über viele Jahrzehnte hinweg wird gesorgt für Gesprächsstoff, für Stimmung, für das Kind, für das Drumherum, für einen bequemen Einstieg, Sensationen, Wachstum, Spott, Zündstoff, Lehrstellen, Kontinuität, Nachwuchs und so weiter.

Dann aber, 1997 etwa, fängt es an. Die ZEIT meldet: „Viren sorgen für innere Blutungen“, und im selben Jahr sorgt dann auch schon irgendwer oder irgendwas für Arbeitslosigkeit. Es beginnt jene oben angesprochene Flut von Bekundungen sprachlicher Gefühllosigkeit. Auch die Süddeutsche Zeitung und auch so manches andere Organ hat es inzwischen ereilt.

Wehren wir uns also gegen solche Tendenzen und Instanzen des verhehlenden Grauens. Entsorgen wir sie einfach, um diesen merkwürdigen Euphemismus für wegschmeißen zu gebrauchen? Sorgen mit solchem Protest dafür, dass die Gedankenlosigkeit im Umgang mit der Sprache nicht zur Regel wird?

Bodo Bleinagel

Hier sind wir wieder am Beginn angelangt: Winzige virusförmige Häkchen verrichten anhaltend ihr destruktives Werk an der Sprache. Und auch die Häkchen im Doppelpack sind am Werk und „sorgen dafür“, dass man womöglich eines Tages Worte wie Sprache, Verstand, Freiheit nur noch in Anführungsstrichen schreiben wird.

Die Sprache lebt. Sorgen wir dafür, dass keine Wüste daraus wird.

Bodo Bleinagel

Der Autor lebt nach 30-jähriger Tätigkeit als Sachbuchredakteur („Übersetzer vom Deutschen ins Deutsche“) als Ruheständler vor allem in München. Betätigte sich bereits 1969 als Sprachschützer (Gründungsmitglied der Schutzgemeinschaft Deutscher Genitiv).

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