Das Autorengespräch Rosine de Dijn über ihre Affinität zu Biografien: „Für eine kurze Zeit lebt man das Leben des Anderen“

Immer freitags hier ein Autorengespräch: Heute mit Rosine de Dijn über ihre Biografie Albert Einstein und Elisabeth von Belgien. Eine Freundschaft in bewegter Zeit, die im August beim Verlag Friedrich Pustet erschienen ist.

Die 1941 in Flandern geborene Autorin lebt seit 1966 als freie Journalistin in der Nähe von Köln und arbeitet für verschiedene flämische Zeitungen und Rundfunkanstalten. Bei der DVA erschien Die Flucht der Yudka Kalman (1994), Des Kaisers Frauen (1999) und Liebe, Last und Leidenschaft – Frauen im Leben von Rubens (2002). In ihren zahlreichen erfolgreichen Büchern gelingt ihr immer wieder eine fesselnde Perspektive bei der Betrachtung bekannter oder weniger bekannter Persönlichkeiten aus der Geschichte. Dies war Anlass für Fragen an die Autorin.
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Rosine de Dijn: "Was mich antreibt?Das Puzzle eines Menschenlebens mit allen Irrungen und Wirrungen!"
Rosine de Dijn: „Was mich antreibt?Das Puzzle eines Menschenlebens mit allen Irrungen und Wirrungen!“

Rosine de Dijn: Albert Einstein und Königin Elisabeth von Belgien, Patentochter der legendären Kaiserin Sissi, korrespondieren miteinander über Jahre hinweg und tauschen sich aus. Und zwar jenseits aller Konvention in gemeinsamer Freude an Musik und am Musizieren. Sie teilen das gleiche Weltbild. Einstein schrieb seiner Verehrten Königin noch kurz vor seinem Tod 1955: „Ihr Brief hat mich außerordentlich gefreut. Er zeigt mir Übereinstimmung in den grundsätzlichen politischen Dingen.“ Die Freundschaft zwischen dem „verrückten Genie“ und der „roten Königin“ blieb auch bestehen, als Einstein 1933 in die USA emigrierte und nie mehr nach Europa zurückkehrte. Ich habe diese Korrespondenz im Kontext der Geschehnisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestellt.

Wen stellen Sie sich als Kunden dafür vor und mit welchem Argument kann der Buchhändler das am besten verkaufen?

Ein Kritiker schrieb: „ Da ist man doch geneigt zu sagen, dass alles, aber auch wirklich alles über Albert Einstein gesagt ist. (…) Und Bücher von und über ihn gibt es wie Sand am Meer. Und nun das!“ Ja, es ist ein erstmals in deutscher Sprache veröffentlichter Briefwechsel zwischen den beiden.

Angefangen haben Sie mit opulenten Bildbänden…

Anfang der 70er habe ich als niederländisch-sprachige Journalistin und Korrespondentin in Deutschland angefangen. Damals ( und leider auch heute noch …) musste ich feststellen, dass mein Land Belgien für viele Deutsche nur einen weißen Fleck auf der Landkarte darstellt. So setzte ich mich an den Schreibtisch und machte mich anschließend mit einem Fotografen auf den Weg für das reichlich illustrierte Buch {Belgien, eine sinnliche Verführung} – es wurde in vier Sprachen übersetzt. Aber ob Belgien jetzt mit allen Facetten bekannter ist? Ich wage es zu bezweifeln.

Dann kamen Biografien?

Im journalistischen Alltag pendelte ich zwischen Belgien und Deutschland hin und her. Reportagen über Belgien für deutsche Medien und umgekehrt machten mich immer wieder auf Schnittstellen zwischen den beiden Ländern aufmerksam. Eine Reportage über {Jerusalem auf der Schelde} , die Geschichte der Juden in meiner Heimatstadt Antwerpen, führte mich auf den Weg der Yudka Kalman, eine Holocaustüberlebende die mir ihre Lebensgeschichte anvertraute. {Die Flucht der Yudka Kalman} wurde meine erste Biografie.

Immer wieder Belgien und Deutschland?

Irgendwie ja, wenn auch unbewusst. Karl V wurde in der flämischen Stadt Gent geboren, seine Großmutter väterlicherseits war [Maria von Burgund]. Der gebürtige „Flame“ wurde im Jahre 1519 zum römisch-deutschen König gewählt und zeugte in Augsburg einen unehelichen Sohn, der spätere Juan d’Austria. Auf den Spuren „Des Kaisers Frauen“ ging es nach Flandern und Deutschland. Für {Liebe, Last und Leidenschaft – Frauen im Leben von Rubens} brauchte ich nur nach Siegen zu reisen wo der spätere Malerfürst [Peter Paul Rubens] geboren wurde und die Jüdin [Laya Menen], Hauptfigur in meinem Buch {Sag nie, dass du Rachmil heißt} arbeitete im pommerischen Targelow und versteckte sich mit ihrem Kind in Brüssel.

Warum Biografien?

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Eine Biografie ist Neugierde und gründet auf das Bedürfnis, hinter die Dinge zu schauen. Es ist eine spannende Reise, eine vorsichtige Annäherung an Unbekanntes, ein Streifzug durch Unerwartetes und die Begegnung mit einem bis dato völlig fremden Menschen oder mit fremden Gegebenheiten. Am Ende dieser Reise verschmelzen alle Eindrücke und Erkenntnisse aus Bücherstapeln und Folianten, aus Archiven, Tagebücher, Briefen und einem Berg an Hintergrundmaterial und verdichten sich zu einer spannenden Geschichte, eine „Verschwisterung“ zwischen Protagonist und Autor, zu einem Bündel an Interpretation und Analyse.

Persönliche Briefe und Notizen?

Für Die Flucht der Yudka Kalman überreichte mir die Protagonistin ihre über Jahre gesammelten Notizen. Für das Schicksalsschiff verfügte ich über jede Menge Tagebucheintragungen, Briefe und Fotos der Deutsch-Brasilianer und der Juden. Für mein neustes Buch Albert Einstein und Elisabeth von Belgien schlummerte im Archiv des königlichen Palastes wie im Einstein-Archiv in Jerusalem die besagte Korrespondenz zwischen den beiden.

Sind die Funde vertrauenswürdig?

Die Recherche anhand der Briefe oder Tagebucheintragungen ist ein Seiltanz. In das Leben eines anderen zu schauen, ist eine Gratwanderung, ist lesen zwischen den Zeilen im Wissen, dass Briefe Momentaufnahmen einer Intimität zweier Menschen sind. Es bleibt ein delikates Unterfangen. Wer will da Bilanz ziehen? Es bleibt eine emotionale Begegnung mit Menschen, deren Briefe aber eine ganz persönliche Sicht der Dinge mitteilen und uns den Spiegel der Zeit vorhalten. Einstein und Elisabeth waren zwei verwandte Seelen, deren große Lebensfreude „aus der Geige kam“ und die sich weit über ihre Pflichten politisch und kulturell engagierten. Sie korrespondierten miteinander über turbulente Zeiten und Trennungen hinweg, in den Wirren eines taumelnden Jahrhunderts. Die Briefe erzählten diskret und verschlüsselt aus ihrem Leben, ihrem Suchen und ihren Leidenschaften.

Was macht das mit einem?

Eine Biografie kann man nicht schreiben ohne Fantasie und Einfühlungsvermögen. Für eine kurze (oder längere) Zeit lebt man das Leben des Anderen. Der Protagonist schaut einem bei der Arbeit über die Schulter und wird immer mehr zum heimlichen Gesprächspartner. Man vertieft sich nebenbei in unzählige Geschichtsbücher. Aber Geschichtsbücher und historische Abhandlungen sind trocken und oft mühsam zu lesen. In einer Biografie versucht man zwar dem historischen Hintergrund Respekt zu zollen aber das gelebte Leben wieder anzuzünden. „Wir geben dem Skelett der Geschichte wieder Fleisch und Blut“ sagte mir mal ein Kollege. „Eine Biografie ist eine Mischung zwischen fiction und non-fiction.“

Was treibt Sie an?

Das Puzzle eines Menschenlebens mit allen Irrungen und Wirrungen. Auch wenn man sich immer wieder damit versöhnen muss, dass vieles, trotz aller Recherche, im Dunkeln bleibt. Nichts ist spannender als der Mensch.

Die Fragen an Rosine de Dijn stellte Franziska Altepost

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