Das Sonntagsgespräch Lorenz Borsche: „Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass man sich vielleicht ein bißchen mehr um die Schweiz hätte kümmern müssen…“

Es war ein Schwarzer Sonntag in der Schweiz, als dort per Referendum die Preisbindung endgültig beerdigt wurde [mehr…]. Bislang haben wir uns in Deutschland zurückgelehnt, die Entscheidung bedauernd zur Kenntnis genommen – aber je nun!: Wir haben die Preisbindung ja…

Lorenz Borsche , einer der beiden Vorstände der eBuch-Genossenschaft, sieht keinen Anlass zur Gleichgültigkeit. Mit einem E-Book-Kauf hat er die Probe aufs Exempel gemacht und kann beweisen: Obwohl der Preiskrieg der Giganten noch gar nicht eröffnet ist, beginnt das Preisbindungssystem schon zu bröckeln.

buchmarkt.de: Herr Borsche, Sie hatten die Abstimmung gegen die Preisbindung in der Schweiz zum Anlass genommen, an die Entscheider der Branche und den deutschen Verlegern einen offenen Brief* zu schreiben, der auf die Folgen der verlorenen „Schlacht“ in der Schweiz verwies – warum?]

Lorenz Borsche:
„Die Katastrophe ist
ganz nah“

Lorenz Borsche]: Weil man hier offenbar noch nicht verstanden hat, was das denn nun bedeutet. Selbst kurz danach auf der Buchmesse In Leipzig war die Schweiz „kein Thema“ – obwohl das Referendum die deutsche Preisbindung schwer in die Bredouille bringt.

Das leuchtet nicht auf Anhieb ein: Der Re-Import zum Zwecke der Umgehung der Preisbindung ist aber doch verboten – was sollte sich ändern?

Das mag sich bei physischen Büchern und bei sehr großen Anbietern, die das würden massenhaft betreiben wollen, vielleicht noch kontrollieren lassen. Bei kleinen Anbietern wesentlich schwieriger, das wissen wir aus Erfahrung, und bei E-Books leider gar nicht.

Das müssen Sie erst noch beweisen.

Das habe ich schon bewiesen. Am Montag nach dem Referendum habe ich mir bei MIGROS bzw. deren Shop EXLIBRIS.CH ein E-Book von Adler-Olson besorgt. Auch nach korrekter CHF/EURO-Umrechnung deutlich unter dem deutschen VK. Und dabei muss man davon ausgehen, daß EXLIBRIS.CH den Preiskrieg noch gar nicht recht eröffnet hat, denn alle deutschen E-Books kosten bei dort ungefähr gleichviel weniger als in Deutschland. Noch ist der Preisunterschied nicht dramatisch, aber schon größer als bei in Österreich erlaubten 5% Nachlass.

Unglaublich…
… Ich habe den ganzen Vorgang mit screenshots dokumentiert. Da ich selbst keinen E-Reader habe, habe ich den Download-Link dann an einen Buchhändler geschickt, der hat sich den Adler-Olsen problemlos heruntergeladen – und auch gleich den DRM-Schutz entfernt, nur um zu sehen, wie schwierig das wäre. Es war nur ein Mausklick.

Was ist daran so toll oder so beängstigend neu – auf einer Piratenwebsite wie „www.Lesen.to“ hätten Sie für denselben Titel gar nichts bezahlen müssen?

Aber das wäre illegal gewesen. Das illegale Downloaden werden wir niemals verhindern können. Aber die Mehrheit der Menschen möchte legal downloaden, wenn es einfach möglich ist, das zeigt der Erfolg von iTunes.

Was ist legal, was ist illegal?

Die Frage, ob illegal war, was ich beispielhaft getan habe, ist schwer zu beantworten. Wenn ich mich in der Schweiz aufhalte, darf ich selbstverständlich deutsche Bücher rabattiert einkaufen, physische und auch E-Books, klar. Aber wo bin ich, wenn ich im Internet bin? Was ist der „Erfolgsort“ – so nennen die Juristen das, das ist der Ort, an dem der Kauf stattfindet. Ist es der Server von Exlibris, wo ja auch meine Kreditkartenzahlung verbucht wird? Dann „bin“ ich in der Schweiz. Oder ist es der Telekom-Knoten in Ludwigshafen, bei dem ich von Heidelberg aus eingeloggt bin? Aber dort bin ich ja auch nicht, oder? Die Kunden wird diese Spitzfindigkeit nicht interessieren. Sie bezahlen, also ist es moralisch betrachtet legal, denn der Künstler und der Verlag bekommen ja ihr Geld. Gegen dieses Argument dürfte es schwer werden.

Und was bedeutet das für die Zukunft?

Ich denke, dazu ist schon zur letzten Frankfurter Buchmesse auf dem Satire-Website www.NZZ-2016.eu alles gesagt worden. Und bisher ja leider auch alles eingetroffen: MIGROS hat mit Hilfe seines Kundenmagazins das Referendum heftig beeinflusst und in seinem Sinne auch gewonnen. Man kann E-Books von Deutschland aus in der Schweiz billiger einkaufen, das wollte ich prüfen und es geht. Wie billig, wird man noch sehen, auch ob amazon in der Schweiz in den Preiskrieg einsteigt, wie vorausgesagt, muss man abwarten. Wenn ja, dann wird es Exlibris schwer haben – und dann geht der Preiskrieg auch erst richtig los.

Noch ist es nicht so, was dort als trauriger Rückblick beschrieben wird, ja noch gar nicht eingetreten..

… aber irgendwann wird das alles auch noch mal in Straßburg landen, und dann wird es schwer werden, die deutsche Preisbindung zu halten. Wenn man den Verstoß gegen eine Gesetzesnorm nicht mehr sanktionieren kann, dann fällt langfristig das Gesetz. Wenn ich was im Studium gelernt habe, dann dieses.

Gibt es eine Lösung?

Das Agency-Modell, also der Verlag als Verkäufer, müsste nochmal genau durchdacht werden. Wie macht denn TCHIBO das, daß der hauseigene Kaffee von der Insel Föhr bis nach Garmisch-Partenkirchen immer dasselbe kostet, ob im TCHIBO-Shop oder beim Bäcker – und ohne daß die Wettbewerbshüter was dagegen haben? Aber eine Patentlösung habe ich nicht, nur die bittere Erkenntnis, dass man sich vielleicht ein bißchen mehr um die Schweiz hätte kümmern müssen…

Die Fragen stellte Cristian von Zittwitz

* Hier der Text des Briefes im Wortlaut:
13.03.2012

Betr: Offener Brief an die Verlage, Herrn Schild …
…. und wen es sonst noch interessiert:

Die Rabatt-Katastrophe bei eBooks ist ganz nah

Liebe Verleger, lieber Herr Schild,

Sie, die Sie darauf gehofft hatten, mit *eBooks* in Zukunft gute Geschäfte machen zu können….

… Sie alle müssen jetzt ganz tapfer sein. Seit Sonntag ist die nahende Katastrophe nur noch eine Frage der Zeit. Wie im Dezember bei der Frage nach einem prominenten Rücktritt heisst es nicht, *ob*, sondern nur noch *wann* – auch wenn Sie das nicht gerne hören wollen.

Ich habe heute morgen bei MIGROS in der Schweiz ein eBook gekauft. Für ca. 7% „billiger“. Von meinem Bürostuhl in Heidelberg aus.

Die 7% mögen derzeit nur dem Wechselkurs geschuldet sein (alle ebooks sind bei MIGROS/Exlibris umgerechnet ca. 7% billiger als in den Katalogen hier), aber *wer* hindert Herrn Bolliger daran, mehr Rabatt auszureichen, jetzt wo er das juristisch auf jeden Fall darf? Nur um die Deutschen zu ärgern und ExLibris als Billiganbieter zu positionieren?

Und wer hindert *amazon* daran, demnächst ein paar Server in die Schweiz zu stellen, um deutsche KINDLE-ePubs deutlich unter dem hiesigen Preis anzubieten? Und mit dieser Maßnahme MIGROS und alle anderen Konkurrenten an die Wand zu drücken?

Denn NIEMAND hindert *mich* daran, von hier aus in der Schweiz downzuloaden – Internet ist überall.

Ich sollte präzisieren: der Proxy-Server für die Anmeldung und den Download stand in Poltava in der Ukraine. Das war nur ein Test, ob MIGROS mich trotzdem reinlässt – mit einer „deutschen“ IP-Adresse geht das aber auch.

Da ich meine Post-Adresse (für die Rechnung) angeben sollte, bin ich jetzt unter „CH-6912 Pozzala“ gelistet, denn ich konnte als Land nur Schweiz auswählen. Da gibt es zwar meine Strasse nicht, aber was soll’s. Bezahlt habe ich mit einer Prepaid-Kreditkarte. Und damit Sie auch glauben, daß ich mir das nicht alles ausgedacht habe: die angehängten Screenshots zeigen es.

Das wäre alles für jedermann von überall her in Deutschland aus ganz ’normal‘ und ohne große Tricks möglich gewesen. Ausserdem darf man darauf zählen, daß, wenn es komplizierter werden sollte (also doch nur mit Proxy) bald eine Anleitung auf Youtube dazu auftaucht.

Juristisch ist das alles nicht zu verhindern, schon alleine wg. des Datenschutzes. Zu meinen persönlichen Daten gehört auch und sogar ganz besonders mein derzeitiger *Aufenthaltsort*. Und wenn ich in Zürich bin, darf ich deutsche Bücher seit Sonntag auf jeden Fall mit Rabatt kaufen – ob gedruckt oder eBook muss egal sein.

Notfalls muss man mich vor der download fragen, ob ich gerade in der Schweiz weile und also berechtigt bin, rabattierte Downloads zu beziehen. Das ist dann so wie der Alters-Check bei Youporn.com: eine Lachnummer.

Die Konsequenzen sind hoffentlich jedem klar: der deutsche eBook-Markt wird nie mehr sein, was er nach den auf der Seckbacher Zukunftskonferenz geäußerten Hoffnungen einmal werden sollte: ein Ausgleich zu entgangenen Verlusten beim Print-Buch.

Der Fall der Schweizer Preisbindung wird sich als genau die Katastrophe für die Buchkultur herausschälen, wie das einige Unkenrufer schon auf der Frankfurter Buchmesse prophezeit haben. Leider.

Und nun – auf nach Leipzig, solange es noch richtige Bücher gibt!

Beste Grüße, Lorenz Borsche

P.S: Nein, ich habe keinen eBook-reader. Ich habe den Download-Link (1,3 KB) deshalb an einen Freund mit Reader gemailt, und der schrieb zurück:

>Hallo Lorenz,
>
>vielen Dank für den Link. Habe das eBuch jetzt auf dem Rechner. Das
>Alphabethaus war für mich nur ein Klick weg…..
>
>Zu Trainingszwecken und damit ich es problemlos mit allen meinen
>Lesegeräten öffnen kann, habe ich auch gleich noch den Kopierschutz
>entfernt. Mein Sohn benötigte fürs erste mal etwa 15 Minuten
>Netzrecherche für die passende Software, und ich jetzt nur noch den
>Klick „speichern (ohne DRM)“.

Und der Freund könnte jetzt die läppischen 685 KB des eBooks passwortgeschützt zusammenfalten, damit niemand reingucken kann, und das ZIP dann per eMail an seine Freunde weiterschicken. Keine Chance für die Urheberrechts-Verteidiger – die Musikindustrie lässt grüßen.

Wie sich große und kleine stationäre Buchhändler da noch eine Scheibe vom Markt abschneiden sollen, das steht für mich in den Sternen. Zumal man ja schon jetzt kein Geld damit verdient – fragen Sie mal größere Buchhändler über die Balance zwischen Investitionen im Webshop und den möglichen Erlösen, es ist schon jetzt ein Trauerspiel.

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