Gestorben Karsten Diettrich: Ein Nachruf

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Karsten Diettrich

Karsten Diettrich, der langjährige Programmchef von France Loisirs (der französischen Tochter des damaligen Bertelsmann Buchclubs), ist im Alter von 72 Jahren an den Folgen seiner Diabetes in Paris gestorben.  Morgen wird er in Paris beigesetzt.

„So war Karsten Diettrich: Ein leidenschaftlicher Bonvivant mit großer Kenntnis von Literatur, Buchmarkt – und Savoir-vivre, den Bertelsmann-Gründer Reinhard Mohn noch persönlich nach Paris gesandt hat“, sagt Anita Offel-Grohmann, ehemalige Progamm-Geschäftsführerin vom Club Bertelsmann, die als Kollegin mit Karsten Dietrich zusammengearbeitet hat.  Und sein Freund Friedrich-Karl Sandmann, der ihn noch vor drei Wochen besuchen konnte, erinnert daran: „Er war damals vom Buchclub aus Gütersloh  nach Paris gegangen (er sprach kein wort französisch), um den grössten Buchclub Frankreichs zu übernehmen – in den kommenden jahren hatte er  massgeblichen Anteil daran, dass FL zum grössten Buchclub der Welt wurde“.

Hier ein Nachruf von Lothar Menne:

Der Botschafter
Paris hat in den vergangenen 36 Jahren 13 deutsche Botschafter erlebt; im Verlagswesen der französischen Hauptstadt gab es in dieser Zeit vor allem einen: Karsten Diettrich, der am Sonntag, 23. Oktober, gestorben ist; er war 72 Jahre alt.

Der rheinische Buchhändler gehörte in Gütersloh zur Schocktruppe von Karl Ludwig Leonhardt, dem legendären Patron des Bertelsmann Leserings; von den Entscheidungen des Clubs, vor allem von Hauptvorschlagsbänden und ähnlichen Systemtiteln, konnte  weiland Wohl und Wehe eines jeden Verlags abhängen, zumindest wenn es um das wirtschaftliche Ergebnis ging.

Kein Wunder, dass der Konzern sein Erfolgsmodell exportieren mochte – erster und erfolgreichster Schritt: die Gründung von France Loisirs (FL) 1970. Nach drei Jahren war jedoch die différence culturelle zwischen beiden Ländern offenkundig geworden: Der FL-Chef, der Südtiroler Walter Gerstgrasser, optierte für eine teutonische Bluttransfusion und holte den 29-jährigen Karsten Diettrich nach Paris.

Ein Glücksgriff, für FL und für den jungen Deutschen, der die Programmgestaltung des Clubs mit einem Hauch von preußischer  Ordnung bereicherte – und der an der Seine schnell und sichtbar aufblühte, seinen Job ebenso genoss wie die Einübung in die lokale art de vivre. Bei alledem blieb er doch der einsame Wolf, der sich hütete, einem der oft verfeindeten Verlagsclans anzugehören; so konnte er mit allen reden und von allen Lizenzen für den Club erwerben.

Eine seiner Großtaten: Er gründete den clubeigenen Verlag, les éditions France Loisirs, umgab sich dort mit einem Beraterkreis  renommierter Autoren wie Jorge Semprun, verlegte Premieren und exklusive Titel und mehrte damit Ruhm und Ehre und Rendite des Clubs.

Irgendwann war es dann auch genug. Als die magische 65 sich ankündigte, zog er sich aus dem Tagesgeschäft zurück. In abenteuerlichem Mafia-Dandy-Gewand feierte er Hochzeit mit seiner Lebensgefährtin Anne Michel, bei Albin Michel die Cheflektorin für fremdsprachige Literatur, beriet mal diesen, mal jenen, besuchte noch die Tagungen der Motovun Group, des internationalen Verlegerclubs illustrierter Bücher, aber ins Zentrum seines Lebens rückten die in Paris entwickelten Leidenschaften: Katzen, über die er auch zwei Bücher geschrieben hat, Reisen in ferne Gefilde, Kulinarik in allen Varianten  (wenn ich nach Paris kam, hat er mir stets präzise aufgetragen, welche heimischen Schinken und Würste aus dem KaDeWe ich mitzubringen hatte, dafür lud er in Paris und auf sämtlichen Buchmessen in die erlesensten Restaurants ein).  Nicht zuletzt, ein Genuss der späten Jahre: Bücher einfach zu lesen, ohne an Verkäuflichkeit und Vorlieben der Clubmitglieder denken zu müssen.

Nur der Körper, der Unhold, hat ihn im Stich gelassen. Seinen Freunden und Weggefährten von beiden Seiten des Rheins, in der ganzen Welt der Bücher, bleiben die Erinnerungen und die Anekdoten.

Lothar Menne

 

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