Das Sonntagsgespräch „Ich glaube an eine große Zukunft für clevere E-Book-Designer“ – Cora Stephan zur Bedeutung des E-Books für Verlage, Handel und Autoren

Dr. Cora Stephan

Die gesamte Branche beschäftige sich noch immer zu wenig mit dem E-Book und damit mit ihrer eigenen Zukunft, behauptete Dr. Cora Stephan zuletzt in einem Beitrag in der NZZ vom 1. April. Die Publizistin, die seit 1998 unter dem Pseudonym Anne Chaplet Kriminalromane veröffentlicht, sieht vor allem Autoren als mögliche Gewinner des medialen Wandels.

buchmarkt.de: Autoren, Verlage und Buchhandel in Europa beschäftigen sich, behaupten Sie, zu wenig mit der Zukunft des Buchmarkts, insbesondere dem E-Book. Stimmt das wirklich? Die meisten Verlage bieten doch längst auch E-Books an, und das Thema beherrscht sämtliche Branchentreffen?

Stephan: Richtig. Und auch bei den großen Buchhandelsketten hat man begriffen, dass dem Handel ein kalter Wind entgegenbläst. Hugendubel verzichtet auf qualifizierte Mitarbeiter, die noch beraten könnten, und will ein Drittel des Geschäfts mit Non-Books bestreiten. Thalia erwägt, selbst ins E-Book-Geschäft einzusteigen.

buchmarkt.de: Aber da haben wir doch zwei unterschiedliche Ansätze innerhalb der Branche, sich auf die Zukunft vorzubereiten! – Ob dem einzelnen die Konzepte gefallen oder nicht: Es sind Zukunftsstrategien, oder nicht?

Stephan: Gewiss tut sich da was. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass insbesondere in Europa all diese Dinge nicht als Herausforderung begrüßt, sondern eher gefürchtet werden. Bezeichnenderweise will der Lesegeräthersteller Plastic Logic, der seinen Reader Que in Dresden herstellt, Deutschland frühestens ab 2010 damit beliefern. Fürchtet man nur den Konservatismus der Leser oder auch den mangelnden Wagemut der Verlage?

buchmarkt.de: Ihre Beispiele stammen aus dem Handel; im Verlagswald sehen Sie allerdings „Angstblüten“ blühen …

Stephan: In einem schwierigen Markt macht man nur noch mit massentauglichen Bestsellern Kasse, glaubt man vielerorts offenbar. Im übrigen erwarten – und fordern – die großen Buchhandelsketten von den Verlagen genau das: schnell umzuschlagende Massenware. Und womöglich auch noch ein bisschen „Werbekostenzuschuß“ dafür, dass man solche Bücher gut platziert.

buchmarkt.de: Viele Versuche, mit angeblich massentauglicher Ware Bestseller zu landen, scheitern allerdings. Solche Flops kosten Verlage viel Geld. Verbrennen Verlage zu viel Geld in solchen Versuchen?

Stephan: Es ist sehr teuer geworden, ein Buch oder einen Autor in den Markt zu drücken. Und oft gelingt es nicht. Oft sind es sogar erst die Leser, die ein Buch oder einen Autor „entdecken“, der bei den großen Verlagen durchs Raster gefallen ist.

buchmarkt.de: Was bedeutet, dass auch heute noch Bestseller nicht planbar sind. Wie könnte nachhaltige Programmplanung Ihres Erachtens in einem Verlag heutzutage denn aussehen?

Stephan: Ganz gewiss rümpfe ich nicht die Nase über „massentaugliche“ Bücher – es muss ja für alle etwas dabei sein. Bedenklich stimmt allerdings schon, dass es zwischen Lowsellern und Bestsellern keine „Mittelklasse“ mehr zu geben scheint – also solides Buchhandwerk zwischen der E- und der U-Literatur. Genau daraus schließen frustrierte Autoren und um den Umsatz kämpfende Verlage, dass sich nur noch das Massentaugliche verkaufe. Das aber stimmt – man denke an Überraschungserfolge wie etwa den von Daniel Kehlmann – so nicht.

buchmarkt.de: Aber woran könnte dieses Wegbrechen dessen, was Sie „Mittelklasse“ nennen, liegen? Sie sagen zurecht, dass auch Bestseller nicht zwangsläufig anspruchslos sein müssen.

Stephan: Was man hört, liest und sieht, deutet darauf hin, dass die Orientierung auf einem immer unübersichtlicher werdenden Buchmarkt schwieriger wird. Die Beratungsfunktion des Buchhandels hat abgenommen. Das Feuilleton hat sie längst eingebüßt – auch dank der Selbstbeschränkung auf ein eher weltfremdes Verständnis von „literarisch wertvoll“. Da greift der Kunde zu dem, was er schon kennt oder zu dem, was alle lesen. Das macht es für Autoren wie Verlage schwierig, ohne Hype und Selbstinszenierung wahrgenommen zu werden. Doch wie gesagt: Es gibt auf dem Buchmarkt noch immer Wunder – und die bereiten uns die Leser, die Andrea Maria Schenkel entdeckt oder so ein kleines Kunstwerk wie Alan Bennetts „Die souveräne Leserin“ zum Bestseller gemacht haben.

buchmarkt.de: Sie gehen davon aus, dass mit den E-Books eine Doppelbelastung auf Verlage zukomme.

Stephan: Ich habe in verschiedenen Beiträgen mal ganz naiv gefragt, warum Autoren nur zu 20 Prozent am Erlös eines E-Books beteiligt werden, obwohl doch der Buchhandel, wo manche der Big Players um die 50 Prozent kassieren, in diesem Fall wegfällt. Die plausible Antwort: Verlage müssen ja auch noch den „klassischen“ Vertrieb aufrechterhalten, also auf eine lange Zeit doppelgleisig fahren. Und sie müssen die Portale für den E-Bookvertrieb bezahlen.

buchmarkt.de: Neue, auf E-Books spezialisierte Verlage könnten es somit leichter haben als etablierte?

Stephan: Gewiss. Wendige Agenten, die nicht die enormen Overheadkosten der Großen haben, können zu wichtigen Mitspielern werden. Ich glaube schon, dass das den großen Verlagen Sorgen macht. Zumal die Autoren neuerdings an Verhandlungsmacht gewinnen.}

buchmarkt.de: Andere Autoren fürchten sich vor dem E-Book, der Internetpiraterie, der Entwertung des geistigen Eigentums. Sie nicht?

Stephan: Jein. Das sind drei verwandte, aber nicht in einen Topf gehörende Phänomene. Gewiss, nie war Raubkopieren so einfach wie heute. Klar: für ein Buch ohne seine körperliche Anwesenheit werden Leser noch weniger zahlen wollen. Richtig: die „Bezahlt wird nicht“-Moral des Internets bedroht alle schreibenden Berufe.
Doch bleiben wir mal bei den Buchautoren: Amazon bietet Autoren nun auch in Europa 70 Prozent des Erlöses der auf seiner dtp-Plattform eingestellten Bücher. Apple wird offenbar gleichziehen. Die Verlage werden ihren Autoren also schon ein bisschen mehr bieten müssen, wenn sie sie behalten wollen. Schließlich können einige von uns Autoren durchaus rechnen: 10 Prozent vom Ladenpreis eines Hardcovers zu 19,90 Euro oder 6 Prozent von dem eines TB oder 70 Prozent von einem E-Book zum Preis von 3,99 Euro – was ist uns lieber?

Was den Lesern lieber ist, wissen insbesondere wir Unterhaltungsromanautoren längst: Sie hätten’s gerne billiger. Sobald E-Book-Reader auf dem Markt sind, die elegant, leicht handhabbar und erschwinglich sind, wird man sehen, was von der Treue der Leser zum Buch zu halten ist…

buchmarkt.de: Apple und Amazon als die „Buchhändler der Zukunft?

Stephan: Ich weiß, dass viele eine neue Monopolstellung von Apple oder Amazon fürchten, die überdies an ihrem Modell verdienen – immerhin 30 Prozent. Mir leuchtet allerdings nicht ein, warum das für Autoren unbedingt schlimmer sein soll als der bisherige Modus, in dem alle anderen 90 Prozent des Erlöses einnehmen. Auch wird kritisiert, dass Amazon wie Apple geschlossene Systeme seien, dass also die dort erstandene Ware E-Book nicht mehr frei zirkulieren kann. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass diese mangelnde Freiheit immerhin Garant dafür ist, dass die Autoren vom Verkauf ihres geistigen Eigentums auch etwas haben. Im übrigen stört mich die leise Verachtung von iPhone und iPad bei den Nerds der Szene: Das sei doch was für Omas, es funktioniere einfach bloß und man könne nicht dran rumschrauben. Genau. Das macht den Charme dieser Geräte aus. Da bin ich ganz auf der Seite der Omas.

buchmarkt.de: Abschied von den klassischen Verlagen?

Stephan: Hier ja, dort nein. Es wird eine Zeitlang eine Fülle konkurrierender Modelle geben und das ist doch nicht schlecht, oder? Im übrigen hoffe ich auf ein neues Bündnis zwischen Verlagen und Autoren, das der Revolution, die sich da abspielt, Rechnung trägt.

buchmarkt.de: Auf Kosten des Buchhandels? Sehen Sie das ähnlich wie Liza Marklund, die kürzlich meinte: „Der kleine Buchhändler interessiert mich null. Soll er verschwinden – wen kümmert das?“

Stephan: Nein, ich sehe das ganz und gar nicht so. Es wird Buchhändler geben, solange es Bücher gibt, also noch eine ganze Weile. Der Buchhandel wird sich indes verändern müssen – sich entweder spezialisieren oder aber sein Spektrum erweitern. Am ehesten wird es die Großen (und die ganz Kleinen) treffen. Denn gewiss werden die Zeiten nicht so bleiben, in denen der Handel bis zu 50 Prozent vom Erlös beansprucht, während Autoren sich mit 10 Prozent als gut bedient fühlen müssen.

buchmarkt.de: Ein normaler Buchhändler erhält mitnichten 50 Prozent Rabatt. In den Nachlässen, die ein Verlag einkalkulieren muss, steckt zunächst auch der Funktionsrabatt für die Barsortimente. Ohne diese Zwischenhändler gäbe es eine der größten Leistungen der deutschen Buchhandelsbranche nicht: nämlich den größten Teil aller lieferbaren Titel innerhalb eines Tages bestellbar zu halten. Und auch der Händler hat Kosten: Miete und Personal als die höchsten Posten … Von seinem Rabatt bleibt da nicht viel übrig.

Stephan: Das sind große Leistungen und berechtigte Einwände, die sich indes relativieren, wenn es Alternativen gibt. Und die gibt es. Sein E-Book kann man sich innerhalb weniger Minuten herunterladen, und es beansprucht auch keinen Platz in Lagerhallen, Ladenregalen oder, teuer bezahlt, an prominenter Stelle auf dem Bestsellertisch. Ob das allen behagt oder nicht: Die Monopolsituation des Buchhandels ist brüchig geworden. Darüber sollte man ohne Tabus diskutieren. Die klugen Buchhändler tun das längst.

buchmarkt.de: Soll das heißen, Sie sehen eine Zukunft mit Autoren ohne Buchhandel und ohne Verlage? Besteht da nicht die Gefahr, dass sie in der Masse der Autoren, die ihre Werke als E-Books publizieren, schlicht untergehen?

Stephan: Wer Visionen hat, sollte zum Optiker gehen – im Ernst: Ich blicke nicht in die Zukunft. Aber ich sehe in der Gegenwart eine neue, bislang nicht vorhandene Option – eben auch für Autoren.

Sicher, für unbekannte Autoren bessert sich die Lage vielleicht nicht. Für Autoren, die es nicht zu Bestsellerehren gebracht haben, verschlechtert sich womöglich aber auch nicht viel. Verlage werben zumeist für eh schon erfolgreiche Titel. Die Schleusenfunktion von Buchhandel und Feuilleton wiederum ist kaum noch vorhanden. Schon jetzt gehen viele Bücher in der Masse der Neuerscheinungen unter.

buchmarkt.de: Reine E-Book-Verlage könnten natürlich höhere Honorare zahlen. Aber wird denn der Autor der Zukunft nicht noch immer sein Werk in schöner Form in Händen halten wollen?

Stephan: Auch Leser werden das wollen. Aber wir sollten uns auf ihre Treue nicht verlassen: Es wird noch ein, zwei Jahre brauchen, dann gibt es ein erschwingliches, elegantes Lesegerät, das auch wir Leserinnen gern mit ins Bett nehmen wollen. Und wenn man sein E-Book trotzdem als schön gebundenes Werk ins Regal stellen will, wird man es ausgedruckt und gebunden erhalten können. Die Technik dafür gibt es doch längst. Wahrscheinlich stehen sie bald in jeder Bahnhofsvorhalle, die „Print-on-Demand“-Maschinen. Und was man sich da ausdrucken lassen will, hat man sich auf seinem iPhone vorher ausgeschaut. „Textunes“ etwa zeigt, was die Verlage sich da bereits jetzt haben einfallen lassen.

Was uns Autoren betrifft: Das eine schließt das andere nicht aus. Es ist ja längst der umgekehrte Weg vorstellbar: nicht vom gedruckten Buch zum E-Book, sondern vom E-Book zum gedruckten Werk – weil die Leser, also der Markt, entschieden haben, dass sie ein bestimmtes Buch auch im Regal stehen haben wollen.
Seien wir ehrlich: So viele Bücher aus der jährlichen Buchproduktion sind es nicht, denen wir diesen Platz einräumen möchten.

buchmarkt.de: Wie stellen Sie sich die Welt der Bücher in zwanzig Jahren vor?

Stephan: Keine Ahnung. Aber ich glaube, dass der veränderte Aggregatzustand des Buchs eine neue Kunstform ermöglichen wird. Nein, kein multimediales Spektakel, Leser wollen lesen und ihr eigenes Kopfkino, nicht bunte Bilder und Animationen, davon gibt’s schon genug. Musik aber kann das Kopfkino unterstützen. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass man auch beim Lesen von Belletristik oder Unterhaltungsromanen lernen kann und möchte. Das ermöglicht das neue Medium geradezu spielerisch. Ich glaube an eine große Zukunft für clevere E-Book-Designer. Dass die Autoren aussterben, glaube ich hingegen weniger denn je. Wenn sie es nicht allzu blöd anstellen, sind sie die Gewinner.

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