Ein "Büchermacher mit Leidenschaft" im Sonntagsgespräch: Gerhard Steidl: „Print ist nicht tot“

Gerhard Steidl: „Tun, was wir lieben: Mit Leidenschaft Bücher in die Welt tragen“ (c) Foto: Markus Jans

 

Zum Auftakt der Leipziger Buchmesse hielt Gerhard Steidl (angekündigt als „Büchermacher mit Leidenschaft“) einen Fachvortrag mit dem Thema „Print is not dead“.  Das war Anlass für Fragen an den Göttinger Verleger, der weltweit für Buchkunst der Extraklasse steht:

Herr Steidl, warum mussten Sie beteuern, das Print nicht tot ist…?

Gerhard Steidl: Vor wenigen Jahren sollte ich mir als Verleger von Büchern aus Papier und Druckfarbe vorkommen wie ein Exemplar einer aussterbenden Art: Vom Ende des physischen Buchs war die Rede, vom unausweichlichen Verschwinden dieses umständlichen Mediums, überrollt von der digitalen Welt mit ihrer universellen Verfügbarkeit und ihren endlosen Möglichkeiten.

Und die Wirklichkeit hat uns eingeholt?

Ja, die Auflagen von Zeitungen sind eingebrochen, viele sind ganz vom Markt verschwunden. Für eine große Zahl von jungen Leuten gehören Bücher nicht mehr zum Alltag. Es gibt also genug Grund, von der Widerständigkeit und dem Beharrungsvermögen des Gedruckten zu erzählen. In Asien zum Beispiel habe ich bei vielen Vorträgen erlebt, wie eine ganze Generation von Digital Natives sich mit Begeisterung auf alles stürzt, was gedruckt ist.

Die Buchmesse hat aber doch mit ihrem riesigen Angebot wieder den Beweis angetreten, dass unsere Buchbranche lebendiger denn je ist.

Ja, zum Glück ist die Buchbranche sehr lebendig. Dennoch kann man nicht leugnen, dass der Markt für Bücher geschrumpft ist, Autorinnen und Autoren heute gesellschaftlich nicht mehr so bedeutend sind und nicht mehr so viel Gehör finden wie zu früheren Zeiten. Ein riesiges Angebot sagt ja auch noch gar nichts über die Qualität aus. Anspruchsvolle Titel, Literatur, Sach- oder Kunstbücher, haben es wesentlich schwerer, sich am Markt zu behaupten. Ich glaube nicht, dass der Kreis derjenigen, die anspruchsvolle Bücher lieben, in den letzten Jahren größer geworden ist.

Aber unsere Holzklasseprodukte sind unvergleichlich viel schöner und lebendiger sind als nützliche, aber leblose digitale Dateien?

Aber nur dann, wenn neben der inhaltlichen Qualität das gesamte Knowhow des traditionellen Verlagswesens aufgeboten wird: Sorgfältiges Lektorat, ein gestalterisches Konzept, erstklassige Typographie, feinstes, langlebiges Papier, hohe Druckqualität, gute Einbandmaterialien und handwerklich perfekte Bindung.
Wenn Bücher inhaltlich beliebig sind und keine Liebe zum Objekt da ist, sind sie es nicht wert, das ein Baum dafür gefällt wird.

Aber genau das, eine Renaissance im Bereich hervorragend gemachter Bücher erleben wir gerade, Ihre Arbeit ist dafür ein Beweis…

… ja, zum Glück sind Leserinnen und Leser  nämlich etwas anderes als User, sie sehen im physischen Buch mehr als eine Quelle von Information oder Unterhaltung. Das qualitativ hochwertige Buch ist ihnen etwas wert. Mit ihnen wird kein Massenmarkt bedient, aber es ist ein wunderbares Feld für junge, engagierte Verleger, Gestalter, Drucker und Buchbinder.

Warum müssen wir uns trotzdem immer wieder Mut zureden, dass wir den Wettbewerb  E-Book versus gedrucktes Buch gewinnen könnten.

Ich denke gar nicht, dass das der zentrale Gegensatz ist. Für manche Bücher, für manche Zwecke ist das ebook als Format geeignet, für andere Inhalte das gebundene Buch. Ich habe den Eindruck, die Leserinnen und Leser können ganz gut unterscheiden und kaufen eher pragmatisch als ideologisch ein. Der ebook Markt schrumpft oder stagniert auf einem bestimmten Niveau, hier mache ich mir keine großen Sorgen. Uns muss doch vielmehr bekümmern, dass viele Menschen gar nicht mehr lesen, dass das Buch als Kulturgut nicht mehr selbstverständlich ist, dass viele, vor allem auch jüngere Leute sich eher über Serien verständigen, als über Romane.

Hat das Modell Gutenberg nicht längst gewonnen?

Mein Vorbild ist Gutenberg vor allem deshalb, weil er die Möglichkeiten seiner Erfindung in einem Geschäftsmodell umgesetzt hat, bei dem er alle Schritte selbst steuerte: Er verstand, dass inhaltliche, künstlerische und technische Idee ineinander greifen, und entwickelte dazu noch ein Marketingkonzept: Inhaltlich ging es ihm darum, die Bibel leichter zugänglich zu machen. Künstlerisch wurde er tätig, indem er seine Bibel selbst gestaltete. Technisch hat er den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden – um die Kosten und die Herstellzeit der Vervielfältigung zu reduzieren. Und dann war er auch noch ein kluger Geschäftsmann: Er hat die gedruckten Bogen „on demand“ – also auf Bestellung – aufgebunden und verkauft.

Das war eine Königsidee…

… sehr lange Zeit war dieser Ansatz ein Erfolgsmodell. Wenige hundert Meter von meinem Verlag in Göttingen entfernt arbeitete der Verleger Dieterich im 18. Jahrhundert auf genau diese Weise: In seinem Haus wurden Bücher gesetzt und gedruckt, der Vertrieb organisiert, und oben im Dachgeschoss lebte der Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg und schrieb die Bücher, die einige Etagen tiefer produziert wurden. Erst später zerfiel dieses ideale System und differenzierte sich aus in eine Anzahl von Spezialbetrieben.
Im Grunde habe ich Gutenbergs Ideen gestohlen und wiederbelebt. Ich habe das Rad der Zeit etwas zurückgedreht: Statt „outsourcing“ zu betreiben, habe ich alles wieder in die eigene Kompetenz zurückgeholt. Bei mir ist Gutenberg also durchaus ein Erfolgsmodell.

Prognosen sind ja besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen – wagen Sie eine?

Noch jedes Mal, wenn neue Technologien auf den Markt kamen, wurden Untergangsszenarien bemüht. Das war bei der Erfindung des Buchdrucks so, beim Radio, beim Fernsehen und später beim Kabelfernsehen. Natürlich ist die Digitalisierung ein so radikaler Wandel wie wir ihn wohl nie zuvor erlebt haben. Nur, Gejammer nützt uns nichts. Wir müssen uns auf die Stärken unseres Mediums besinnen und diese herausstellen. Vor allem aber müssen wir unbedingte Qualität anbieten: inhaltlich und handwerklich.

Und was würden Sie uns allen raten?

Das zu tun, was wir lieben: Mit Leidenschaft Bücher in die Welt tragen

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz; in der vergangenen Woche sprachen wir mit Kerstin Gier über ihre neue Filmreihe „Chaos Queens“

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