Das Sonntagsgespräch Für die Zukunft des Einzelhandels: Eine Stiftung setzt neue Maßstäbe

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Stiftungsvorständin Michaela Pichlbauer: „Nachhaltige Begleitung durch Coaching ist der Kern unserer Förderprogramme“

Wer kümmert sich eigentlich systematisch um die Zukunft des Einzelhandels? Uns fallen da eine Reihe von renommierten Beratungsunternehmen ein (z.B. die Gruppe Nymphenburg in München oder die BBE Handelsberatung mit verschiedenen Niederlassungen), viele Lehrstühle und viele Einzelcoachs. Aber gibt es auch eine unabhängige Institution, zum Beispiel eine renommierte Stiftung? Für den Buchhandel gibt es so etwas nicht –leider. Aber in München arbeitet seit über 25 Jahren die RidStiftung die unter anderem dadurch auffällt, dass sie den von Oligopolen geprägten Lebensmitteleinzelhandel weitgehend außen vor lässt. Wer ist und was leistet diese außergewöhnliche Stiftung? Michaela Pichlbauer macht mit erstaunlichen, bisher kaum bekannten Aktivitäten und Strategien bekannt. Dies war Anlass für Fragen an die Vorständdin der Stiftung:

BuchMarkt: Frau Pichlbauer, das Bettenhaus Rid in München ist weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt, aber welche Aufgabe hat denn die RidStiftung?

Frau Pichlbauer: Die Rid-Stiftung wurde 1988 von Dr. Günther Rid gegründet. Sie ist aus dem unternehmerischen Erfolg von BETTENRID hervorgegangen. Günther Rid hatte das Familienunternehmen in der dritten Generation nicht nur zu einem sehr bekannten Fachgeschäft gemacht, sondern seine Vision war es, auch die Existenz des mittelständischen Einzelhandels zu sichern. Bereits damals, also seiner Zeit deutlich voraus, war es sein Ziel, damit auch einen Beitrag zum Erhalt der Vielfalt unserer Stadtkultur uns unserer Wirtschaftsstruktur zu leisten. Die Rid Stiftung hat eine klar umrissene Aufgabe: sie fördert den mittelständischen, bayerischen Einzelhandel. Sie tut dies mit hochkarätigen, für die Teilnehmenden weitgehend kostenfreien Fortbildungsprogrammen.

Was macht die Stiftung so besonders – in welcher Form und in welchen Formaten kommen Sie dem Stiftungsziel nach?

Es sind über 1000 Einzelhändler und Einzelhändlerinnen, die jedes Jahr an den Förderangeboten der Rid Stiftung teilnehmen. Das Herzstück ist ein fünfwöchiges, praxisorientiertes Qualifizierungsprogramm für Unternehmerinnen und Unternehmer – wenn man so will, ein praxisorientiertes „Best-of“ eines BWL-Studiums. Neben mehrtägigen Fortbildungen zu Themen wie Führung, Persönlichkeitsentwicklung, Marketing, Unternehmensnachfolge, E-Commerce oder Web-Analytics werden auch einjährige Coaching-Programme für Unternehmen angeboten. Sogar eine Ausbildung zum E-Commerce-Manager ist möglich. Großer Beliebtheit erfreut sich auch der jährlich stattfindende Rid Zukunftskongress – auf dieser Tagung thematisieren wir die verschiedenen Facetten der aktuellen Entwicklungen im Einzelhandel. Unser jüngstes Projekt ist der Innovationswettbewerb „Handel im Wandel“. Wir prämieren hier – gemeinsam mit anderen Partnern – Ideen, die die Online- und Offline-Welt klug verbinden und Digitalisierungsprozesse für den Mittelstand praktikabel machen.

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Mit dem Innovationspreis – hier die Preisträger von 2016 – fördert die Stiftung Start-ups, die an Innovationen zur Unterstützung des Handels arbeiten.

Ein vielfältiges Programm also, das besonders auf die Weiterentwicklung des stationären Handels abzielt?

Der Einzelhandel war bisher vor allem stationär geprägt, setzt sich aber seit einigen Jahren offensiv mit der Digitalisierung unserer Wirtschaft auseinander und auch sehr viele traditionell geprägte Unternehmen gestalten heute die Welt des E-Commerce.  Aufgrund einer verzerrten Medienrealität haben wir in der Öffentlichkeit leider häufig nur „die ganz Großen“ im Blick. Das ist sicherlich für die Einschätzung zukünftiger Entwicklungspfade zu wenig.  Die Rid Stiftung passt ihr Förderprogramm laufend dem Bedarf der Zielgruppe – dem mittelständischen Einzelhandel – an. Das ist unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiches Handeln. Unsere Angebote sind zwar kostenfrei, aber für kleinere Einzelhändler ist es manchmal schon schwierig, sich die Zeit tatsächlich zu nehmen und nicht nur „in“ ihren Unternehmen sondern auch „an“ ihrem Unternehmen zu arbeiten. Besonders ist meiner Meinung nach, dass wir bei allen fachlichen Angeboten immer die Person des Unternehmers bzw. der Unternehmerin oder des Führungsnachwuchses auch im Blick haben. Denn diese Personen sind die entscheidenden Impulsgeber für die Zukunft. Darum hat der Aspekt der nachhaltigen Begleitung durch Coaching in unserer Arbeit einen so hohen Stellenwert.

Gibt es vergleichbare Stiftungen, die sich wie Rid der Förderung des Einzelhandels verschrieben hat?

Unseres Wissens nach nicht – vor allem andere Bundesländer beneiden Bayern hier sehr. Aber wir fänden es toll, wenn sich „Nachahmer“ im besten Sinne des Wortes finden.

Viele Stiftungen haben durch die Zinsentwicklung der letzten Jahre enorme Probleme, ihre Aktivitäten zu finanzieren. Wie sieht es dazu bei Rid aus?

Durch das Testament von Dr. Rid ging nicht nur die Firma BETTENRID vollständig in das Vermögen der Stiftung über, sondern auch ein Großteil seines Immobilienvermögens. BETTENRID hat zwei Filialen in München, eine in Frankfurt und einen Online-Shop. Die Stiftung ist daher nicht so stark wie andere Stiftungen betroffen von der allgemeinen Zinsentwicklung.

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Seit einigen Jahren ein Höhepunkt im Jahresprogramm der Rid-Stiftung: Der Zukunftskongress mit Beiträgen zu Trends und aktuellen Themen des Handels

Die RidStiftung ist in der Stiftungsszene aufgefallen, unter anderem gelang es die Zahl der Teilnehmer an Stiftungsprogrammen von rund 300 in 2009 auf fast 1000 zu steigern. Was waren die Bausteine dieses Wachstumserfolges?

Wir haben zielgruppengenaue und sehr gute Angebote – wir treffen mit unseren Förderprogrammen den Bedarf des Einzelhandels, der einem sehr starken Innovationsdruck ausgesetzt ist. Vor allem unsere Angebote zu dem Themenfeld E-Commerce und Digitalisierung der Wirtschaft sind sehr nachgefragt und werden sehr positiv bewertet. Ein Erfolgsfaktor ist sicherlich auch, dass wir nicht nur ganz allgemein sagen „wie’s geht“ sondern, soweit dies möglich ist, auch tatsächlich in der Umsetzung unterstützen

Sie sind zusätzlich zur Stiftung auch für das operative Geschäft von BETTENRID zuständig – und feiern mit diesem Unternehmen gerade 100jähriges Jubiläum. Wie sehen Ihre Erfahrungen hierzu aus?

Für das operative Geschäft bin nicht ich zuständig, sondern das ist der Geschäftsführer von BETTENRID. Wir haben mit Robert Waloßek nicht nur die optimale Person dafür gefunden, sondern er hat auch auf allen Ebenen ein hervorragendes Team. Als Vorständin habe ich die Aufgabe, die Interessen des Eigentümers, sprich der Stiftung, BETTENRID gegenüber zu vertreten. In diesem Jahr hatten wir sehr viele Kooperationsinteressen, denn wie Sie eingangs richtig gesagt haben, kennen sehr viele BETTENRID, aber die Rid Stiftung ist zwar im Einzelhandel, nicht aber in der breiten Öffentlichkeit bekannt. Wir haben daher das Jubiläumsjahr zum Anlass genommen, auf den Zusammenhang von BETTENRID und Rid Stiftung stärker aufmerksam zu machen.

Welche Art von Öffentlichkeitsarbeit haben Sie dazu gemacht?

Bei allen Werbemaßnahmen – von der Zeitungsbeilage bis zur Litfaßsäule – hat BETTENRID beispielsweise den Bezug zur Rid Stiftung hergestellt. Die Stiftung hat beispielsweise das Buch „Schlafen ist doch keine Kunst. Gut schlafen schon.“ anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums herausgegeben. Wir haben darin sowohl die Geschichte zweier starker Frauen in den Gründungsjahren herausgearbeitet, als auch die äußerst erfolgreiche Werbegeschichte von BETTENRID zu Zeiten von Dr. Günther Rid. Zusätzlich zum Buch gibt es eine Wanderausstellung mit Originalen von so namhaften Karikaturisten wie Ernst Hürlimann oder dem Ehepaar Walter und Traudl Reiner, deren „Münchner im Himmel“ seinerzeit für BETTENRID geworben hat. Und Dieter Hanitzsch, der Ende der 80er Jahre die Familie „Schlummermaier“ für BETTENRID gezeichnet hatte, hat ganz aktuell neue Fundstücke zu„Weltgeschichte(n) des Betts“ zum Jubiläum beigetragen. Sehr sehenswerte Exponate!

Sie fassen die Aktivitäten zum Jubiläum als „History Marketing“ zusammen. Ein Fingerzeig darauf, dass auch ein 100-jähriges Unternehmen modern denken kann?

Wir haben auf unserem diesjährigen Rid Zukunftskongress eine Session zu History Marketing angeboten, denn viele Fachgeschäfte besitzen wie wir eine sehr beeindruckende Geschichte, die man mit innovativen Medien darstellen kann. Wir haben mit unserem Unternehmen ein Beispiel gegeben, etwa im Buch QR-Codes verwendet, die auf die Seiten der Rid Stiftung und BETTENRID verlinken und humorige Werbung wieder sichtbar machen. Stefan Hanitzsch, der Sohn von Dieter Hanitzsch, hat uns einen Teil der Weltgeschichte(n) des Bett‘s als Film aufbereitet, der auf YouTube zu sehen sein wird. Wir haben Elemente unserer Werbegeschichte für die aktuelle Bewerbung des Jubiläums genutzt und alte Motive wiederum für moderne Guerilla Aktionen verwendet – alles in allem Beiträge unter der Überschrift Innovation aus Tradition.

Sie haben persönlich auch keine traditionelle Karriere angestrebt, sondern sich immer wieder neue Felder erschlossen. Kam Ihnen das anlässlich eines 100-jährigen Firmenjubiläums,das unter dem Motto Innovation aus Tradition steht, zugute?

Insgesamt kann ich sagen, dass es nicht nur für die  Aktivitäten rund um das Jubiläum, sondern für die ganze Stiftungsarbeit sehr hilfreich ist, dass ich schon viele verschiedene berufliche Erfahrungen gemacht habe, von der Organisations- und Personalentwicklung über Forschungen zu Strategischen Allianzenund Existenzgründungen bis hin zur Verwaltungsmodernisierung  in einer großen Kommune. Auch die Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte erweist sich immer wieder als unerlässlich, denn man muss in allen beruflichen Feldern ein waches Gespür für Machtprozesse haben um die Zukunft aktiv gestalten zu können.

Wir kommen nicht drumherum: Thema Amazon. Wie beurteilen Sie die heutige Lage des Einzelhandels und – für uns natürlich besonders spannend – die des Buchhandels?

Die Wachstumsraten des Onlinehandels haben sicherlich bei vielen Einzelhändlern zu der Erkenntnis beigetragen, dass man sich bei dieser zunehmenden Konkurrenz sehr gut aufstellen,wertvolle und erkennbare Vorteile für die Kundinnen und Kunden bieten und vor allem auf die eigene, digitale Sichtbarkeit achten muss. Dazu gehört nicht nur eine gute Website, gegebenenfalls ein eigener Online-Shop, sondern auch ortsbezogene, regionale Online-Aktivitäten. Laut einer Studie, die im Auftrag von Yatego Local von Fittkau & Maaß durchgeführt wurde, sagen fast ein Drittel der Konsument_innen, dass sie mehr in regionalen Geschäften einkaufen würden, wenn deren Angebote auch im Netz sichtbar wären. Die Kaufvorbereitung läuft heute sehr stark online und auch mobil: 36 Prozent suchen schon jetzt im Internet nach Geschäften in der Region. Die Suche nach stationären Geschäften im Internet ist für viele Kunden und Kundinnen allerdings oftmals frustrierend: Über zwei Drittel sind mit den Suchergebnissen unzufrieden. Darauf wird der stationäre Handel mit weiteren Verbesserungen selbstverständlich reagieren.

Für den Buchhandel gilt das genauso und wir haben in der Stiftung schon einige Buchhändler_innen fördern können und freuen uns daran, dass es auch in dieser Branche  viele sehr positive Beispiele gibt. Der deutsche Buchhandel hat bisher der Konkurrenz durch Amazon gut Stand gehalten, vielleicht sogar so gut, dass die Buchläden, die Amazon eröffnen will, wohl nicht bevorzugt hier eröffnet werden.

Wo liegen für Sie in Zukunft die strategischen Schwerpunkte der Förderung durch die RidStiftung – und vielleicht noch wichtiger: Welche Veränderungen sehen Sie für die Zukunft?

Wir haben seit vielen Jahren eine sehr erfolgreiche, strategische Zusammenarbeit mit dem bayerischen Einzelhandelsverband, denn wir verfolgen ähnliche Ziele. Auch mit dem bayerischen Wirtschaftsministerium kooperieren wir in vielen Themenfeldern und Projekten. Über den Innovationswettbewerb Handel im Wandel haben wir die Zusammenarbeit ausgeweitet auf die bayerischen Industrie- und Handelskammern und auch auf unternehmerTUM, dem Center for Innovation and Business Creation an der TU München. Zum einen ist es sehr erfreulich, dass der Wettbewerb bereits zum zweiten Mal sehr innovative Ideen für den stationären Einzelhandel hervorgebracht hat, und zum anderen ist es wichtig, dass die institutionellen Akteure zusammenwirken: Es geht darum, unseren Mittelstand gemeinsam dabei zu unterstützen, eine Strategie für sich zu finden um sich aktiv auf die Digitalisierung der Wirtschaft einzustellen. Was meiner Ansicht nach zunehmen wird, ist die Einsicht bei den Kommunen, dass der Einzelhandel für die Zukunft unserer Städte ein zentraler Partner ist, mit dem sie strategisch, im Sinne einer kooperativen Stadtentwicklung, frühzeitig zusammenzuarbeiten sollten. Die Rid Stiftung ist in diesem Feld schon seit längerem aktiv.

Aber auch unsere E-Commerce Förderschwerpunkte werden wir weiterführen,ebenso wie unsere persönlichkeitsorientierten Angebote – es gilt nach wie vor, die Unternehmer und Unternehmerinnen zu stärken. Aus einem Gefühl der Verunsicherung heraus ist man nicht ausreichend entscheidungs- und handlungsfähig. Die Rid Stiftung zeigt Entwicklungen auf, gibt Wissen an die Hand, leistet Unterstützung bei der Umsetzung und versucht jeden und jede einzeln dabei zu stärken, ihren bzw. seinen Weg in die Zukunft aktiv zu gestalten. Denn „Zukunft“ wird nicht „irgendwo“ gemacht, und auch nicht nur von den „Großen“, sondern wir machen sie alle!

Aktuell liefert BETTENRID mit einer eigenen Aktion auch ein Modell für den Handel: „Münchens Erste Häuser“. Fünf Fachgeschäfte, jedes älter als 100 Jahre, treten gemeinsam auf mit Website und Aktionen.

Dies ist eine Initiative, die weit über eine Werbegemeinschaft hinausgeht – es ist tatsächlich eine lokale Wertegemeinschaft. Ich finde, dass dies eine wegweisende Kooperation ist, denn diese Häuser machen einen Teil des unverwechselbaren Gesichtes der Stadt München aus. Sie waren nicht nur prägend für die Einzelhandelsgeschichte dieser Stadt, sondern sie sind auch heute prägend für das „Einkaufserlebnis München“ und damit ein Teil der Identität Münchens. Ich denke, dass es gerade in dieser Zeit, in der global agierende Konzerne die Berichterstattung über unser Wirtschaftsleben dominieren, umso wichtiger ist, sich dieser lokalen Stärken bewusst zu werden, diese außenwirksam zu zeigen und auch wirtschaftliche Kooperationserfolge gemeinsam zu realisieren. Übrigens eine Aktivität, die ohne Mitwirkung der Rid Stiftung entstanden ist – aber erfreulicherweise wirkt ja BETTENRID mit!

Ulrich Störiko-Blume

In der letzten Woche sprachen wir mit Anke Hardt und Andreas Meyer über die „neuen Anforderungen im Verkauf“, die die Branche derzeit meistern muss.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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