Gestorben Anne Dorn

Anne Dorn am 10.12.2015 zum 90. Geburtstag in der Zentralbibliothek Köln

Die Autorin und Filmemacherin Anne Dorn ist am 8. Februar gestorben. Ein Nachruf ihres Verlegers Volker Dittrich. Kennengelernt habe ich Anne Dorn im Mai 1985 im atelier-theater in Köln. Ich hatte sie zu einer deutsch-türkischen Autorenlesung eingeladen. Sie kam gerade aus Rom, wo sie für zwei Monate Ehrengast in der Villa Massimo war. Anne Dorn hatte bis dahin viele Hörspiele geschrieben und in Zusammenarbeit mit der Literaturredaktion des WDR zehn Filme gedreht. »Meine schriftstellerische Tätigkeit begann 1960 nach der Geburt meines vierten Kindes, als ich fünfunddreißig Jahre alt war. Endlich, da ich alt und krumm geworden bin, gestatte ich mir nun das, was ich von Anfang an wollte: Ich erzähle.«, schrieb sie mir aus Italien. Sie hatte gerade ihren ersten Roman fertiggestellt: hüben und drüben.

Anne Dorn wurde 1925 in Wachau bei Dresden geboren. Dorfschule, Realgymnasium, Lehre in einem Zeitungsverlag, Besuch der Meisterschule für deutsches Handwerk, Tätigkeit als Kostümbildnerin an verschiedenen Theatern. Zwei Ehen, vier Kinder. Nach dem Krieg zog sie nach Westdeutschland, lebte bis zu ihrem Tod überwiegend in Köln. Aber ihre Heimat in Sachsen, in der ein großer Teil ihrer Familie lebte, besuchte sie jedes Jahr. Anne Dorn kannte sich aus in beiden deutschen Staaten. Deshalb kämpfte sie jahrzehntelang gegen die Meinungsführerschaft ihrer westdeutschen, der DDR nahestehenden Autorenkollegen, die ihrer Ansicht nach ein völlig verzerrtes Bild der Wirklichkeit vom realen Sozialismus im Osten verbreiteten. Ihre Einwände wurden nicht ernst genommen. Noch viel schlimmer, sie nahmen mich als Schriftstellerin nicht ernst, beklagte sie immer wieder. Besonders wehrte sie sich dagegen, wenn ihre Leistung als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern von den männlichen Kollegen gelobt und höher angesehen wurde, als ihre literarische Arbeit. Als die Mauer fiel, konnte die Autorin 1991 endlich ihren Roman hüben und drüben im Leipziger Forum Verlag publizieren. Leider nur wenig beachtet. Andere Themen standen nach der Wiedervereinigung auf der Tagesordnung.

Meine intensive Zusammenarbeit mit Anne Dorn begann erst 2007 mit der Veröffentlichung ihres Romans Siehdichum im Dittrich Verlag. Johann P. Tammen von der Literaturzeitschrift die horen hatte mir das Manuskript des Romans geschickt und sich für die Veröffentlichung eingesetzt. Eine bewegende Brudersuche einer 75 Jahre alten deutschen Frau in Polen. Die Vergangenheit verbindet sich mit der Gegenwart, dem Sohn, den Töchtern und Enkeln, um zur Zukunft zu werden. Der Roman einer deutsch-polnischen Verständigung. Ein Höhepunkt für die Autorin war die Übersetzung und Veröffentlichung in Polen.

Als Anne Dorn mir 2010 ihr Manuskript Spiegelungen geschickt hatte, begannen viele sehr intensive Gespräche über die sechs Frauenfiguren des Romans, die alle einen anderen Namen tragen. Und doch wird episodenhaft das Leben nur einer einzigen Frau beschrieben. Wer bin ich und wohin gehöre ich? Diese Fragen stellte sich Anne Dorn ihr Leben lang. Ihr größtes Manko sei, so erzählte sie mir einmal, dass sie aufgrund ihrer Lebenserfahrungen schon sehr früh kein Vertrauen mehr haben konnte. Immer würde bei ihr das Misstrauen die Oberhand gewinnen, auch wenn sie sich noch so sehr dagegen wehre. Nur wer das wusste, konnte auch in Konfliktsituationen nachsichtig mit ihr sein. »Ich danke Dir für die Verlebendigung, die ich in der Zeit gemeinsam angestrebter Lust, sich auszutauschen, mit Dir gewonnen habe. Und wieviel von solcher Zeit wird uns der Engel noch geben?«, schrieb mir Anne Dorn als Widmung ins Buch. Die Zeit ist abgelaufen. Aber Deine Romane und Gedichte, die erst sehr spät erschienen sind, liebe Anne, die werden bleiben.

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