Veranstaltungen Sprache und Poesie in Diktaturen: Swetlana Alexeijewitsch trifft Herta Müller

Jens Bisky (SZ) im Gespräch mit Swetlana Alexeijewitsch (links) und Herta Müller (rechts) im Audimax der Uni München
Jens Bisky (SZ) im Gespräch mit Swetlana Alexeijewitsch (ganz links, mit ihrer Übersetzerin Ganna-Maria Braungardt) und Herta Müller (rechts) im Audimax der Uni München.

 

Einer der größten geeigneten Säle Münchens musste her, um am Freitagabend dem Andrang zu der erstmaligen Begegnung der zwei Literatur-Nobelpreisträgerinnen Herta Müller (2009) und Swetlana Alexeijewitsch (2015) zu genügen. Lange Schlangen beim Eintritt, lange Schlangen beim anschließenden Signieren.

Elke Schmitter, die Kuration des forum:autoren beim Literaturfest München
Elke Schmitter

Moderator Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung) führte kurz in die Werke der beiden Autorinnen ein und tat im Laufe des Abends etwas, was Podiumsveranstaltungen selten guttut, in diesem Fall aber schon: Er ließ vor allem die beiden Autorinnen zu Wort kommen.

Es war ein Auftakt ganz nach der Intention der diesjährigen forum:autoren-Kuratorin Elke Schmitter, die sich freute, die beiden sich erstmalig begegnenden Nobelpreis-trägerinnen zu begrüßen.

Swetlana Alexeijewitsch las eine kurze Passage auf Russisch, später wurde sie von ihrer Übersetzerin Ganna-Maria Braungardt blitzschnell und glasklar übersetzt. Alexeijewitschs Art, die Menschen ihrer Zeit eine Ausdrucksmöglichkeit zu geben, wurde als „Roman der Stimmen“ bezeichnet; mitunter wurde ihren Werken sogar die Romaneigenschaft bestritten. Und wieder andere kritisierten, warum die Menschen in ihren Büchern „so schön reden“. Herta Müller konnte genau erklären, warum ihre Kollegin so vorgeht: „Wenn du es aufschreibst, musst du das Mündliche neu erfinden.“

Swetlana Alexeijewitsch und ihre Übersetzerin Ganna-Maria
Swetlana Alexeijewitsch und ihre Übersetzerin Ganna-Maria Braungardt

Swetlana Alexeijewitsch schilderte, wie in der sowjetischen Zeit die Küche der Ort war, an dem sich das Leben abspielte – in allen Facetten. Historiker interessieren sich für Fakten – die Autorin ist den Gefühlen der Menschen auf der Spur: „Ich bestaune den Menschen.“ Dabei waren die Bösen nicht nur Stalin und der Geheimdienstchef Berija, sondern es konnten auch (der nette) Onkel und die Tante sein. Und eigentlich herrschte immer Krieg; die Gewalt, das Blutvergießen war alltäglich. Im postsowjetischen Weißrussland hat nicht die Demokratie gesiegt, sondern „ihre Majestät, die Wurst. Wir leben, wie wir immer gelebt haben.“

Swetlana Alexeijewitsch fand ein wunderschönes Bild für Herta Müllers Sprache: Sie lässt „Worte wie Saiten klingen“ – damit hört man auch das, was zwischen den Worten steht. In Herta Müllers rumänischem Heimatdorf redeten abends die Frauen; die Männer waren entweder im Lager oder im Krieg. Die Themen waren Liebe und Tod, niemals wurde über die Zeit im Lager gesprochen – aus Angst vor der allgegenwärtigen Securitate (wer im Lager war, unterlag dem strengsten Verbot, über diese Zeit zu sprechen), aber auch aus Angst vor der eigenen Erinnerung.

Herta Müller
Herta Müller

Beide Autorinnen stehen mitten im Leben, und deshalb kamen sie nach dem notwendigen Blick auf die Geschichte und in ihre bisherigen Bücher auch auf die Gegenwart zu sprechen: „die Rückkehr der autoritären Sprache“ bei Politikern wie Putin, Orban, den AfD-Rednern, Erdogan und Trump. „Diese Sprache kommt wieder, weil die Realität so ist; diese Leute ändern die Welt“, befand Herta Müller.

Als am Ende Swetlana Alexeijewitsch ein wenig resigniert sagte: „Herta, unsere Meinung interessiert immer weniger Menschen“, konnte Jens Bisky der Tendenz zum Pessimismus entgegenhalten: Wir haben alle 1989 erlebt – und keiner hatte damit gerechnet.

Ulrich Störiko-Blume

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