Auszeichnungen Pressekonferenz mit Friedenspreisträgerin Carolin Emcke

Heute stellte sich Carolin Emcke, der am Sonntag in der Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wird, in einer Pressekonferenz den Fragen der Medienvertreter.

„Carolin Emcke ist eine der wichtigsten und bedeutendsten Publizisten des Landes. Sie bringt sich massiv ein, das zeigen ihr Buch über die RAF, ihre Reportagen aus Krisengebieten und ihr jüngstes Werk gegen den Hass“, begründete Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels kurz die Wahl der Jury.

Sie mache sich stark für eine bunte, vielfältige Gesellschaft, plädiere für Einmischung, suche keine leichten Erklärungen. „Zunächst habe ich Carolin Emcke gar nicht erreicht, eigentlich freute sie sich auf den Rückruf des Klempners – aber dann war es nur der Börsenverein“, fügte Riethmüller hinzu.
Was beide verbinde, sei die Übertragung des Friedenspreises – die hätten Riethmüller und Emcke schon im Elternhaus am Fernseher verfolgt.

„Ich war zuerst überrascht und dachte: Das bin doch nur ich“, sagte Carolin Emcke. Es sei eine ungeheure Ehre. „Ich war verwirrt. Aber auch erfreut“, bekannte sie. Zwischen den anderen Preisträgern und sich sehe sie eine große Lücke und betrachte den Preis deshalb auch eher als Ansporn für Zukünftiges.

Das Thema Internet betrachte sie differenziert: „Am Anfang, während des arabischen Frühlings, habe ich das sehr optimistisch gesehen. Ein paar Jahre später sind wir mit anderen Fakten konfrontiert, wissen, dass die Geheimdienste das Internet nutzen. Es gibt eine eingebaute Logik der Aggression. Und ich bin mir klar, dass die Reden in der Paulskirche nicht nur positive Reaktionen nach sich ziehen werden.“

Warum Emcke erst 18 Jahre nach dem Herrhausen-Attentat der RAF sich dem Thema zuwandte, begründete sie so: „Ich bin keine Schnellschreiberin, musste die Ereignisse verarbeiten, ehe ich sie in Sprache fassen konnte. Es ist immer mit Parteilichkeit belegt, wenn man selbst einen geliebten Menschen verloren hat und schwierig, über das Thema zu schreiben. Vielleicht hätte ich noch länger warten müssen.“ Emcke war die Patentochter von Alfred Herrhausen, ihr Buch, 2008 im S. Fischer Verlag erschienen, wird bis heute kritisiert. „Ich fürchte, dass sich bestimmte Erfahrungen nicht bearbeiten lassen. Geholfen hat mir das Buch, um mir die Erfahrungen noch einmal anzueignen. Schreiben ist immer eine Form, sich Klarheit zu verschaffen.“

Sie habe keine Neigung, Menschen als „Pack“ zu bezeichnen, habe nur Handlungen analysiert, antwortet sie auf eine Frage nach ihrem jüngsten Buch Gegen den Hass, das gerade publiziert wurde. Sicher gäbe es Grenzen der Empathie, aber alle Menschen gehörten in die Gesellschaft. „Solange es Diskussionen gibt, ist das in Ordnung. Wenn es Hass wird, ist die Demokratie in der Pflicht. Ich bin optimistisch, dass das klappt.“

„Wie schützen Sie sich in Krisengebieten?“, fragte ein Kollege. „Es ist sehr viel weniger riskant, als das im Kino suggeriert wird. Zumindest dort, wo es um Zivilisten geht. Ich habe keine Angst vor militärischen Aktionen, suche aber natürlich Deckung. Es gibt Situationen, vor denen ich infernalische Angst habe, vor Meuten beispielsweise. Und die Menschen, die mich in Krisengebieten umgeben, tragen ein viel höheres Risiko.“

Ob sie eine Botschafterin sei? Emcke dachte kurz nach: „Manchmal muss ich als Deutsche im Ausland ganz ruhig erklären: Ja, den Holocaust gab es.“ In diesem Sinne sei sie vielleicht eine Botschafterin.

In ihrem Wohnbezirk Berlin-Kreuzberg habe man übrigens das Gefühl, dass nicht nur sie, sondern ihre Nachbarschaft auch mit ausgezeichnet würde. „Denen zuliebe will ich es am Sonntag auch nicht vermasseln“, sagte die Publizistin.

Gerne würde sie nach zwei Jahren in Berlin – die auch schön gewesen seien – wieder auf Reisen gehen. „Mossul wird noch lange dauern. Und es wird noch viel Gewalt geben“, befürchtete Emcke.

Nach ihrem Glauben befragt, antwortete sie: „Ich bin religiös-musikalisch und metaphysisch gebettet. Ich fühle mich aufgehoben jenseits der gegenwärtigen politischen Ordnung.“

Dschihadismus sei keine Religion, dass hätten 150 der wichtigsten islamischen Gelehrten, die den sogenannten IS als unislamisch einordneten, bestätigt.

„Sicher können aus unterschiedlichen religiösen Beziehungen Konflikte entstehen. Die halten wir aus und verhandeln wir“, ist die Publizistin überzeugt.

Während ihrer Auslandsreisen hätte sich ihr Blick auf Europa präzisiert: „Ich war immer froh, eine Europäerin sein zu dürfen und nicht nur eine Deutsche sein zu müssen“, bekannte sie. Allerdings bereiteten ihr die gegenwärtigen Zentrifugalkräfte in Europa Sorge. Aber: „Wer Europa liebt, muss es auch kritisieren können“, forderte Emcke.
Was nach dem Brexit in England geschehe und wie mit Minderheiten umgegangen werde, sei allerdings erschreckend.

In Deutschland habe sie den Eindruck, dass sich die Menschen im gemeinsamen Handeln einigten, das sei deutlich geworden in der Hilfsbereitschaft Flüchtlingen gegenüber.

Auf die Frage, ob ihre Bücher denn vielleicht nicht die von denen gelesen werden, die sie lesen sollten, antwortete die Publizistin: „Ich kann nicht allen Ernstes darüber nachdenken, ob meine Bücher alle erreichen.“ Der Vertreter ihres Verlages nickte zustimmend im Hintergrund.

Sehr persönlich fragte die Redakteurin einer Schülerzeitung, wie denn mit Hass umzugehen sei. „Wenn Hass mir direkt begegnet, bin ich zunächst erstaunt über die Schamlosigkeit. Und es macht einen großen Unterschied, ob man widerspricht oder nicht. Man muss gar keine langen Argumentationen aufbauen. Bei Meuten sollte man die Polizei rufen, auf jeden Fall darf man sich nicht ins Publikum stellen, denn auch das Zuschauen ist eine Beteiligung an einem Spektakel.
Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem sich nur Schwarze, Juden, Schwule, Lesben wehren, sondern in dem sich andere für andere einsetzen.“

Alle Menschen einten Begriffe wie Freiheit, Würde, Familie. „Und gutes Essen“, fügte Carolin Emcke hinzu. Auf ihren Reisen habe sie viel Gastfreundschaft und Großzügigkeit erfahren. „Vielleicht fällt es mir deshalb schwerer, etwas zu finden, was die Menschen trennt.“

Für ihre Offenheit, ihren Mut und ihr Engagement erhielt sie zum Schluss der Pressekonferenz viel Beifall.

JF

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