Buchmessen Messenachlese: Deutsche und niederländische Studenten analysierten die Unterschiede in der Covergestaltung jüngst übersetzter Bücher zum Gastlandthema

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Reintje Gianotten

Im Rahmen des Gastlandauftritts Flanderns und der Niederlande auf der Buchmesse in Frankfurt 2016 hat der Nederlands Letterenfonds, also die Niederländische Literaturstiftung, ein kleines internationales Programm für Studenten von vier Hochschulen und Universitäten aus Amsterdam, Leipzig und Stuttgart entwickelt. Insgesamt 21 Studenten haben in gemischten Teams an Aufträgen für ihre eigenen Dozenten und für den Letterenfonds gearbeitet.

Der Auftrag bestand darin, sich das Titel- und Umschlagmanagement bei den niederländisch- und deutschsprachigen Verlagen anzusehen. Dazu erhielten die Studenten eine Liste mit jüngst erschienenen Büchern, die übersetzt worden sind. Jede Gruppe musste ein ursprünglich niederländischsprachiges und ein ursprünglich deutschsprachiges Werk auswählen. Als Team, bestehend aus vier oder fünf Studenten, mussten sie die Bücher miteinander vergleichen und innerhalb eines Tages eine kurze Analyse dazu schreiben.

Es fällt auf, dass die Studenten es bereits gewohnt sind, über das Fach zu schreiben und keine Berührungsängste haben, wenn sie auf Menschen zugehen müssen. Reintje Gianotten vom Letterenfonds hat das Programm koordiniert – und präsentiert hier die wichtigsten Ergebnisse:

endersEasy digestible heißt der Text der Gruppe 2, die sich die deutsche und die niederländische Fassung des Bestsellers Darm mit Charme von Giulia Enders angesehen hat. Sie besuchten die Marketingmanagerin von Ullstein, Anne Christmann, und erfuhren, wie die deutsche Ausgabe zustande gekommen ist. Da die Autorin jung, charmant und lustig ist und alles über den Darm weiß, wurde bei Ullstein beschlossen, dass sie auf den Umschlag sollte. Sie trat häufig in Talkshows auf, war online äußerst präsent, so dass ihr Gesicht in Deutschland vielen bekannt war. In den Niederlanden erschien das Buch unter dem Titel De mooie voedselmachine, etwa: „Die hübsche Nahrungsmaschine“. Der Verlag Luitingh-Sijthoff entschied sich für eine farbige Illustration statt eines Porträts der Autorin. Der Verlag kennt seine Zielgruppe und weiß, was Aufmerksamkeit erregt und wie sich das Buch verkaufen lässt. Man wusste dort, dass man dafür Giulia Enders’ Gesicht nicht benötigte.

Für den Umschlag von Die Eismacher von Ernest van der Kwast hat der Verlag btb dasselbe symbolische Eis benutzt, allerdings in etwas anderen Farben und mit einer anderen Typographie. Es ähnelt der niederländischen Illustration, die der Verlag De Bezige Bij für den Umschlag von De IJsmaker benutzte, scheint jedoch dem deutschen Markt angepasst zu sein. Doch worin zeigt sich dies? In den zarteren Farben?

Die Schlussfolgerung: Die Entscheidung für einen Titel und der Entwurf eines Umschlags ist ein ‚serious business. The result should be easily digestible and grab your attention. That’s what sells books.’

Gruppe 1 versuchte, mehr allgemeine Aussagen über die Unterschiede zwischen der deutschen und der niederländischen Vorgehensweise zu formulieren. Sie sahen sich das Debüt von van Nina Weijers De consequenties an, das bei Atlas Contact erschienen ist. Die ursprüngliche Ausgabe zeigt eine nackte Frau, die auf der Seite liegt, die Typographie ist rosa und hat etwas von einem Thriller. Die deutsche Übersetzung, Die Konsequenzen, bei Suhrkamp ist sehr viel stilisierter: das runde Papier eines Cupcakes, gefüllt mit Krümeln und vor einem weißen Hintergrund. Es sieht dezenter aus, hat eine klassischere Ausstrahlung, hat aber immer noch – ebenso wie das Original – einen weiblichen Touch.

Die niederländische Übersetzung von Holm Friebes Buch Die Stein-Strategie, erschien in den Niederlanden bei De Arbeiderspers und heißt dort De steenstrategie. Der Umschlag könnte ebenso zu einem populären Sachbuch wie zu einem Roman gehören. Die niederländische Ausgabe sieht verspielter aus. Es scheint, dass Hanser, der deutsche Verlag, sich eher an Wissenschaftler und Geschäftsleute wendet, der niederländische eher an das breite Publikum.

Die Studenten halten fest, dass man als Verleger eines Buches, das vorher schon irgendwo erschienen ist, die Möglichkeit hat, noch einmal gut über die einzuschlagende Marketingstrategie nachzudenken. Es scheint, dass der ausländische Verlag es in beiden Fällen wichtig findet, dem eigenen Publikum das Genre deutlich zu machen. „Wenn man einen neuen Autor bringt, ist es gut, auf Nummer sicher zu gehen.“ Weise Worte eines angehenden Profis!

verhulstGruppe 4 hatte die schwierigsten Titel ausgewählt: Kaddisj voor een kut von Dimitri Verhulst, erschienen bei Atlas Contact, und Unterleuten von Juli Zeh, erschienen bei Luchterhand. Der flämische Autor Dimitri Verhulst ist auf dem Heimatmarkt ein alter Bekannter, und die Leser wissen, was sie erwarten können: rohe, krude Prosa. Der deutsche Verlag Luchterhand hat sich für den Titel Die Unerwünschten entschieden, der gut zur Geschichte passt: Kinder, die nicht erwünscht sind. Vielleicht mag das deutsche Publikum keine unverblümte Sprache, aber es kann auch eine gute Marketingentscheidung gewesen sein. In Flandern und den Niederlanden ist Verhulst sehr bekannt, in Deutschland reicht den Lesern der Autorenname nicht. Der Titel muss also mehr über den Inhalt sagen und ein breiteres Publikum ansprechen. Auch das Umschlagbild ist weniger direkt und sagt mit den Kinderzeichnungen mehr über die Geschichte als die harte Typographie der niederländischen Ausgabe.

Der Titel des Romans von Juli Zeh ist doppeldeutig: „Unterleuten“ ist im Buch der Name einer Stadt, doch er bedeutet auch, „unter Leuten“ zu sein. Der Titel lässt sich deshalb nicht wörtlich ins Niederländische übertragen. Ons soort mensen legt den Akzent auf etwas anderes, nämlich auf die Beziehung zwischen einer bestimmten Sorte von Menschen untereinander, die sich miteinander verbunden fühlen und bewusst andere Menschen ausschließen. Der Titel des Originals lässt der Phantasie mehr Raum. Das Bild auf dem Umschlag ist bei beiden Ausgaben identisch, der Name der Autorin ist bei der deutschen Ausgabe jedoch deutlicher hervorgehoben. Wiederum weise Worte zum Schluss: „Titel, die auf dem einen Markt erfolgreich sind, lassen sich auf dem anderen Markt nicht immer einfach übersetzen.“

Gruppe 3 beschrieb aus Versehen zwei niederländische Bücher: Ernest van der Kwast Die Eismacher und das Buch von Adriaan van Dis: Das verborgene Leben meines Mutter. Sie finden, dass die deutschen Ausgaben mehr nach ernster, gehobener Literatur aussehen. Die niederländischen Umschläge bieten dagegen mehr Raum für Phantasie.

Gruppe 5 machte es sich ein wenig zu einfach: Sie nahm sich nur einen Titel vor, Geronimo von Leon de Winter. Der niederländische Leser wird eigentlich getäuscht, finden die Studierenden: Das Buch sieht in den niederländischen Ausgabe wie ein Thriller aus, während bei der deutschsprachigen Diogenes-Ausgabe der Akzent bei der Umschlaggestaltung darauf gelegt worden ist, dass es in dem Buch um mehr als Spannung geht. Die Geschichte ist anspruchsvoll, wie wir es von Diogenes gewohnt sind. Geronimo ist viel mehr als ein Thriller, und das soll der Leser bereits am Umschlag erkennen.

Reintje Gianotten

Am Programm haben sich beteiligt: die Hogeschool van Amsterdam (HvA) mit Studierenden, die den Minor „International Trade Publishing“ studieren, die Universiteit van Amsterdam mit dem Master Redacteur, die Hochschule der Medien aus Stuttgart sowie die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, Fakultät der Medien aus Leipzig. Die Koordination des Programms lag bei Reintje Gianotten vom Nederlands Letterenfonds (zugleich tätig bei der HvA) und Melle van Loenen vom Frankfurt-2016-Team.

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