Hörbuch Deutscher Hörbuchpreis: 18 Nominierungen stehen fest

Es ist wieder Zeit für einen Aktionstisch! 18 Hörbücher und sechs Sprecher warten darauf, in Szene gesetzt zu werden – denn sie haben nach Meinung der Nominierungsjury des Deutschen Hörbuchpreises die besten Leistungen im vergangenen Hörbuchjahr erbracht. Eingereicht wurden 324 Titel von 70 Verlagen, von denen sich diesmal einige doppelt oder dreifach freuen dürfen. Einer hat sogar vier Nominierungen erhalten.

Wie jedes Jahr stellen die Nominierungen für den Deutschen Hörbuchpreis eine breit gemischte Empfehlungsliste dar und bedienen im Grunde jeden Geschmack – nicht nur von Hörbuch-Fans, sondern allgemein von Literaturliebhabern, die das Besondere suchen. Von Januar bis Ende März erfährt das Medium eine deutlich erhöhte Aufmerksamkeit, weil sich der Preis längst zum Oscar der Branche entwickelt hat, der auch von zahlreichen Medien zur Berichterstattung aufgegriffen wird. Eine größere Titel-Auswahl finden Sie in der Longlist, die bereits zuvor veröffentlicht wurde.

Die Bekanntgabe der meisten Preisträger ist am 26. Januar, das beste Kinderhörbuch wird am 2. Februar veröffentlicht. Die Gala zum Deutschen Hörbuchpreis wird am 7. März im WDR-Funkhaus gefeiert. Sie wird als Video-Stream im Internet übertragen sowie live im Radio – ab 20.05 Uhr auf WDR 5, hr2-kultur, NDR Kultur, SWR2 und Antenne Saar. Ob es wieder eine TV-Übertragung der Aufzeichnung geben wird, steht noch nicht fest.

Besonders gefeiert werden in jedem Jahr die besten Hörbuchsprecher, aufgeteilt in männliche und weibliche Stimmen. Als „Beste Interpretin“ kommen für den Hörbuchpreis 2017 in Betracht:cover_interpretin

  • Bibiana Beglau für Thea Dorn: Die Unglückseligen (der Hörverlag). Die Sprecherin locke, so die Jury, „mit einer zart kratzigen Stimme in den intellektuellen Wirbel eines hochkomplexen Textes“. Sie inszeniere „Purzelbäume des Denkens“, und ein Stoff, der bei eigener Lektüre streckenweise fast hermetisch geschlossen scheine, bekomme durch ihre Interpretation Leichtigkeit. „Sie öffnet dem Zuhörer Türen und bringt ihn mit einem Paternoster in jedes Textstockwerk. Indes bleiben Rätsel bewahrt, und um die Wörter bilden sich magnetische Felder für weiterführende Gedanken.“
  • Martina Gedeck für Delphine de Vigan: Nach einer wahren Geschichte (Random House Audio). „Es ist eine suchende, fragende Stimme, scheu, klirrend, sanft, brüchig, sicher, aber auch voller Zweifel“, sagt die Jury zu Gedecks Interpretation. „Sie erzeugt eine irritierende Nervosität, vertont diffuse Ängste und ein Wissen um die großen Themen. Martina Gedecks besondere Gabe ist es, den Zuhörern elegant das Denken zu überlassen, Gefühle wachzurütteln und die Ambivalenz eines Textes herauszuarbeiten. Zartes Pathos oder Todessehnsucht gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie selbstironische Alltagsbeobachtungen, die sie mit Anmut vermittelt.“
  • Eva Meckbach für David Vann: Aquarium (Parlando Verlag). Jurybegründung: „Eva Meckbach tastet sich in die Geschichte hinein, sie verfügt über ein breites Repertoire stimmlicher Möglichkeiten, mit denen sie in Gedankenräume zieht. Ihre Stimme erzeugt ein Gefühl tiefer Einsamkeit und zeigt die Suche nach eigenen Erlebniswelten. Verletzungen werden hörbar. Sie lässt ihre Figur traurig klingen, präsentiert die vorsichtige Kontaktaufnahme mit anderen Menschen und die Mut machende Stärke eines literarischen Textes. Die Kraft des Erzählens ist mit scheinbarer Mühelosigkeit inszeniert.“

Als „Bester Interpret“ sind nominiert:cover_interpret

  • Otto Mellies für Marilynne Robinson: Gilead (Argon Verlag). Der Sprecher interpretiere den Stoff der vielfach ausgezeichneten Roman-Autorin um die großen Themen Glaube, Liebe, Hoffnung, Heimat und die vielen theologischen Reflexionen ergreifend und überzeugend, lobt die Jury. „Mit seiner wunderbar sonoren, vollen dunklen Stimme ist Mellies eine kongeniale Sprecherbesetzung. Dem zutiefst berührenden Text verleiht er eine Seele und Wärme, ohne ins Pastorale zu gleiten. Ein Prediger, dem eine große Gemeinde zu wünschen ist.“
  • Ulrich Noethen für Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt (Hörbuch Hamburg). „Friedrich Anis sprachlich virtuoser Roman zieht den Hörer in den Abgrund kindlichen Missbrauchs. Aus der Ich-Perspektive erzählt Ulrich Noethen den Leidensweg des ‚Luggi‘ Dragomir und vermittelt gnadenlos überzeugend die Gefühlswelt des Protagonisten. Er lässt den Hörer die Rache, den Zorn, die Gefühlskälte, aber auch die Reue und Einsamkeit des Mannes spüren. Ergreifend und glaubwürdig geht er an die Grenze des Sagbaren. Eine in allen Facetten überzeugende Besetzung.“
  • Robert Stadlober für Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit (Diogenes). Robert Stadlobers „sanfte und sensible Lesung“ sei ein Genuss, meint die Nominierungsjury. „Der Identitätssuche des Ich-Erzählers spürt er einfühlsam und unaufgeregt bis in die letzten Details nach, für jedes Wort findet er den richtigen Ton. Die schmerzliche Sehnsucht der Romanvorlage findet in der Stimme des Schauspielers ihren eigenen Sound.“

Als „Bestes Sachhörbuch“ gehen diesmal ins Rennen:cover_sachhoerbuch

  • Swetlana Alexijewitsch: Secondhand-Zeit – Leben auf den Trümmern des Sozialismus (Hörbuch Hamburg). Das Hörbuch macht die Aufzeichnungen der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, die sich als „Menschenforscherin“ versteht, lebendig – für ihr Buch über das russische Leben hat sie seit 1991 exemplarische Biografien und Bekenntnisse gesammelt. „Die Interviews werden für das Hören erschlossen“, stellt die Jury fest. „Durch die Auswahl der Sprecher und die Montage der Texte entsteht ein ganz besonderes akustisches Erlebnis. Es entfaltet sich ein Chor aus wütenden, traurigen, nüchternen und nachdenklichen Stimmen. Der Hörer taucht tief ein in die komplexe, post-sowjetische Welt, die uns weitgehend fremd ist, hier aber erstaunlich real wird.“
  • Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel: Situation Rooms (Hoerspielpark / WDR). Die Dokumentartheatergruppe „Rimini Protokoll“ versammelt Menschen aus aller Welt, deren Biografien von Waffen geprägt sind: vom Waffenlobbyisten zum Friedensaktivisten, vom syrischen Flüchtling zum israelischen Soldaten, vom Täter zum Opfer. In Art eines Rollenspiels wird der Zuhörer einem Perspektivwechsel unterzogen, der die Akteure des Krieges erschreckend nahekommen lässt. „Wahrhaftige Personen treten in den akustischen Raum dieses kunstvoll gebauten Features: Ob Sportschützen, Kriegsfotograf oder Kantinenchefin einer russischen Munitionsfabrik, hier wird jeder in seiner eigenen Lebenssituation ernstgenommen. Das Feature hört den Geschichten zu und ist dabei in seiner klangkompositorischen Machart höchst spannend, gnadenlos informativ und erschreckend unterhaltsam.“
  • Hans Sarkowicz: Geheime Sender. Der Rundfunk im Widerstand gegen Hitler (der Hörverlag / hr). Über einhundert „geheime Sender“ versorgten die deutsche Bevölkerung nicht nur mit Informationen, sondern unterhielten sie auch mit Reden, Hörspielen, Liedern und Kabarettsendungen. Ihre Geschichte dokumentiert das zehnstündige Feature mit O-Tönen, Interviews und begleitenden Erläuterungen des Herausgebers. Die Radiodokumentation sei herausragend, stellt die Jury kurz und bündig fest.

Als Preisträger in der Kategorie „Beste Unterhaltung“ sind als Kandidaten ausgewählt worden:cover_unterhaltung

  • Max Landorff: Die Siedlung der Toten (headroom Verlag). „Ein hervorragendes Schauspieler-Ensemble erzählt aus verschiedenen Perspektiven die Geschehnisse rund um die ‚Siedlung der Toten‘. Dabei ist jede/r Einzelne faszinierend gut und unglaublich authentisch interpretiert“, schwärmt die Jury. „Das hilft zum einen, die verschiedenen Erzählstränge des Romans zu strukturieren und die Zeitebenen akustisch zu sortieren. Zum anderen macht das einfach nur fesselnde Lust, die über zehn Stunden dauernde Chronik der Ereignisse hautnah mitzuerleben.“
  • Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke – live (Random House Audio). Im dritten Band seiner Erinnerungen erzählt Joachim Meyerhoff von der Zeit seines Schauspielstudiums in München. Den inzwischen Verstorbenen widmet der Enkel mit dem Buch ein ebenso liebe- wie humorvolles Porträt. Denn Joachim Meyerhoffs Live-Vorträge sind ein Spektakel, doch als Hörbuch entstehe nochmal ein ganz besonderer Reiz, so die Jury: „Aufgestachelt von einem enthusiastischen Publikum schraubt sich der Schauspieler mit fantastischem Gespür für Timing und Ausdruck in die skurrile Welt seiner neurotischen Großeltern und den Wahnsinn der Schauspielschule. Großartige Unterhaltung, die gerade durch die Live-Präsenz des Schauspielers unwiderstehlich ist.“
  • Benjamin von Stuckrad-Barre: Panikherz (tacheles! / ROOF Music). Mit dem Buch huldigt der Autor seinem Freund Udo Lindenberg, dessen Musik ihn ein Leben lang begleitet und der einen wichtigen Anteil an seiner Selbstfindung hat. Wie er aus seinem Leben erzählt, sei komisch und verstörend zugleich, beschreibt die Jury. „In lakonischem Tonfall und mit sanfter Selbstironie taucht er in die Abgründe seiner Biografie hinab, aus der ihn nur näselnde Textzeilen von Udo Lindenberg herausführen können. Seine Bekenntnisse und Erinnerungen ergeben ein schillerndes Zeitplateau: drastisch, gebrochen und extrem unterhaltsam.“

In der Königsklasse des Hörbuchs, der Kategorie „Bestes Hörspiel“ als aufwendigste Umsetzungsform von Literatur, stehen ebenfalls drei Produktionen zur Wahl:cover_hoerspiel

  • Händl Klaus: Eine Schneise (Der gesunde Menschenversand / WDR). „Wenn sich in den rhythmisierten Sätzen dieses Hörspiels die Figuren gegenseitig ins Wort fallen und ihre Sätze vervollständigen, dann erzeugt das nicht nur komische Effekte, sondern verweist auch darauf, dass sich in diesem hervorragend besetzten Vierpersonenstück die Figuren einen gemeinsamen Sprachkörper teilen. Die Dialogführung ist vielschichtig, die Struktur des Textes musikalisch, was in der Inszenierung von Erik Altorfer und der Komposition von Martin Schütz kongenial umgesetzt wird.“
  • Abbas Khider: Ohrfeige (Hörbuch Hamburg / WDR). Manchmal müsse man zu drastischen Maßnahmen greifen, wenn man gehört werden wolle, sagt die Jury. „Die Hauptfigur Karim Mensy verpasst seiner Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde, der ‚lieben Madame Frau Schulz‘, eine Ohrfeige und fesselt sie an ihren Bürostuhl. Erst dann kann er von seiner Flucht aus dem Irak und seiner ungesicherten Existenz in Deutschland erzählen.“ In den Episoden, die um den 11. September 2001 herum spielen, überzeuge Omar El-Saeidi als Karim in der stimmigen Inszenierung von Claudia Johanna Leist.
  • Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 (belleville Verlag / BR). „Wirkliche emotionale Erkenntnis kann nur von 20-Jährigen kommen und nur von 14-Jährigen begriffen werden, weil sie alle noch die Sprache der Mystiker sprechen“, heißt es in Frank Witzels 800-Seiten-Roman, der die Erfindung der RAF auf ganz neue Weise erzählt. Die Jury lobt: „Zusammen mit der Musik des Autors hat Regisseur Leonhard Koppelmann eine akustische Fassung geschaffen, die in klug arrangierten Vor- und Rückblenden keine Roman-‚Verhörspielung‘ darstellt, sondern ein eigenständiges Kunstwerk.“

Über die Auswahl für das „Beste Kinderhörbuch“, die von der Nominierungsjury festgelegt wurde, diskutiert am kommenden Samstag eine Kinderjury, die vom Literaturhaus Bonn in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Bonn organisiert und begleitet wird. Fünf Mädchen und Jungen aus Bonn und Umgebung sind die jungen Experten für diese Wettbewerbsrunde: Elisabeth (11), Eva (12), Leonard (13), Linus Elias (13) und Luisa (13). Sie haben in den letzten Wochen schon eifrig gehört und werden Pro- und Kontra-Argumente über diese Produktionen austauschen:cover_kinderhoerbuch

  • Cornelia Funke: Die Feder eines Greifs (Atmende Bücher). Autorin Cornelia Funke und Hörbuchsprecher Rainer Strecker nehmen die Hörer mit auf eine 555 Minuten lange, aufregende Reise. Die Nominierungsjury schwärmt: „Vom norwegischen Wald in den wilden Dschungel Indonesiens folgen wir akustisch bei dieser ungekürzten szenischen Lesung den Figuren von Ben, Barnabas und dem lispelnden Winzling Fliegenbein. Spannend, fantasievoll und mit einem atmosphärischen Soundtrack aus Musik und Geräuschen – ein besonderes Hörerlebnis für die ganze Familie!“
  • Ute Krause: Im Labyrinth der Lügen (cbj audio). Jurybegründung: „Stefan Kaminski schafft es durch seine lebendige Interpretation, die richtige Stimmung zu erzeugen und die jungen Hörer für diese Erzählung zu begeistern und zu fesseln. Eine bewegende Geschichte mit historischen Fakten über das Leben in der DDR – spannend wie ein Krimi und großartig vorgetragen.“
  • Andreas Steinhöfel: Anders – Das Hörspiel (Silberfisch bei Hörbuch Hamburg / WDR). „Im Hörspiel hallen die ungewöhnlichen, faszinierenden Erlebnisse von Felix lange nach“, meint die Jury. „Die Geschichte wurde von Regisseurin Angeli Backhausen überaus feinfühlig inszeniert, die Charaktere werden so lebendig, als stünde man direkt neben ihnen. Großartiges Ensemble! Die Musik von Rainer Quade öffnet ungeahnte und teils unerwartete Gefühlswelten. Dabei bleibt immer genügend Raum für eigene Assoziationen. Ein spannendes Hörspiel, das der Romanvorlage einen ganz eigenen Hör-Raum zur Seite stellt. Toll!“

rw

 

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