Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Boualem Sansal: Demokratie kann nur gemeinsam gelingen

Boualem Sansal

Auf der heutigen Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse stellte sich der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Boualem Sansal, [mehr…] den Fragen der Journalisten.

Zu Beginn des Gesprächs erläuterte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Dr. Gottfried Honnefelder, die Begründung der Jury, die mit der Wahl auch die Demokratiebewegungen in Nordafrika stärken will.
„Wer nach weiteren Begründungen sucht, sollte das Buch Rue Darwin lesen“, riet Gottfried Honnefelder.

Zur Frage nach den Chancen für erfolgreiche Befreiungsbewegungen in den arabischen Ländern stellte Boualem Sansal zunächst fest, dass die Ereignisse in Nordafrika, der Aufstand der Jugend, ein Glück für ihn seien. Vielleicht ist es möglich, die Demokratiebewegung weiter nach Afrika, Amerika und China zu tragen.

Für die künftige Entwicklung in der arabischen Welt sei er allerdings pessimistisch, denn es gebe zwar keine Diktatoren mehr, aber die Systeme sind erhalten geblieben. Die Bevölkerung müsse mobilisiert werden. Und: „Wir brauchen die politische und wirtschaftliche Hilfe des Westens“, unterstrich der Friedenspreisträger.

Nach der politischen Situation in seinem Heimatland Algerien befragt, antwortete Boualem Sansal, dass es zwar Jugenddemonstrationen gegeben habe, diese aber örtlich begrenzt gewesen seien und vom in langen Bürgerkriegsjahren erfahrenen Regime niedergehalten wurden. Die Machthaber seien mit viel Geld ausgestattet und hätten genügend Möglichkeiten für Repressalien. Dennoch berge das Aufbegehren der jungen Leute Hoffnung.

Der Westen solle den Diktaturen nicht helfen, sondern sich für die Völker entscheiden, forderte der Autor. Großen Wert legte er darauf, dass die Demokratie friedlich erreicht werden müsse. Tunesien und Ägypten seien gute Beispiele für den Beginn eines neuen Weges.

Auf die Beziehung zu Deutschland angesprochen, verwies Boualem Sansal darauf, dass er sich schon früh mit deutscher Literatur und Philosophie beschäftigt habe. Als er (bis 2003) im Ministerium arbeitete, war Deutschland wichtigster Handelspartner Algeriens, große deutsche Firmen arbeiteten im Land. Früher gab es auch gute Beziehungen zur DDR – auf den Gebieten der Industrie, der Medizin und im Sport.
Außerdem erinnerte er an die Geschichte; seit 1830 wurde zur Besiedlung Algeriens aufgerufen. Unter den Ersten, die kamen, waren viele Deutsche.
In seinem Buch Das Dorf der Deutschen. Das Tagebuch der Brüder Schiller, auf Deutsch 2009 und 2010 im Merlin Verlag erschienen, geht es auch um deutsche Geschichte.

Alle Bücher Boualem Sansals sind ins Deutsche übersetzt worden und im Merlin Verlag erschienen. Deshalb ist der Autor mehrmals im Jahr in Deutschland. Scherzhaft fügte er hinzu: „Ich werde irgendwann ein Deutscher.“

Boualem Sansal ist in Deutschland bekannter als in seiner Heimat. Dennoch bleibt er in Algerien, um sich dort weiter zu engagieren. Es gab bereits im Oktober 1988 vier „Tage des Frühlings“ in Algerien – doch der Aufstand wurde niedergeschossen. Trotzdem wurde die Verfassung liberalisiert. „Aber das ist noch keine Demokratie. Man muss den Wandel im Denken, im Bewusstsein durchsetzen“, erklärte der Autor. So hätten die Behörden zwar mit einer Hand gegeben, mit der anderen aber wieder weggenommen.

Boualem Sansal, nach Repressalien ihm gegenüber befragt, spricht von intelligenter Repression. Zunächst wollte man ihn auf die Seite des Präsidenten ziehen, dazu erhielt er sogar Besuch vom Präsidentenbruder. Als das nicht gelang, wurde er im Ministerium entlassen und bekam auch in der Wirtschaft keine Arbeit mehr. Die Staatspropaganda verteufelte ihn, die Firma seines Bruders wurde ruiniert, seine Frau aus dem Schuldienst geworfen.

Welche Rolle spielen Schriftsteller in Algerien? „Das Buch fehlt in unserer Gesellschaft – anders als in Deutschland“, konstatierte Boualem Sansal bedauernd. „Aber die Ideen der Engagierten zirkulieren“, fügte er hinzu. Wichtig sei, dass die Leute wissen, dass es Widerständige im Land gebe. Solschenizyn sei in der Sowjetunion auch nicht gedruckt worden, seine Gedanken trotzdem bekannt gewesen.

Boualem Sansal sieht neben der Herrschaft von Diktaturen oder Islamisten noch ein drittes Problem: „Wir sind unsere eigene Gefahr, denn wir müssen unsere archaische Gesellschaft ändern. Dafür brauchen wir Hilfe.“ Der eigene Druck sei größer als der von Islamisten und Soldaten. Globale Zusammenarbeit sei der einzig gangbare Weg, um die Schwierigkeiten hin zu einer demokratischen Entwicklung zu überwinden. „Wenn der Westen sagt, ‚die sollen mit ihren Problemen allein klar kommen’, ist das zu kurz gedacht. Unsere Probleme werden vor dem Westen nicht Halt machen“, prophezeite der Schriftsteller.

Er bekannte, dass der Friedenspreis für die Sache der arabischen Welt sehr viel bedeute. Damit werde ja ausgedrückt: Deutschland unterstützt euch. Das Regime schweigt bislang zur Auszeichnung, den Islamisten ist es egal, sie halten sich ohnehin nicht an Regeln. Dennoch: „Ich glaube, in kleinen Schritten wird sich die Bedeutung des Friedenspreises auch bei uns ausbreiten“, schloss Boualem Sansal zuversichtlich.

JF

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