Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen: Was der „Minimalkonsens“ der VG Wort bedeutet

Bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung der VG Wort am letzten Samstag ging es unter anderem darum, ein Verfahren zur Verrechnung abgetretener Nachausschüttungs-Ansprüche von Autoren an Verlage unter Einbeziehung der VG Wort zu implementieren. Durch dieses letztlich vom Bundesgerichtshof im „Vogel“-Urteil ausdrücklich vorgesehene Vorgehen können Verlage, Verständnis und Entgegenkommen der Autoren vorausgesetzt, die Nachzahlungsansprüche gegenüber der VG Wort reduzieren.

Rainer Dresen
Rainer Dresen

Hierzu war aufgrund der Satzung der VG Wort ein Beschluss aller Berufsgruppen nötig. In fünf der sechs Kurien war aufgrund der Zusammensetzung und der Erfahrungen aus der Vergangenheit eine positive Entscheidung zu erwarten. In der Berufsgruppe zwei aber sind neben den Sachbuchautoren und den Übersetzern auch die mittlerweile ja bundesweit bekannten (dazu etwa die FAZ) „Freischreiber“ organisiert. Diese eher unberechenbaren Herren mit der ab und zu aufblitzenden Anmutung von politischen Agitatoren sind offenbar davon überzeugt, dass die Verlage nichts mehr in der VG Wort zu suchen haben. Dass sie diese Überzeugung auch in ihren Wortmeldungen kaum verhehlen, wäre der Euphemismus des Jahres. Bekanntlich sorgten sie auf diese Weise schon bei der letzten Mitgliederversammlung im September für tumultartige Szenen und erreichten letztlich die Beschlussunfähigkeit der gesamten, auf dem uneingeschränkten Konsensprinzip basierenden VG Wort-Versammlung.

Groß war deshalb auch dieses Mal die Besorgnis, dass die Mitgliederversammlung wieder im Chaos enden würde, hatten doch die „Freischreiber“ auf ihrer Homepage erklärt, was sie von dem anonymisierten Abtretungsverfahren unter Einbeziehung der VG Wort als Clearingstelle halten: nämlich wenig bis nichts. Dieses Vorgehen, so Vorsitzender Benno Stieber noch am 22.November, sei „verzichtbar und untauglich“.

Nun aber scheinen, wohl nicht zuletzt dank zahlreicher vorgeschalteter Einzelgespräche des VG Wort-Vorstands, auch eine gewisse Anzahl unter den „Freischreibern“ eingesehen zu haben, dass das zur Abstimmung stehende anonymisierte Abtretungsverfahren unter Einbeziehung der VG Wort als Clearingstelle vor allem den Autoren nützt. Jedenfalls wurde dieses Mal der Verrechnungsbeschluss in allen Berufsgruppen mit mindestens einer 2/3-Mehrheit angenommen. Nun bleibt den Autoren die Situation erspart, dass sie ihre Antwortschreiben auf die Abtretungsbegehren an die Verlage selbst richten müssen. Adressatin möglicher Autorenzustimmungen ist die VG Wort. Die Verlage erfahren auf diese Weise lediglich den von der VG Wort errechneten Gesamtbetrag der auf sie entfallenden Abtretungen.

Unabhängig von diesem Minimalkonsens konnte man auch am Samstag bei einigen der gewohnt aggressiv vorgetragenen Wortmeldungen der „Freischreiber“ ein tiefsitzendes Misstrauen gegen der VG Wort als Interessenvertretung von Autoren wie Verlagen spüren. Deshalb wohl auch stimmte am Ende die „Freischreiber“-Berufsgruppe 2 noch gegen eine aus formalen Gründen erforderliche Änderung des regulären Verteilungsplans. Grund: Weil dieser noch aus alter Zeit einen Hinweis auf die Verteilungsquote zwischen Autoren und Verlagen enthielt, allerdings versehen mit dem klaren Vermerk, dass es ohne eine Änderung der Rechtslage natürlich zu keinen Auszahlungen an Verlage kommen wird. Alleine der Hinweis auf eine mögliche Wiederherstellung der jahrzehntelang von allen VG Wort-Mitgliedern getragenen gemeinsamen Interessenwahrnehmung genügte demnach einigen wenigen, um mit „Nein“ zu stimmen. Da zu jenem Zeitpunkt das Plenum deutlich gelichtet war und offenbar „Freischreiber“ mit einem guten Sitzfleisch gesegnet sind und noch ausharrten, wo andere schon das Weite suchten, reichte das Nein ihres Häufleins für eine Sperrminorität in ihrer Berufsgruppe. Das bedeutet, dass bis auf weiteres der Verteilungsplan für zukünftige Einnahmen außer Kraft gesetzt ist und dass, wenn dieser faux pas nicht irgendwann 2017 auf einer neuerlichen Mitgliederversammlung revidiert wird, alle VG Wort-Mitglieder für künftige einnahmen auf dem Trockenen sitzen. Betrüblich, kurios, peinlich, aber die VG Wort und insbesondere die Verlage haben gerade gewiss andere Sorgen.

Nämlich die Sorge, ob die vom Gesetzgeber als Reaktion auf das Vogel-Urteil lediglich in Aussicht gestellte, aktuell noch nicht beschlossene künftige Abtretungsmöglichkeit von Autorenansprüchen nach Publikation eine taugliche Lösung sein kann, um Ausschüttungen an Verlage zukünftig wieder zu ermöglichen. Dies und die gerade mit großem Applaus beschlossene „Abtretungslösung“ der VG Wort für vergangene Ausschüttungen sind jedenfalls nichts, was Verlage wirklich zufriedenstellen kann. Dadurch wird man der wichtigen Rolle der Verleger im Wertschöpfungsprozess eines Buches auf dem Weg von der ursprünglichen Autorenversion eines Textes hin zu der dank Verlagsleistungen aller Art entstehenden, erst vermarktbaren Verlagsversion nicht ansatzweise gerecht.

Nicht zufällig wird deshalb der Ruf nach einem eigenen Verlegerrecht immer lauter vernehmbar. Ob ein solches Verlegerrecht, das seine Rechtfertigung dogmatisch in dem unzweifelhaften Wertschöpfungsbeitrag der Verlage finden dürfte, dann in der VG Wort oder in einer anderen Verwertungsgesellschaft wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten. Die Antwort auf jene Frage dürfte entscheidend davon abhängen, ob sich die als eingetragener Verein organisierte VG Wort künftig eine modernere Organisationsstruktur gibt und so dem Umstand Rechnung trägt, dass es sich hierbei mittlerweile um eine Institution handelt, die mehrere hundert Millionen Euro jährlich auszuschütten hat.

A propos Verlegerrecht. Ich fragte am Samstag Dr. Martin Vogel, was er denn davon halte, wenn Verlage sich nun endlich darum bemühten. Seine Antwort: Das sei genau das, was er seit vielen Jahren empfohlen habe und seiner Ansicht nach die einzige Möglichkeit, eine dogmatisch saubere Verlegerbeteiligung zu erreichen.

Demnach hatte und hat Dr. Vogel, anders als etwa die „Freischreiber“, die das von ihm alleine erstrittene Urteil bereitwillig zu eigenen Zwecken usurpieren, um eine verlegerfreie VG Wort anzustreben, gar nichts gegen die Verlegerbeteiligung an sich. Im Gegenteil, er mag Verlage, er hat sich am Samstag sicher nicht zufällig länger mit Antje Kunstmann unterhalten. Er weiß genau um den Anteil der Verlage an der Kulturleistung des Büchermachens. Ihn als nüchternen Juristen störte offenbar an der Verlegerbeteiligung nur deren dogmatische Herleitung. Die jahrzehntelange Argumentation von der symbiotischen Beziehung zwischen Verlagen und Autoren jedenfalls hat ihn noch nie beeindruckt, denn die findet sich nicht im Gesetz, und deshalb fand sie keine Gnade vor den Augen des Juristen Dr. Vogel.

Mit dieser seiner Meinung zur Symbiose steht er bekanntlich längst nicht mehr alleine. Auch unter den Richtern des Bundesgerichtshofs fand sie keine Anhänger. Stattdessen wunderte sich das Gericht unverhohlen, weshalb die Verlage nie ein eigenes Verlegerrecht wollten.

Man könnte angesichts dessen auf den Gedanken kommen, den BGH ernst zu nehmen und nun ein eigenes Verlegerrecht vom Gesetzgeber zu verlangen. Bislang gibt es keine derartigen Bemühungen, auch deshalb nicht, weil befürchtet wird, dass der dann auf Verlage entfallende Ausschüttungsbetrag deutlich geringer ausfallen könnte als bislang gewohnt. Auch hierzu hat Dr. Vogel eine bemerkenswerte Ansicht. Er meint, dass im belletristischen Bereich auch auf Basis eines Verlegerrechts ein Verlagsanteil von 30 Prozent an den Ausschüttungen gerechtfertigt sei. Exakt so viel also, wie bisher ausgeschüttet wurde.

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