Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen: Mit der Fahrradklingel durch den Wald

Als Verlagsjurist war man schon seit dem Einstieg des Inverstors Barlach im Jahre 2006 aus Gründen der beruflichen Fortbildung gut beraten, regelmäßig nach Meldungen zum Thema Suhrkamp zu recherchieren. Deshalb habe ich seit geraumer Zeit bei Google einen „Suhrkamp-Alert“ geschaltet. Seit den beiden kürzlich ergangenen, aufsehenerregenden Urteilen des Landgerichts Berlin zu Fragen der jetzt schon legendären, auffahrtsbeheizten Verlegerinnenvilla und angesichts der für Februar 2013 angekündigten Entscheidung des Landgerichts Frankfurt über die drohende Auflösung der Verlags-KG wird die Inbox mit Suhrkamp-Meldungen geflutet, die von Tag zu Tag kurioser werden.

Kurios etwa war, dass es in der Sitzung des Landgerichts Berlin, die der Abberufung der Geschäftsführung voranging, Zeitungsberichten zufolge der Suhrkamp-Autor Rainald Goetz und nicht etwa die Suhrkamp-Anwälte waren, der am vehementesten forderte, dass ein Verlag selbstverständlich Repräsentationsräume benötige. Diese Meinung äußerte er, den Begriff „öffentliche Verhandlung“ zur großen Verwunderung des Gerichts offenbar ernst nehmend, aus dem Zuschauerraum heraus und wurde dafür umgehend und streng zurechtgewiesen.

Dies hielt den selbsternannten Gerichtsschreiber aber nicht davon ab, auch beim Termin zur Verkündung des Urteils anwesend zu sein. Als der einzige sich den erschienenen Journalisten als solcher zu erkennen gebende Suhrkamp-Vertreter schrieb er eifrig mit, was der Richter an Überraschungen verkündete. Überraschungen wohl auch für den Suhrkamp-Anwalt, den hoch angesehenen Berliner Kulturanwalt Professor Raue, der noch wenige Tage zuvor der Berliner Morgenpost erklärt hatte, die Berliner Verfahren hätten „eher untergeordnete Bedeutung“, ja seien „völlig bedeutungslos“, weshalb er dem Ausgang „gelassen entgegen sehe“. Ebenso gelassen und noch dazu als Fußball-Experte (berät er auch Hertha BSC?) gab er sich in einer ersten Bewertung nach den Urteilen: „Wir haben Halbzeit. Und in der Halbzeit hat er das Tor geschossen, das ist gar keine Frage.“

Kurzzeitig nicht ganz auf Ballhöhe hingegen schien der Kläger zu sein, der Investor und Minderheitsgesellschafter Barlach, der offenbar selbst nicht so recht wusste, was er mit seinen Klagen im schlimmsten Fall anrichten kann. Im Frankfurter Verfahren mit dem Ziel der Auflösung der Verlags-KG, so Barlach gegenüber der FAZ, gehe es letztlich darum, dass man schlimmstenfalls eben die KG-Anteile an neue Gesellschafter verkaufen müsse. Mitnichten, so die Meinung von Gesellschaftsrechtsexperten, sei dies die letzte Konsequenz, sondern vielmehr sei zu befürchten, dass im Falle der Auflösung alle Werte des Verlages von den Autorenrechten bis hin zu den Schreibtischen versilbert werden würden.

Eben dieser Investor war sich auch nicht zu schade, ungefragt der FAZ die – angeblich eher niedrigen – Verkaufszahlen von Frau Berkéwiczs Büchern zu nennen. Noch unverblümter gab sich der bekennende Suhrkamp-Gegner Arno Widmann („Frankfurt ohne Suhrkamp? Na und!“). Der Journalist hat wohl noch eine Rechnung offen und nutzte die Gelegenheit, in der moribunden Frankfurter Rundschau dem ehrenwerten, langjährigen Suhrkamp-Verleger und Geschäftsführer Thomas Sparr mit der Injurie „Jemand, bei dem noch niemand auf die Idee gekommen ist, er könnte die Bücher verstehen, die er verlegt“ ans Bein zu pinkeln.

Fast schon rührend war dagegen der langjährige Suhrkamp-Autor Adolf Muschg. Der hatte zwar 2009 nach 35 Jahren Verlagszugehörigkeit anlässlich des Berlin-Umzugs den Suhrkamp Richtung München zu C.H. Beck verlassen. Nun allerdings sah er seinen alten Verlag in so existenzieller Not, dass er sogar den amtierenden Bundespräsidenten um Beistand bat und als Vermittler vorschlug. Auf Facebook war zu lesen, dass jemand diesen Vorschlag aufgriff und ihn logisch noch etwas weiterführte: Wo sei eigentlich Gott, wenn man ihn mal brauche.

Ein Favorit auf der nach oben offenen Erstaunlichkeits-Skala in der Sache Suhrkamp aber waren für kurze Zeit weder Forderungen nach Gott oder dem Bundespräsidenten, sondern Aussagen des ehemaligen Rowohlt-Verlegers, Kulturstaatsministers, ZEIT-Herausgebers und Cicero-Chefredakteurs Michael Naumann in einem wirklich lesenswerten Deutschlandradio-Interview http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1947125/. War seine Gegenüberstellung des Suhrkamp Verlages als der „Bach‘schen Fuge“ und Herrn Barlachs als lediglich dem „Mann mit der Fahrradklingel“ noch poetisch, so gab er offen zu, dass er nicht genau wusste, wovon er eigentlich (trotzdem) sprach: „Mir ist übrigens auch die Rechtsgrundlage nicht völlig klar, warum eine mehrheitsbesitzende Verlegerin, in diesem Fall also Frau Berkéwicz, abgesetzt werden kann, obwohl ihr der Verlag wirklich gehört.“ Frau Berkéwicz, so wollte man Herrn Naumann zurufen, soll vom Landgericht Berlin nicht als Verlegerin und auch nicht als Mehrheitsbesitzerin abgesetzt, sondern – dies ein im sonstigen Wirtschaftsleben übrigens gar nicht so seltener Antrag – in ihrer Funktion als Geschäftsführerin abberufen werden.

Ebenso kenntnisreich war eine weitere Beobachtung, die Herr Naumann exklusiv gemacht hatte, nämlich die, dass das Landgericht Berlin „Spitzenlektoren des Hauses“ zu „Geldstrafen“ verurteilt habe. Diese könnten die „Strafen“ übrigens auch gar nicht bezahlen, denn „der Richter hat wohl keine Vorstellung, wie gering im deutschen Verlagsgewerbe die Gehälter von Lektoren sind“. Erstinstanzlich und damit nicht rechtskräftig zu Schadensersatz verurteilt, keineswegs aber strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen, hat das Gericht bekanntlich nicht irgendwelche Lektoren mit Volontärsgehalt, sondern die drei Verlagsgeschäftsführer.

Sehr interessant auch Naumanns Vermutung, dass Investor Barlach sein Geld mit „Abgüssen seines Großvaters Barlach“ verdient habe, die man „aus den Anzeigen für gebrauchte Autos“ kenne. Es ist noch nicht bekannt, wo Herr Naumann seine Autos kauft, aber es steht zu zweifeln, dass sich in vielen Autohäusern Barlach-Skulpturen befinden. Kaum weniger erratisch war seine Mutmaßung, dass Barlach „in Wirklichkeit im Auftrag von anderen handelt“. Auf die Nachfrage, wer das denn sein solle, antwortete er „Das kann auch ein Hedgefonds-Manager aus dem Ausland sein. Weiß der Teufel.“

Eben dieser Michael Naumann, Gott war offenbar verhindert, Kofi Annan in Urlaub und der Bundespräsident vorübergehend in Afghanistan, wurde vom Suhrkamp Verlag als Vermittler nominiert. Naumann gab in einem weiteren Deutschlandradio-Interview sofort zu erkennen, dass er bereit und sich der Bedeutung der Aufgabe bewusst sei: Mit Blick auf den Streit um den Suhrkamp-Verlag fühle er sich an nichts weniger als die atomaren Abrüstungsverhandlungen in Genf erinnert, von denen er Anfang der 80er-Jahre als Reporter berichtet habe. In Genf habe damals nach jahrelangen Verhandlungen ein Waldspaziergang den Durchbruch gebracht, von dem die Vertreter Russlands und der USA mit einem Lösungsvorschlag zurückgekehrt seien.

Offenbar hatte man vor der öffentlichen Ausrufung des Mediators versäumt, die andere Seite zu fragen. So kam es, wie es kommen musste: Herr Barlach zeigte sich verstimmt darüber, dass Herr Naumann ihm zuvor in einem Interview „null verlegerische Erfahrung“ attestiert hatte. Er warf ihm Voreingenommenheit und „Krawall-Stellungnahmen“ vor und verbat sich weitere Anrufe Naumanns auf seiner Mailbox.

Zu einem Waldspaziergang, als Örtlichkeit hätte sich vielleicht ein weitläufiger Villenpark am Nikolassee angeboten, wird es deshalb wohl so schnell nicht kommen. Vielleicht ist das besser so. Man sah im Geiste schon die ins Gespräch über Handkes Bleistift oder Bachs Fuge versunkene Gruppe aus Mediator und Verlagsgeschäftsführung auf mutmaßlich unbeheizten Waldwegen promenieren, darauf wartend, dass der von Peter Handke in der aktuellen ZEIT als „ein Abgrundböser“ und als „Unhold“ bezeichnete Minderheitsgesellschafter zur Gruppe stößt und ein Wunder passiert. Plötzlich aber raschelt es und ein laut klingelnder Radler prescht durchs Röhricht und fährt auf die Müßiggänger zu. Da dieser, begleitet von seiner das „geltende Recht satanisch unermüdlich ausschöpfenden“ „Horde schwerbezahlter Mit-Unholde“ und mit nicht angepasster Geschwindigkeit unterwegs ist, kann er nicht mehr rechtzeitig bremsen und fährt alle, sich selbst eingeschlossen, über den Haufen.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert