ARCHIV Günter G. Rodewald über die neuesten Branchenentwicklungen in Spanien

Aus dem seit Samstag fast rauchfreien Spanien kommen herzliche, wenn auch etwas klamme Grüße zum Start des neuen Jahres, von dem die hiesige Verlags- und Buchhandelswelt keine Ahnung hat, wie es sich wohl entwickeln könne. Das Weihnachtsgeschäft ist ja noch nicht abgeschlossen, erst am 5. Januar werden die Hallen geschlossen – manche Geschäfte machen ihre Türen in dieser Nacht erst um Mitternacht dicht. Der 6. Januar ist in Spanien der traditionelle Tag der Geschenke, wenn auch eigentlich nur für die Kinder, aber dem Neid der Erwachsenen wird längst entsprechend gezollt.

Man hofft mit großem Bangen auf ein besseres Jahr als das vergangene, dessen definitive Ergebnisse wohl noch lange in der Schwebe bleiben müssen. Denn die spanischen Buchhändler haben ein zeitlich und quantitativ unbegrenztes Remissionsrecht, so dass so manche Partie, die schon lange fakturiert war und die man bereits auf der Habenseite vermutete, am Ende doch wieder im Null- oder roten Bereich endet.

Dazu sind die betreffenden untereinander nur oberflächlich vernetzten und verzweigten, bisweilen miteinander zerstrittenen Gremien der Verlage und des Buchhandels in Spanien bis heute nicht in der Lage, eine zeitnahe und möglichst umfassende Umsatzanalyse zu betreiben.

Von einem objektiven Handwerkszeug, wie es der Börsenverein des Deutschen Buchhandels pünktlich zum Ende eines jeden Monats mit seinem „Branchen-Monitor Buch“ liefert, kann hier nur geträumt werden.

So ist man darauf angewiesen, auf eher unwissenschaftliche Art nach dem tatsächlichen Verlauf der Geschäfte zu forschen, indem man sich umhört oder zum Beispiel die Nielsen-Listen durchforstet. Ein Artikel in der Tageszeitung El País aus dem November 2010 nutzte diese Liste, um eine aktuelle Marktforschung zu versuchen. Die Ergebnisse können nur ernüchternd bis Angst erregend bezeichnet werden. Sie müssen aber wohl als recht realistisch betrachtet werden: Der Umsatz des Jahres 2010 bis zum Monat August war im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt um zehn Prozent zurückgegangen.

Es gibt Verlage, die nach diesen Ermittlungen bis zu 34 Prozent einbüßten, die traditionellen Buchhandlungen verbuchten einen Umsatzschwund von 16 Prozent (!), selbst das Taschenbuch verlor sieben Prozent.

Man beobachtet die schleichende Abwanderung der Buchkäufer aus den Buchhandlungen in die Buchabteilungen der Kaufhäuser und Supermarktketten, die als einzige einen Zuwachs verzeichnen können, sehr bescheidene ein Prozent. Aber auch bei den großen, gemischten „Freizeitkaufhäusern“, wie man sie hier nennt, wie zum Beispiel FNAC, stellt man Umsatzrückgänge von bis zu drei Prozent fest.

Nach den Recherchen von El País veranschlagt der Sektor den Verlust, den das Herunterladen von Piratenausgaben im Internet (keine e-books, sondern gescannte Bücher) verursacht, auf etwa 400 Millionen Euro, damit liegt man doppelt so hoch wie im Jahre 2009.

Der Hauptgrund für den großen Kaufschwund liegt darin, dass die spanische Mittelschicht, die traditionell größte Käufergruppe, über immer weniger Geld verfügt. Diese Veränderung ist alarmierend, denn private Insolvenzen in den Familien werden immer häufiger, wenn sie auch kaum an die Oberfläche dringen.

Spanien ist in Europa das Land mit der höchsten Verschuldung pro Familie (über 50 Prozent des Nettoeinkommens pro Haushalt!), und nicht wenige haben bereits ihre Wohnungen und Häuser verloren, weil sie die hohen Hypotheken nicht mehr zurückzahlen können, die ihnen über Jahre von den Banken ungemein zinsgünstig, aber in verantwortungsloser Höhe geradezu nachgeschmissen wurden. Hypotheken über bis zu 140 Prozent des Schätzwertes der Immobilie und mit Laufzeiten auf 50 Jahre und mehr waren keine Seltenheit.

Die sich breitende Vermassung des Buchangebots spielt sicher auch eine große Rolle, gerade in den großen Häusern riskiert man gar nichts Neues mehr, selbst früher sicher geglaubte Banken wie ein neuer Ken Follett spielen wesentlich weniger ein, so dass selbstredend schon immer viel zu hohe Vorschüsse noch viel weniger die Chance haben, wieder eingespielt zu werden.

Die Bereitschaft auf neue, noch unbekannte Autoren zu setzen, ist unter Umständen noch am ehesten bei den unabhängigen Verlagen vorhanden. Doch auch dort ist größer werdende Unsicherheit bei der Frage zu spüren, wohin der Weg gehen könnte, der dann auch noch von der diffusen Angst vor den neuen Medien begleitet wird.

Indifferent ist die Einschätzung dieses Marktes ja vielerorts, aber in Spanien wohl noch um einiges mehr, weil der technische Sachverstand und brauchbare Erfahrungen noch vollkommen fehlen. Von einer sinnvollen Analyse dieser Märkte oder seinen möglichen Dimensionen ist man hier fast so weit entfernt wie seinerzeit Gutenberg von der späteren Entwicklung des Verlagswesens, als er sein erstes Buch druckte.

Es kam dem Platzen einer Bombe durchaus gleich, als am Tag vor Heiligabend Jorge Herralde bekannt gab, dass sein Verlag Editorial Anagrama sukzessive an die italienische Feltrinelli-Gruppe übergeben wird. Und gleichzeitig schien es, als ob all den großen spanischen Pools wie Grupo Planeta, RBA oder Random House Mondadori die lange Nase gezeigt wurde. Sie alle lechzen schon seit Jahren danach, sich diesen attraktiven Katalog der modernen Weltliteratur und sein vornehmes Image mit seiner avantgardistischer Vergangenheit einzuverleiben.

Mit dieser italo-hispanischen Allianz ist möglicherweise am besten garantiert, dass der Verlag sein Profil und seine Eigenständigkeit, der im Herbst 2009 sein 40-jähriges Jubiläum und seine bis dahin gut 2.500 publizierten Titel feierte, erhalten kann. Damit ginge Anagrama nicht den tieftraurigen Weg, den so manche Schwester und mancher Bruder gehen musste, wenn sie in der jüngeren und mittleren Vergangenheit von den großen Konzernen geschluckt wurden und ihre Kataloge im Zuge der Vereinnahmungen ihr Profil, ihre ursprüngliche Kontur und am Ende ihre Identität verloren.

Erinnert sei an die Verlage Grijalbo, Lumen oder Debate, die in den italo-germano-hispanischen Berlusconi-Bertelsmann-Konzern Random House Mondadori übergingen. Ebenso traurig war es zu erleben, dass emblematische Häuser wie Paidós Ibérica, Seix Barral, Ariel oder Espasa-Calpe nicht mehr wieder zu erkennen waren, nachdem sie in die Planeta-Familie eingemeindet wurden.

Man kann nur hoffen, dass der nächste Kandidat der unabhängigen spanischen Verlage, der wohl den Besitzer wechseln muss, weil auch dort firmenintern versäumt wurde, eine natürliche Erbfolge aufzubauen, nämlich Tusquets Editores, nicht in die gleiche Falle stolpert. Es wäre zu schade auch um diesen Katalog, der auf so plastische Weise die moderne spanische postfranquistische Verlagsgeschichte illustriert. Da kursieren ebenso viele Gerüchte, wie in den letzten Jahren um Anagrama gewettet wurde, und gehandelt werden dann immer die gleichen Namen. Aber vielleicht hat Beatriz de Moura bereits lange eine Überraschung vorbereitet, wie jetzt ihr Kollege Herralde.

Aber wie wär’s denn mal mit der Idee, den Verlag in die Hände derer zu übergeben, die ihn in den langen Jahren seiner Existenz entscheidend geprägt und im Strudel der Verallgemeinerungen mit am Leben erhalten haben, nämlich die eigenen Mitarbeiter?

Mitte des Monats Dezember ließ sich eine weitere tragende Säule des unabhängigen Publishing Spaniens feiern, Ediciones Salamandra beging sein zehnjähriges Jubiläum. Obwohl es eigentlich schon 20 Jahre sind, denn so lange wird der Verlag bereits von Pedro del Carril geleitet, das erste Dezennium noch unter dem Namen Emecé Editores España. Und fast genau so lange entscheidet Sigrid Kraus mit nahezu schlafwandlerischer Sicherheit und beispiellosem Gespür für Bestseller das Programm.

Das Fest fiel spürbar aus der Reihe, der Kreis der gut 400 Gäste war ungewöhnlich groß, man hatte Mitarbeiter, aktuelle wie frühere, Kollegen, Freunde, geschäftliche wie aber auch viele persönliche, Verleger, Autoren, Übersetzer, Korrektoren, Buchhändler, Vertriebspartner, Agenten eingeladen, natürlich die Presse, eben alle, die in diesen Jahren mit dazu beigetragen haben, die Unabhängigkeit des Verlages zu garantieren. Und viele waren gekommen. Was Salamandra auf die Beine stellt, will man sich nicht entgehen lassen.

Günter G. Rodewald singt für Salamandra

Selbst der BuchMarkt-Korrespondent in Barcelona gab dem Verlag zu Ehren ein Ständchen, von dem es anbei ein Fotodokument, wenn auch (vielleicht Gott sei Dank) kein Tondokument gibt …

Und erst drei Jahre sind es, die es den Verlag Plataforma Editorial gibt und der dieses Mini-Jubiläum dennoch sehr selbstbewusst begeht und sich aus diesem Anlass mit einer beispielhaften neuen Homepage präsentiert: www.plataformaeditorial.com. Jordi Nadal, der über viele Jahre in den großen iberischen und lateinamerikanischen Gruppen leitende Positionen innehatte, hat sich frei gemacht von dem dort zeitweilig herrschenden Irrsinn. Sein mit Umsicht und Vernunft, aber auch Einfallsreichtum erschaffenener Katalog hat bereits zahlreiche Erfolge platzieren und sich längst bei Handel und Presse eine feste und solide Position erobern können.

Der Glaube an diese Unabhängigkeit/en ist vielleicht das Letzte, das man in diesen Zeiten verlieren sollte, die schon schwierig sind, aber wohl noch um einiges schwieriger werden könnten.

Und mehr Professionalität wird notwendig sein, in den Buchhandlungen, in den Verlagen, – auch was die Möglichkeiten angeht, das Internet zum Buchverkauf effizienter zu nutzen- , in den Gremien und Verbänden. Da liegt vieles im Argen.

Dazu dann mehr im nächsten „Blickpunkt Barcelona“.

Günter G. Rodewald ist Literaturagent und arbeitet in der Literaturagentur Ute Körner www.uklitag.com in Barcelona.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert