ARCHIV Günter G. Rodewald über den Sommer in Barcelona – mit Woody Allen und ohne Strom

Nun ist er wirklich da, der Sommer in Barcelona, heißer denn je, abwechselnd mit warmen Winden aus Afrika und mit feucht-schwüler Luft, die vom Meer aufs Land strömt.

Die Stadt wird in der nächsten Woche von einem großen Teil ihrer Einwohner verlassen. Denn nach wie vor ist es gang und gäbe, dass die Geschäftswelt aus Urlaubsgründen wegtaucht, also auch fast die gesamte Verlagsszene der Stadt und des ganzen Landes die Kontore dicht macht.

Mit unbeirrbar peninsularer Sturheit schließt man vom ersten bis zum letzten Tag des Monats August, gleich auf welche Tage die Daten jeweils fallen. Manche – die Schlaueren – arbeiten dann noch klandestin am Monatsanfang weiter, um ungestört Liegengebliebenes wegzuschaffen. Oder kommen ebenso heimlich zu Monatsende schon früher wieder an die Arbeitsplätze und begeben sich in aller Ruhe an das Abtragen der Berge angelaufener Post und von Milliarden von spams, die während der Urlaubszeit die Mail-Konten vollgepumpt haben werden, wenn nicht schon der Mail-Server selbst in dieser Zeit zum Absturz gebracht worden sein sollte.

Ansonsten herrscht in Barcelona in diesem Monat die Woodyallenmania, seit der New Yorker Regisseur Anfang Juli die Dreharbeiten zu seinem neuen Film in der Stadt begann. Ob es vor allem ein Werbefilm für Barcelona werden wird, steht abzuwarten, läge aber sehr nahe: Die Stadt, Katalonien und die Zentralregierung in Madrid subventionieren die Produktion mit sehr viel Geld und bieten alle nur erdenklichen Hilfestellungen.

Ganze Stadtviertel werden tageweise gesperrt, gedreht wird an allen emblematischen Orten Barcelonas, vor allen postkartenbekannten Hintergründen. Ladenbesitzer beschweren sich über Umsatzausfälle. Die Produktionsfirmen haben die Stadt eingenommen wie eine Besatzungsarmee, flankiert von den ortsansässigen Polizei-Einheiten. Die ernsthaften Gesichtern der Schutzmächte könnten einen glauben machen, es ginge ums Überleben.

Außer, dass der Barcelonenser immer sehr, fast hanseatisch stolz auf seine Stadt ist, also auch, dass sie jetzt der unbestrittene Star dieser Produktion werden soll, monieren viele die millionenschweren Subventionen, die der eigentlich nicht Not oder Hunger leidenden Filmindustrie angedient werden. Viele wollen ebenso nicht, dass noch mehr die Werbetrommel für die Stadt gerührt wird, und damit noch mehr Touristen in die Stadt kommen, die zeitweise jetzt schon an ihnen zu ersticken scheint.

Was aber mit sicherer Garantie eintreten wird, wenn jetzt die Straßen, die Meerespromenaden, die pittoresken Gassen, Strassen und Bauwerke ohne Zweifel meisterhaft vom Großmeister der Stadtgeschichten in Szene gesetzt werden, die attraktive und prominente Star-Besetzung wird da das Sahnehäubchen geben: Mit von der Partie sind Woody Allens neue Muse Scarlett Johannson, Penelope Cruz und Javier Bardem.

Dass der noch titellose Film auf jeden Fall ein Kassenschlager in Barcelona selbst sein wird, daran zweifelt dennoch keiner, am wenigsten der Kolumnist selbst, denn er durfte am ersten Drehtag zwei überaus tragende Rollen in dem Film spielen: Als vollschlanker ausländischer Tourist und als Passant vor dem Picasso-Museum. Er hat Mr. Allen sogar einen „good afternoon!“ gewünscht, als dieser aus seiner siesta im schattigen Museu de Picasso aufwachte, er ihn mit seinen großen Augen und noch schlafbenommen ansah und sich zu fragen schien, woher muss ich den denn kennen? Musste er ja gar nicht.

Die Kritiker der großzügig verteilten Film-Gelder und ihre Einwendungen, das Geld sinnvoller auszugeben, scheinen gerade und energisch am heutigen Tag Recht zu bekommen: Während der Kolumnist an diesem Montagmorgen des 23. Juli an seinem Schreibtisch im Zentrum der Stadt sitzen und dort seinem eigentlichen Hauptberuf nachgehen sollte, sah er sich gezwungen, zu Hause zu bleiben (nutzt die Zeit aber für die Redaktion dieses ‚Blickpunkts‘), weil die halbe Stadt seit heute morgen ohne Strom ist.

In zwei zentralen Transformatoren-Stationen sind Feuer ausgebrochen, die umliegende Bevölkerung musste evakuiert werden, dann brach noch eine Starkstrom-Überlandleitung zusammen. Der Stillstand war passiert. Die Abermillionen von Klimaanlagen saugen an solchen Tagen – Vampiren gleich – alle Stromleitungen leer und lassen sie kollabieren.

Die Metro und die S-Bahnen sind in den Tunnels stecken geblieben, die Passagiere mussten lange Zeiten in den aufgeheizten Zügen verharren, bis sie über die dunklen, stinkigen Gleise zur nächsten Station stolpern durften. Die Stadt erlebt gerade ein imposantes Verkehrs-Chaos, die Telefone sind stumm, die Ladengeschäfte haben zum großen Teil geschlossen, der Tag geht als verloren in die Geschichte der Bilanzen ein.

Vielleicht nicht als ganz verlorener Tag für das Umwelt-Bewusstsein der Stadt: Welchen Sinn kann es wirklich haben, so viele Energie in die Stadt zu pumpen, dazu kommen noch die Touristen, eine fast dreifache Menge zur Einwohnerzahl wird für diesen einzigen Monat angekündigt, die in Hotels wohnen, die von unten bis in die obersten Stockwerke auf schicke 20 Grad gekühlt werden. Touristen, die über einen ins Uferlose wachsenden Flughafen mit Tausenden von Billigfliegern anreisen und mit Mega-Kreuzschiffen unten am Hafen anlegen und an Land gehen. Keiner kann die Energie noch garantieren, die nötig ist, um das alles am Laufen zu halten.

Vielleicht sind solche Tage aber gut dafür, dass die Erkenntnis Nahrung bekommt, dass wirtschaftliches Wachstum seinen Sinn spätestens dann verliert, wenn es endlos und ungezähmt betrieben und geduldet wird. So wird die Stadt eines Tages an diesen Doping-Methoden zusammenbrechen, ihre einzigartige Schönheit und die letzten Reste ihrer Unschuld verlieren.

Aber um sich von all‘ dem zu erholen und für ein neues Bücherjahr einzusingen, erlaubt sich auch der Kolumnist, eine gewisse Auszeit zu nehmen und mit dem ‚Blickpunkt Barcelona‘ erst wieder im September aufzutauchen, das großzügige Einverständnis seiner Leser mit gewissem Optimismus erhoffend.

Allen Lesern einen schönen Sommer!

Günter G. Rodewald ist Literaturagent und arbeitet in der Literaturagentur Ute Körner www.uklitag.com in Barcelona

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