ARCHIV Günter G. Rodewald über den diesjährigen Premio Nadal

Den traditionellen Auftakt der literarischen Ballsaison in Barcelona liefert alljährlich am Abend des Dreikönigstages die Verleihung des Premio Nadal, ebenso wiederkehrend verbunden mit einem Diner im Hotel Ritz.

Das heißt heute zwar „Hotel Palace“, was den dort gefeierten Anlässen aber keinerlei Abbruch tut: Man geht nach wie vor eben zum „Nadal“ ins „Ritz“, und das seit 1947, so lange gibt es diese Auszeichnung, die damit auch der älteste Literaturpreis ist.

Also versammelte man sich am vergangenen Donnerstag zum 67. Mal und kürte die neue Preisträgerin Alicia Giménez-Bartlett und ihren Roman „Donde nadie te encuentre“ („Wo dich keiner treffen soll“).

Der Roman ist dieses Mal kein Krimi –vor allem durch dieses Genre und ihre Serie der Petra-Delicado-Romane ist Giménez-Bartlett bekannt geworden –, sondern novelliert die Geschichte der historischen Figur La Pastora, die bei ihrer Geburt 1917 von ihrem Vater als Teresa Pla Meseguer registriert worden war, obwohl er Zweifel an dem Geschlecht des Kindes hatte, weil es mit einer genitalen Deformation zur Welt gekommen war.

Aufgrund ihrer/seiner sexuellen Konflikte wurde sie/er in der faschistischen Franco-Gesellschaft verfolgt und lebte einsam als Hirtin/e – eben als pastora – in ihrer Heimat. 1949 wurde sie/er von Mitgliedern der Guardia Civil vergewaltigt und schloss sich – dann aber als Mann und unter dem Namen Florencio – einer Widerstandgruppe gegen Franco an, die sich in den Bergen von Castellón formiert hatte. Später musste sie/er fliehen und konnte zunächst nach Andorra entkommen, wo sie/er wieder als Hirtin/e lebte und arbeitete.

Im Jahre 1960 folgte die Verhaftung und man stellte Teresa/Florencio unter Mordanklage an 21 Guardias Civiles und verurteilte sie/ihn zum Tode. Eine Amnestie wandelte das Todesurteil in lebenslange Haft um, aus der sie/er erst 2004 entlassen wurde. Teresa/Florencio starb im Jahre 2004.

Eine spannend anmutende Geschichte, die sich einreiht in eine neue literarische Tradition, in der spanische Autoren versuchen, auf erzählerischem Wege die Zeit des Franco-Faschismus aufzuarbeiten.

Längst hat der Premio Nadal seinen literarisch anspruchsvollen Charakter verloren; früher zeichnete er junge, neue Autoren aus, viele von ihnen machte der Preis berühmt und populär, wie seine erste Gewinnerin Carmen Laforet, später Miguel Delibes, Carmen Martín Gaite, Ana Maria Matute und viele mehr.

Spätestens aber seit der Übernahme von Ediciones Destino Ende der 80-er Jahre durch die Grupo Planeta erfuhr er die gleiche kommerzielle Orientierung wie die meisten anderen spanischen Literaturpreise, indem sie schon bekannten Autoren zu weiterem Ruhm und Verkäufen verhelfen.

Denn natürlich ist die diesjährige Preisträgerin in Spanien längst eine angesehene und vielgelesene Autorin, die schon seit Jahren in den Verlagen der Planeta-Gruppe veröffentlicht. Auch außerhalb des Landes ist sie bekannt – in Deutschland erscheinen ihre Krimis bei Bastei-Lübbe.

Den parallel zum Premio Nadal vergebenen Premio Josep Pla gewann Christian Segura (Barcelona, 1978). Der „Pla“ ist mit 6.000 Euro dotiert und wird für einen unveröffentlichten Roman in katalanischer Sprache verliehen. Der prämierte Roman „El cau de conill“ („Der Kaninchenbau“) ist die Geschichte über das Auseinanderbrechen einer bourgoisen Familie Conill im Barcelona des Sommers 2007, mit Amadeu Conill, dem Patriarchen des Clans, als Protagonisten.

Christian Segura ist Journalist, unter anderem hat er als Korrespondent für verschiedene Medien in Berlin und Peking gearbeitet.

Die Legende sagt, der Premio Nadal sei seinerzeit vor allem aus dem Grund entstanden, um nach der langen und anstrengenden weihnachtlichen Familien- und Feiertagssaison (am 6. Januar bekommen die Kinder ja hier erst ihre Geschenke) eine gepflegte Entschuldigung zu haben, der häuslichen Nervenbelastung entfliehen zu können.

Das scheint – wie man gestern Abend heraushören und auch sehen konnte – nach wie vor ein guter Grund zu sein, um dieser Einladung ins Ritz zu folgen. Man sah so manche Mutter und manchen Vater, die hier endlich mal wieder kinderlos nach den hektischen Familientagen und geballten Festessen verpusten konnten.

Wenn man sich auch doch schon wieder en famille traf: Für manche aus der katalanischen Politik-, Wirtschafts- und Kulturgesellschaft scheint auch dieser Abend ein familiäres Muss zu sein, um hier im Ritz und beim „Nadal“ das gesellschaftliche Jahr einzuläuten. Die komplette Präsenz der spanisch-katalanischen Presse, manche trotz des äußerst milden Wetters ausgeführte Pelzstola, die anwesende Prominenz und ihre das Diner umsäumenden Leibwächter haben das wieder einmal bunt untermalt.

Von Krise an diesem Abend keine Rede, nichts zu sehen von ihr, im Gegenteil, alles im gleichen Prunk der vergangenen Jahre, aber doch, beim Essen gab es einen spürbaren Qualitätsverlust: Das im Hauptgang servierte Lammfilet kam nur lauwarm und leicht tranig auf den Tisch. War es etwa von den Resten des Premio Nadal des Vorjahres aufgetaut worden? Denn auch bei Grupo Planeta wird ja schließlich gespart…

Günter G. Rodewald ist Literaturagent und arbeitet in der Literaturagentur Ute Körner www.uklitag.com in Barcelona.

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