Liebe Freunde,
willkommen zur Halbzeit! Heute war Donnerstag: Ich durfte den schönsten Stand kennenlernen – bis jetzt; ich durfte auf einem Behandlungsstuhl sitzen; ich habe einen eigenen Messestand bekommen und verloren und wieder mal saudumme Gesichter geschnitten.
Willkommen bei meinem dritten Rundgang durch die Hallen, Menschen und Speisen. Und Bücher natürlich.
AUS DEN HALLEN
Das klingt ja wie „aus den Hallen Odins“. Nein, ich meine die Hallen Gutenbergs, wo sich jeder auf seinen wenigen Quadratmetern (oder wenigen Hunderten) irgendwie einrichten muss. Zum Beispiel der Drachenhaus-Verlag, der weiß, wie man es hier eine Woche lang aushalten kann:
Auch Armin Gmeiner hat einen neuen Stand, fast einskommanull Emons groß.
Hier habe ich übrigens den Verlagsleiter als Schurke auf dem eigenen Produkt finden können:
Oder zum Beispiel ist der Bildprovider 123RF neu, der für den Messestand eine Fotokulisse aus Motiven seiner Datenbank anbietet, komplett mit Kamera-Dreharm für Panorama-Aufnahmen.
Ich hatte übrigens für einen Tag lang einen eigenen Stand. Naja, es war nicht wirklich mein eigener, aber es war auch sonst niemandes Stand. Es war ein leerstehender Stand, der allmählich vermüllte.
(Schweine sind sehr tolle Tiere, laut Burkhart Schork!) Schade, jetzt muss ich wieder bei den Verlagen herumsitzen.
Auch Amazon hat hier seine Stände. In der Messe-Ausgabe unseres Magazines BuchMarkt habe ich von meinen Erlebnissen mit Amazons Hausverlag CreateSpace berichtet; darüber, dass Buchhändler nur die Wahl haben zwischen ewigen Lieferzeiten oder horrenden Lieferkosten. Nicht, dass ich dort bestellen will! Aber es macht mir Spaß, denen Umstände zu machen.
Tatsächlich hat die Standbesetzung zugeben dürfen, dass Amazon / CreateSpace am Problem einer fehlenden deutschen Auslieferung für Buchhändler arbeitet. Ob man dabei auf einen erfahrenen Partner setzen wolle oder ob man das wieder an lohngedrückte Slawen auslagern will, konnte man mir nicht sagen.
Da wir gerade über Hallen reden – am Dienstag hatte ich ja schon beweint, dass das Pressezentrum so weit ausgelagert wurde. Im Congress Center hat man ein paar Tische in den Flur gestellt.
Was war denn eigentlich mit dem Platz vom vergangenen Jahr? Da war das Pressezentrum doch in 4.1, am Ende von Gang Q untergebracht. Was ist denn dort dieses Jahr?
Ich glaube, da muss ich gleich mal was ausmalen, um mich zu beruhigen. Am besten male ich jemanden aus, der selber verzweifelt war.
Da hat der Lingen-Verlag einen alten Trend (Mandala) in etwas ganz anderes umgeleitet, was nach einem neuen Trend riecht: Das gute, alte Ausmalen. Impressionisten, Klimt, holländische Meister – Sie haben die große Auswahl, solange Sie nur nicht über die Linien malen.
Bleiben wir bei den Qualitäten Kreativität und Originalität: Ich habe eine holländische Buchcoverdesigngruppe gefunden, die auch noch einen schönen Stand hat. Um zu zeigen, dass Sie etwas von Büchern und Gestaltung verstehen, haben sie der Longlist des Deutschen Buchpreises einfach neue Cover verpasst.
Die Leute nennen sich The Book Cover Clinic. Und damit man sieht, dass sie es ernst meinen und trotzdem mit Humor nehmen, sieht ihr ganzer Stand auch tatsächlich aus wie eine Klinik.
AN DEN TELLERN
Da ich die Messe übers Torhaus betrete, freue ich mich, dass am Hintereingang von Halle 4.1 eine feine Kaffeebar aufgestellt wurde. Es handelt sich um dem Stand von Monocle, die für ihr Kioskaffee-meets-Hipsterstore-Konzept Werbung machen wollen.
Dort nahm ich mein erstes Frühstück ein. Mein zweites erhielt ich beim Karger-Verlag, der sein 125-Jahres-Jubiläum feiert!
Mein drittes Frühstück hatte ich an der frischen Luft, wo Mario Kotaska und Bernd Stelter den ganzen Tag frische Muscheln aus Holland zubereiteten. Holland wird Gastland 2016 sein, und da tauchen schon jetzt die ersten Verlage und Veranstaltungen auf. So auch dieser Muschel-Event.
Was macht die beiden zu Fachmännern für holländische Muscheln?
Mein Mittagessen nahm ich in der Gourmet Gallery ein, wo Hallenwunder Maren Ongsiek mal wieder dafür sorgt, dass alles läuft. Wir bekamen ein unglaublich leckeres, sogenanntes „Cocq-au-schnell-musses-gehn auf Kartoffel-Sellerie-Stampf“. Der Name umreißt ganz gut, warum ich es nicht fotografiert habe, aber es hat sehr köstlich geschmeckt.
Außerdem bekam ich die echte Frankfurter Grie Sooß!
Aber auch in der Gourmet Gallery ist man nicht vor fragwürdigen Leuten sicher. Michael Rittmann, ehrenamtlich-wohltätiger Ausrichter der Soljanka- und Bulettenmeisterschaften, ist eigentlich ein Gewürzanbieter, der mit diesem Stand und seinem Buch auf den guten Zweck aufmerksam macht.
Gut, aber ich erlebe auch wenig. Ich habe ja auch noch nie solche Schlaghosen erlebt:
VONNE MENSCHEN
Weitaus interessanter und relevanter für das Messeerlebnis als die Stände sind die Menschen, die darinnen sind.
Zum Start des Tages hatte mich gleich eBuch-Seniorchef Holm Löwe beim Frühstück gestört, mit Handy und allem Drum und Dran.
Aber wenigstens stört er noch selber, anstatt Lorenz Borsche zu schicken.
Schauen wir uns zur Erbauung doch lieber diese Betty an! Betty ist ein Eventkonzept, das man buchen kann. Da kommt dann diese Frau und macht Fifties-Sachen. Auch der Messestand ist eine komplette Zeitreise.
Endlich habe ich auch einen Freund beim Sachbuchdrehsäulenverlag Gräfe & Unzer gefunden, nämlich den Zweiten Offizier der Presseabteilung, Florian Landgraf. Dank ihm bekomme ich seit heute auch bei GU immer etwas zu trinken, werde über Messe-Veranstaltungen auf dem Laufenden gehalten und bei Massenandrang immer an der Masse vorbeigewunken.
Die Promi-Dichte war am heutigen Donnerstag hoch. Hier ist Dietrich Faber, ein Comedian, der bei Rowohlt ins Krimifach gewechselt ist, ohne den Humor zu verlieren
Hier ist die harmlose Skandalnudel Charlotte Roche, die beim Spiegel ihr neuestes Buch „Mädchen für alles“ vorstellt. Ich habe willkürlich irgendwo eine Seite aufgeschlagen und war schon wieder knöcheltief in Geschlechtssäften und Blut.
Hier ist der Reisemönch Anselm Grün im Lesezelt, der ohnehin die Todsünden auf dem Radar hat, aber sich für diese Messe die Gier vorknöpft. Typisch, dass die ein ganzes, dickes Buch benötigt.
Hier ist der Geschichtenerzähler Rafik Schami, fertig geschminkt und ausgeleuchtet für eine Fernseh-Aufnahme. Das ist eigentlich sehr komfortabel und ergibt sehr gute Fotos.
Obwohl ein Visagist bei diesem Messegast nichts nützen würde: Helge Schneider war heute auf der ARD-Bühne. Helge Schneider anzumoderieren ist eine Kunst, die es nicht gibt und nie gegeben hat.
„Ich sehe mich ja eigentlich mehr als Maler“ sagte Helge und machte alle weiteren Fragekärtchen des Moderators überflüssig. Dabei ist die Sache sehr eindeutig: Helge Schneider ist Phänomenologe.
Ich kann auch Bilder von oben anbieten; im Grunde der einzige Weg bei all dem Andrang um Helge:
Auch auf Kleinstverleger möchte ich hinweisen, die die Messe bereisen, ohne einen eigenen Stand zu haben. Jürgen Bürger von Spraybooks bietet E-Books für den Reader an, und wer kein Papier hat, braucht auch keinen Stand mit Regalen, das mag sein.
Und man kann sich auch ohne Stand vor die Halle Drei stellen und Dora Heldt und mir auflauern, um alte Seilschaften zu pflegen.
Aber alte Seilschaften habe ich ja hier auch: Ralf Kramp vom KBV-Verlag ist bekannt dafür, dass er keiner Humorchallenge widerstehen will. Und deshalb versuchen wir auf jeder Messe, schlimmere Bilder als im Vorjahr zu machen.
Den Fez trage ich, weil ich meine Happy Hour gleich bei Kein & Aber verbringe.
DIE HAPPY HOUR BEI KEIN & ABER
Die haben nämlich dieses Tropenzelt auf der Agora aufgebaut. Sieht aus wie in Tim & Struppi. Von außen ist es so hässlich, dass sich keiner reintraut.
Und drinnen ist es aber dann so schön, dass man nie wieder hinaus möchte.
Sogar einen alten schweizer Avantgarde-Musiker haben sie da. Der darf auf keiner Safari fehlen: Dieter Meier von Yello war da!
Nein, das ist nur Teodoro Tarantino vom Publikat-Verlag, der die kurzfristige Lieferbarkeit eines Glases Whisky überprüft.
Und so lasse ich den Tag endlich los, nehme den Whisky dankbar an und verlasse das Zelt mit einem Fez, den ich eigentlich nicht mitnehmen darf. Aber dieser Fez und ich, wir gehören zusammen. Zumindest in diesem Zelt.
Frau Strauss und ich holen nach, dass wir uns in Leipzig eigentlich hatten treffen wollen, und Frau Randt war eine effiziente Türsteherin mit sehr viel Feingefühl, das sie nicht einsetzte.
ABSCHLUSS
Für jede Happy Hour, die man mitmacht, verpasst man einhundert andere. Maren Ongsiek, das laufende Netzwerk, übermittelte mir dieses Foto aus Halle 3.1, wo sich der Metzler-Verlag, Droemer Knaur und C.H.Beck auf zwei Sekt und ein Bier trafen:
Besonders Herrn Kilian grüße ich, nachdem wir uns in Leipzig kennengelernt haben. Also die anderen beiden grüße ich natürlich auch. Aber wenn ich mit auf dem Foto wäre, dann wären es sicher zwei Bier gegen zwei Sekt.
Auf dem Nahhauseweg fotografiere ich noch meine Lieblingssoftwarefirma BookHit, denn ich habe auch dieses Jahr keine Klagen, sondern nur Lob.
Zum Wetter habe ich gar nichts zu sagen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass welches da war. Und egal, wie nasskalt Frankfurt wettert: In diesen Hallen sehnt man sich irgendwann nach frischer, kalter, echter Luft. Also gib mir Regen, gib mir Wind, gib mir Wetter, Frankfurt. Ist das alles, was Du hast?
Sie sehen, von drei Tropfen lasse ich mir nicht die Messe versauen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Freitag! Es ist der letzte Fachtag, bevor es am Samstag unangenehm wird. Da legen wir alle nochmal richtig Arbeit hinein, damit wir am Samstag trotzig, faul und passiv sein dürfen.
Hahaha, nein, Quatsch. Das war nur ein unflätiger Witz! Grober Jokus, das. Natürlich bin ich auch an allen anderen Tagen trotzig, faul und passiv. Sonst wäre ich doch nicht
Ihr und Euer
Matthias Mayer
zur gestrigen Kolumne: [mehr…].
zu seinen früheren Kolumnen hier http://www.buchmarkt.de/content/kolumne.htm