Die Rechte-Kolumne Die „Rache“ der Wanderhure

Der Titel ist die halbe Miete. Verlagsleute kennen diesen Satz zur Genüge, er fällt regelmäßig in Titelfindungssitzungen, und einmal hat er es sogar schon auf ein Buchcover geschafft. Eine Kolumnensammlung von Harald Martenstein. Der dazugehörende Text handelte davon, dass der Autor bei einem Gespräch mit seinem Verlag eben diesen Satz gehört hatte und sofort für sein Buch verwenden wollte. Die Verlagsprofis rieten ihm dringend ab. Diese Art Ironie verstünde niemand. Martenstein, wer will schon zur Strafe in dessen nächster Kolumne vorkommen, setzte sich natürlich durch. Der Titel wurde genommen, der Verkaufserfolg hielt sich dann aber eher in Grenzen.

Viele Gedanken um den passenden Buchtitel machte sich wohl auch der junge Poetry-Slam Autor Julius Fischer vor Veröffentlichung seiner bei Voland & Quist erschienenen Sammlung von rund 30 meist kurzen Texten über das Leben im Allgemeinen und das als Schriftseller im Besonderen. „Titel ist wichtig, und Ironie kannnie schaden“, mag er sich gedacht haben. Gleich sein Einleitungskapitel handelt davon, dass der Inhalt von Büchern eigentlich irrelevant sei, es komme nur auf das richtige, nämlich aggressiv-kreatives Marketing an. Von Gedanken über Shades-of-Grey-Abwandlungen inspiriert fragt er sich dann, warum („Das lief doch schon auf Sat 1“) es den Titel „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ eigentlich noch nicht gibt. „Da muss man dem Verlag doch mal mit einer Shades of Grey-Peitsche auf die Finger klopfen.“ Auch wenn Autor Fischer diese Idee nicht weiter verfolgt hat, dürften die Verantwortlichen beim „Wanderhure“-Originalverlag Droemer gequält aufgestöhnt haben, als sie mit dem 150-Seiten Bändchen des Autors konfrontiert wurden. Julius Fischers Verlag Voland & Quist, offenbar seinem Selbstverständnis entsprechend nicht immer nur friedensstiftend, sondern auch leicht diabolisch veranlagt, hat eben jenen „Wanderwege/Wanderhure“-Titel nicht nur als Kapitelüberschrift, sondern gleich für das gesamte Buch verwendet.

Das konnte Droemer nicht gefallen, hat der Verlag doch mit der „Wanderhure“-Reihe (neben der bloßen „Wanderhure“ kann sich der interessierte Leser mittlerweile auch an dem „Vermächtnis der Wanderhure“, der „Tochter der Wanderhure“ und an der „Rache der Wanderhure“ erfreuen) und nachfolgender Verfilmung Millionen Bücher verkauft. Diesen so wertvollen Titel würde jeder Verlag nach Kräften vor Missbrauch oder auch nur Schabernack schützen wollen. Hinzu kam wohl, dass der Autor Fischer – so sind sie eben, diese Poetry-Slam-Bengels – sich auf Lesungen etwas despektierlich über das Original-Autorenduo Lorentz geäußert haben soll.

Für Droemer jedenfalls war Schluss mit lustig. Man monierte, dass Julius Fischers Buch die Titelrechte an der Wanderhuren-Reihe verletze. Voland & Quist war ganz anderer Auffassung und nahm nichts weniger als die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit in Anspruch, um die Titelähnlichkeit zu rechtfertigen. Der „offenkundig ironische“ Titel sei der im Band enthaltenen Geschichte „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ entliehen, in welcher die aggressive Vermarktung von Bestsellern persifliert werde. „Natürlich war es weder unsere Intention noch die des Autors Julius Fischer, den Erfolg der Wanderhuren-Bücher auszunutzen“, ließen sich die Verlagsleiter Leif Greinus und Sebastian Wolter etwas treuherzig zitieren.

Droemer sah das ganz anders. Man habe zwar „als Verlag größtes Verständnis für Kunstfreiheit und Satire, um die es hier aber gar nicht geht.“ Es gebiete der Respekt vor den Leistungen der Original-Autoren, „Auswüchsen der Selbstbedienungsmentalität einen Riegel vorzuschieben“. Diesen Riegel nun hoffte man vom Landgericht Düsseldorf ausgehändigt zu erhalten, wo flugs ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht wurde.

Das Gericht, eigentlich als durchaus verbotsfreudig bekannt, war aber offenbar nicht gewillt, unverzüglich und ohne Anhörung der Streitparteien zu entscheiden, sondern lud zur mündlichen Verhandlung am 13. März 2014. Der aufgrund der Tücken der behördlichen Geschäftsverteilung befasste Richter für Handelsrecht äußerte dann Zweifel daran, ob der Buchtitel „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ weiter verwendet werden darf. „Ob der Inhalt so geprägt ist, dass man diesen Titel nehmen muss – weiß ich nicht“, sagte der offenbar etwas ratlose Jurist während der Verhandlung. Bis Ende des Monats haben die Streitparteien noch Zeit, eine Einigung zu erzielen, sonst fällt der Handelsrichter sein Urteil.

Rechtlich gesehen kommt ein Verbot zum einen dann in Frage, wenn die beiden Titel „verwechslungsfähig“ sind. Dagegen spricht, dass der Fischer-Titel neben „Wanderhure“ eben auch „Wanderwege“ als prägendes Element enthält. Ähnlich ist er damit zwar weiterhin, er weckt Assoziationen an den bekannten Titel, aber besteht die Gefahr der Verwechslung? Ist wirklich zu befürchten, dass der typische „Wanderhure“-Fan davon ausgeht, dass es einen autorisierten „Wanderhure“-Wanderführer gibt und er diesen reflexartig kauft und dann ein für ihn unerwartetes Leseerlebnis hat? Wie groß ist diese Gefahr, vor allem in Anbetracht des Umstandes, dass offenbar kluger Anwaltsrat beim Fischer-Titel den Warnhinweis „Kein historischer Roman“ aufs Cover gezaubert hat?

Ein Verbot droht aber auch dann, wenn zwar keine Verwechslungsgefahr besteht, aber – da der Droemer-Titel womöglich eine „im Inland bekannte geschäftliche Bezeichnung“ ist – der Fischer-Titel die „Unterscheidungskraft oder Wertschätzung“ des Droemer-Titels “ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt“. Natürlich will der Fischer-Titel für sich nutzbar machen, dass Millionen Leser und/oder Fernsehzuschauer den Begriff „Wanderhure“ kennen, wenn auch in anderem Kontext. Das kann man schon „Ausnutzen“ nennen, und vielleicht „beeinträchtigt“ das auch den mit mutmaßlich hohen Marketingaufwendungen erkauften Ruf des Originals, vor allem, wenn Droemer untätig geblieben wäre und so die Meinung im Markt aufkäme, dass jeder ungestraft Hand an die „Wanderhure“ legen dürfte.

Die entscheidende Frage ist dann aber, ob jene Anlehnung ohne rechtfertigenden Grund geschehen ist oder gar unlauter. Die Rechtfertigung, die Lauterkeit könnte im hohen Gut der Kunstfreiheit in ihrer Ausprägung der Satire gesehen werden. Dürfen Autor Fischer und Verlag Voland & Quist diese vorliegend gleich fürs ganze Buch in Anspruch nehmen oder wäre das angesichts des nur knapp vierseitigen „Wanderhure“-Kapitelchens übertrieben? Tucholsky, selbst ein begnadeter Satiriker, beantwortete die Frage „Was darf Satire?“ mit dem berühmten Ausspruch „Alles“. Er, bekanntlich auch sonst mit eher ungewöhnlichen Ratschlägen schnell zur Hand („Macht unsre Bücher billiger“) antwortete auf die wiederum selbst gestellte Frage „Übertreibt die Satire?“ mit dem gar nicht so leicht umzusetzenden Ratschlag: „Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten. Wir sollten nicht so kleinlich sein. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt.“

Und was halte ich nun selbst von der Sache? Getreu nach Richard David Prechts übrigens von einem Graffiti inspirierten Buchtitel „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ antworte ich darauf: Kommt drauf an, wen ihr fragt. Fragt ihr mich als den „Elfenmond“-geschädigten Verlagsjustiziar? Dessen Sympathien sind bei den Beklagten. Fragt ihr den Verlagsjutiziar, der von den kreativen Lektoren und Autoren des eigenen Hauses beinahe täglich um Rat gebeten wird, ob freche, witzige Titelformulierungen an der Grenze des Rechts „gehen“, und der dann im Zweifel stets dazu rät „wir trauen uns!“? Der hätte „Wanderwege der Wanderhure“ ganz sicher durchgewunken. Fragt ihr aber den Verlagsjustiziar, der aus manchen Sachzwängen heraus selbst immer wieder gegen die unerlaubte Nutzung von kommerziell wichtigen Titeln des eigenen Hauses durch Dritte vorgehen muss? Der würde bedächtig den Kopf wiegen, „hm, hm“ murmeln und dann inständig hoffen, dass die Sache sich irgendwie erledigt, ohne dass er einschreiten muss.
Und vielleicht würde er eine Vereinbarung vorschlagen, die bewusst offen lässt, ob der Titel zu Recht oder zu Unrecht genutzt wurde, durch die aber die erkennbar satirische Verwendung durch Voland und Quist kostenfrei und gesichtswahrend für alle gestattet wird.

[Rainer Dresen, Dresen-Kolumne@freenet.de, 49, arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustiziar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. In seiner Freizeit schreibt er gerne selbst Juristen- und Yogabücher (Kein Alkohol für Fische unter 16; Beim ersten Om wird alles anders).

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