Im Autorengespräch zum Wochenende: Tiffany Watt Smith über kulturell bedingte Veränderungen unserer Gefühlswelten „Wir haben die Kunst verlernt, traurig zu sein, und das macht uns verletzbar“

Jeden Freitag ab 14 Uhr hier ein Autorengespräch. Heute  sprachen wir mit Tiffany Watt Smith über ihr neues Sachbuch Das Buch der Gefühle, das am 07. April bei dtv erscheint. Das Thema:

Viele Hirnforscher meinen, dass sich die menschlichen Gefühle auf sechs oder acht Empfindungen reduzieren lassen. Das ist viel zu wenig, meint Tiffany Watt Smith.

BuchMarkt: Frau Watt Smith, worum geht es in Ihrem neuen Buch?

Tiffany Watt Smith:“Ich bin also viel mehr an der Rolle interessiert, die Kultur dabei spielt, unsere Gefühle zu formen“

Tiffany Watt Smith: Das Buch der Gefühle ist eine Kollektion kleiner Essays zu ganz unterschiedlichen Gefühlen –  154 davon um genau zu sein! Sie sind wie eine Art Lexikon angeordnet. Angefangen mit den sehr bekannten wie Liebe oder Heimweh bis hin zu den speziellen und wilden wie „Basorexia“ –  ein plötzliches Verlangen jemanden zu küssen.

Um was für ein Genre handelt es sich? Kann man das überhaupt klassifizieren?

Es gibt da eine ganz bekannte literarische Tradition absichtlich mit diesen Nicht-fiktionalen Formen herumzuspielen, ähnlich wie bei Wörterbüchern, Lexika und Atlassen. Ich sehe mein Sachbuch als Teil dieser Tradition. Man kann es von Anfang bis Ende durchlesen oder nur mal kurz in eine Geschichte eintauchen und wieder aufhören und der Querverweisliste folgen. Diese Liste ist sehr spielerisch gestaltet – manchmal sogar albern (Bsp.: Für Frustration siehe Verzweiflung, für Verzweiflung siehe Frustration) –  aber das hat auch einen ernsthaften Grund. In der Vergangenheit haben viele Philosophen und jüngst vermehrt auch Entwicklungspsychologen versucht, Emotionen genau zu kategorisieren als könnten sie in exakte Baukästen aus menschlicher Erfahrung unterteilt werden.

Mein Argument aber ist, dass Emotionen mehr wie Wolken sind, sie wollen zueinander finden, miteinander verschmelzen – es ist unmöglich sie zu unterscheiden.

Deshalb spielt mein Buch auch in einem gewissen Maße ironisch mit der Idee, Emotionen überhaupt kategorisieren zu wollen.

Sie studierten Philosophie in London, ist das auch der Grund wieso Sie sich dazu entschlossen haben, ein Buch über Gefühle zu schreiben? Um Ihre Sicht auf die Dinge zu erklären?

Ich studierte Philosophie und Literatur in Cambridge. Schon während meiner Forschungen zum „Zurückschrecken und Zusammenzucken“ in der Literatur stieß ich auf zahlreiche andere Gefühle, mit denen ich mich näher beschäftigen wollte. Nach dem Studium arbeitete ich dann viele Jahre im Theater, bis ich entschloss, mich wieder der Forschung und dem Schreiben zuzuwenden. Ich arbeitete also bereits viele Jahre im „Feld der Emotionen“ bevor ich schließlich entschied, das Buch zu schreiben. Es gibt eine Tendenz über Gefühle zu sprechen, als seien sie nur die allgemeingültige psychologische Antwort auf menschliches Fehlverhalten/Dilemma.  So als würde man plötzlich auf einen gefährlichen Bären stoßen oder versehentlich eine giftige Beere essen. Die Vorstellung, dass es aber eine Handvoll grundsätzlicher Emotionen gibt, die jeder fühlt, hat große Zugkraft bekommen. Dennoch stimmen Historiker, Psychologen und Ethnologen diesem Bild nicht zu. Ich bin also viel mehr an der Rolle interessiert, die Kultur dabei spielt, unsere Gefühle zu formen – wie unsere Gefühle sich dehnen und ausweiten können im Laufe der Zeiten und Orte, abhängig sind von unseren Werten, unserem spirituellen Glaube, unserem medizinischen Theorien, sogar unseren ökonomischen und politischen Vorstellungen.

Sie wollen also Wissen vermitteln und den Leser gleichzeitig für seine Umwelt sensibilisieren?

Ja, das will ich! Zu lernen,  die Feinheiten der Veränderungen unserer emotionalen Stimmungen zu erkennen, ist wichtig dafür, ein schönes und erfülltes Leben führen zu können. Es gibt dazu eine Menge Forschungsergebnisse, die zeigen, dass dies zu psychologischer Gesundheit beiträgt und diese unterstützt. Ich denke es ist wichtig, die kulturelle Entwicklung der Gefühle zu diskutieren, auch weil wir so erkennen können, dass wir vieles für selbstverständlich halten.  Als Beispiel:  Heute in Europa ist das Glücksgefühl sehr  hoch bewertet – gemessen an  unseren Regierungen, gefördert durch unser Gesundheitssystem – alles damit wir bessere Geschäftsführer und Eltern sein können und länger leben.  Aber im England des 16. Jahrhunderts, war Traurigkeit die erwünschte Emotion, und alles war darauf ausgelegt, traurig zu sein. Es gab sogar Selbsthilfe-Bücher mit Anweisungen, wie man noch trauriger werden kann. Das ist wichtig – vielleicht haben wir die Kunst verlernt traurig zu sein, und das macht uns verletzbar.

Sind Menschen denn zu sensibel?

Sensibel – das ist ein sehr belastetes/geladenes Wort. Man kann darüber in einer sehr abwertenden und abschätzenden Weise reden (übersensibel). Auf Twitter zum Beispiel, reagieren die Leute sehr schnell sehr eingeschnappt und entrüstet, fühlen sich angegriffen und antworten sehr feindselig. Diese Art von Sensibilität ist vermutlich nicht sehr hilfreich.  Es gibt aber auch die Art von Sensibilität – vermutlich das was wir unter Empathie verstehen – die sich in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt hat, aber auch schwer zu bewältigen sein kann, besonders dann, wenn wir belastbar sein müssen, zum Beispiel in unruhigen politischen Zeiten.

Ich persönlich denke, dass Sensibilität einen sehr kostbaren Teil unserer Intelligenz darstellt – aber manchmal müssen wir einen Weg finden, sie richtig einzusetzen und auszudrücken – auf die richtige Seite bringen also.

Ist Ihr Buch also eine Art Reise durch das Reich der menschlichen Gefühle?

Genau. Es entdeckt die sich verändernden Bedeutungen und Vorstellungen über unsere Gefühle.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch am besten verkaufen?

Ich hoffe, dass es überrascht und unterhält. Aber sein ultimatives Ziel ist es, den Leser dazu anzuregen neu und anders über die eigenen Gefühle nachzudenken –

Wie fühle ich? Warum fühle ich so wie ich fühle?

Außerdem wurde mir erzählt, dass es zum Verschenken ideal ist.

Wie und in welcher literarischen Umgebung könnte der Buchhändler sein Schaufenster dazu dekorieren?

Ich habe Das Buch der Gefühle schon ganz unterschiedlich ausgestellt gesehen – manchmal direkt neben Nonfiktion-Titeln, manchmal als Geschenkvorschlag, manchmal inmitten von Kunst-Büchern oder bekannten Psychologie-und Selbsthilfe-Büchern.

Lieben Sie es selbst auch zu lesen? Was lesen Sie im Moment?

Ich liebe es zu lesen! Normalerweise lese ich in mehreren Büchern gleichzeitig. Im Moment ist es tagsüber  Gwendoline Riley’s neuer Roman First Love und, fürs abendliche Vergnügen,  Dodie Smith’s I Capture the Castle. Und schließlich, zur Forschung meines neuen Buches, lese ich gerade Roisseau’s Discourse on Inequality (Ich bewundere seine Fantasie).

Die Fragen stellte Franziska Altepost

Im vergangenen Autorengespräch sprachen wir mit Neil Smith über sein gelungenes Roman-Debüt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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