Kaffeehaussitzers Netzrückblick September 2016 – Fundstücke aus den Literaturblogs

Der Kaffeehaussitzer in seiner natürlichen Umgebung
Foto: © Vera Prinz

Der Netzrückblick für den September 2016 bietet wieder einen Streifzug durch unterschiedlichste Blogs und Themen rund um die Literatur. Herr Booknerd etwa ist ein Blog, der sich thematisch vor allem mit Büchern aus den Bereichen Fantasy oder Young Adult beschäftigt.

Immer wieder gibt es hier auch Beiträge zu gesellschaftlichen Themen – stets in Bezug auf Entwicklungen in der Literatur. Lesenswert ist aktuell der Text Die Sache mit der Diversität in dem die Frage gestellt wird, warum gerade Jugendbuchautoren ständig dieselben Stereotypen bedienen, obwohl das Thema Diversität in aller Munde ist. Als ein Fazit steht am Ende zu lesen „Wir müssen aufhören, die Popularität von Büchern mit Qualität zu verwechseln“ – ein Satz, den man getrost auch auf andere Genres übernehmen kann. Spannend ist auch die Diskussion in den Kommentaren.

Ähnlich gesellschaftskritisch wird auf Kulturgeschwätz in einem Beitrag über Exotismus anhand der gängigen Buchcover-Gestaltung dargestellt, mit welchen klischeebeladenen Vorstellungen wir auf die Welt schauen.

Wer einmal einen Einblick in die (Literatur-)Blogger-Seele bekommen möchte, dem sei der Werkstattbericht von Jochen Kienbaum auf lustauflesen.de empfohlen, in dem er über den langen Atem des Bloggers, den eigenen Anspruch an seine Texte, über Blogrhythmusstörungen und den Bloginfarkt schreibt.

Informationen im Zeitalter der Lügenpresse: Ein Leitfaden – das ist der provokante Titel eines fulminanten Blogbeitrags von Wolfgang Schnier. Es geht darin um Medienkompetenz, die unumgänglich notwendig ist, um im heutigen Informationsdschungel zwischen Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten den richtigen Weg zu finden. Eine wichtige Aussage des Textes: „Bücher sind wie kein anderes Medium — heute mehr denn je — in der Lage die Komplexität der Welt einzufangen“.

Es bleibt politisch: Die erste September-Hälfte war geprägt von der unsäglichen Burka-Debatte. Hierzu gibt es einen lesenswerten Beitrag im Blog AISTHESIS, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Der Betreiber dieses Blogs, Lars Hartmann, ist einer der Mitgründer des Online-Magazins Tell und meldet sich gerne mit streitbaren Texten auf gehobenem Diskussionsniveau zu tagespolitischen Themen zu Wort. Stets unterfüttert mit einem soliden geisteswissenschaftlichen Fundament und weiterführenden Literaturtipps.

Stichwort Tell – Magazin für Literatur und Zeitgenossenschaft. Seit einem halben Jahr ist die Seite jetzt online, eine gelungene Mischung aus Feuilleton und Blog. Eine beliebte Rubrik ist der Page-99-Test, in dem anhand der Seite 99 eines Buches die Textqualität untersucht wird. Bei Christian Krachts neuem Buch Die Toten fiel das Ergebnis vernichtend aus, was aber wieder Widerspruch gegen diese Art der Analyse hervorrief. Daraus ergab sich eine spannende literarische Diskussion, die in einem weiteren Beitrag dokumentiert wurde. Das Netz als Ort einer Debattenkultur.

Es geht weiter mit zwei wirklich schönen Blogfundstücken: Im Blog schiefgelesen.net gibt es die Rubrik „Essen aus Büchern“. Darin werden in Büchern beschriebene Gaumenfreuden in nachkochbare Rezepte umgewandelt. Eine, wie ich finde, äußerst charmante Idee, die ich mir auch als Veranstaltung in einer Buchhandlung gut vorstellen könnte. Jüngstes Beispiel stammt aus Donna Tartts Roman Der Distelfink.

Ebenfalls gut gefällt mir der Tumblr Was übrig bleibt mit dem Untertitel „unterstrichene sätze, gefundene worte und liegengebliebene gedanken“. Hier versammeln sich Leseeindrücke in Form von zahlreichen Zitaten. Fundstücke quer durch die Literatur.

Rund um den Deutschen Buchpreis 2016 sind ebenfalls ein paar spannende Blogbeiträge entstanden. Birgit Böllinger, Buchpreisbloggerin des letzten Jahres, schreibt auf ihrem Blog Sätze & Schätze (der sowieso immer einen Besuch wert ist!) über das Dilemma, in dem sich Literaturblogs befinden, je etablierter sie sind: „Die Freiheit, die die Buchblogger hätten – sich abseits des Feuilletons (oder begleitend dazu), das sich gezwungenermaßen um die großen Namen und Neuerscheinungen kümmern muss – um die ganze wilde Vielfalt der Literatur zu kümmern: Sie wird zunehmend mehr aufgegeben, desto interessanter ‚die Blogger‘ für den Buchmarkt werden.“ Ein nachdenkenswerter Satz. Etwas spitzzüngiger wird es auf dem Blog Hundstrüffel mit dem Beitrag Buchpreisalptraum.

Bloggerin Claudia Pütz überlegt auf ihrem Blog Das graue Sofa, wieso sich eigentlich kein einziger der für den Deutschen Buchpreis nominierten Titel mit aktuellen gesellschaftlichen, sozialen oder politischen Problemen beschäftigt – von denen es ja nicht zu wenige gibt. Stattdessen wird 2016 also „als Jahrgang der Sinnsucher in die Buchpreisgeschichte eingehen“.

Überhaupt, das Buchbloggen. Manchmal fragt man sich, ob auch Travelblogger oder Beautyblogger so oft über ihr eigenes Selbstverständnis nachdenken. Vielleicht liegt es aber auch in der Natur der Sache, denn über Inhalte eines Buches zu reden ist wohl doch etwas anderes. Sophie Weigand, Betreiberin des Blogs Literaturen, hat in einem Vortrag bei der diesjährigen Tagung der Autorinnenvereinigung e.V. den Stand der Diskussion über Sinn und Zweck von Buchblogs perfekt auf den Punkt gebracht. Zur Lektüre dazu empfohlen sei ebenfalls Katharina Herrmanns Beitrag Reden über das Buchbloggen.

Und sonst? Der Kaffeehaussitzer hat erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man zentrale Ereignisse des eigenen Lebens plötzlich in einem Buch widergespiegelt findet. Und freut sich auf Zürich liest 2016 – zusammen mit Die Buchbloggerin, Buzzaldrins Bücher, Kapri-ziös und Pinkfisch. Diese fünf Blogs sind offizielle Kooperationspartner des größten Lesefestivals der Schweiz.

Zum Schluss gibt es noch einen Ausblick auf das äußerst spannende Projekt Blogbuster 2017. Beteiligt sind daran 16 Buchblogger, der Klett-Cotta-Verlag, die Frankfurter Buchmesse, Lovely Books, die Literaturagentur Elisabeth Ruge und Literaturkritiker Denis Scheck. Momentan ist auf der dazugehörigen Webseite noch nicht viel zu sehen. Aber ab dem 4. Oktober soll es dort erste Informationen geben. Und am 21. Oktober 2016 findet um 16.00 Uhr im Orbanism Space auf der Frankfurter Buchmesse die große Auftaktpräsentation statt.

Uwe Kalkowski ist seit vielen Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler in großen und winzigen Buchhandlungen, als Student der Verlagswirtschaft in Leipzig und als Marketingmensch in verschiedenen Fachverlagen; seit 2009 ist er Marketingleiter des RWS Verlags in Köln. Als Kaffeehaussitzer bloggt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse. In der Kolumne Kaffeehaussitzers Netzrückblick gibt er auf BuchMarkt regelmäßig eine Übersicht über lesenswerte Fundstücke aus den Literaturblogs. Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben.

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