„Ende der Hypnose. Vom Netz und zum Buch“ – ein Plädoyer von Roland Reuß

Ein solches Buch hat es lange nicht gegeben – und dabei ist es längst überfällig: Abgewogen und doch leidenschaftlich argumentierend für die Kultur des Buches statt geifernd sich in Kommentarfunktionen austobend:

Stroemfeld hat die brillante Analyse Ende der Hypnose. Vom Netz und zum Buch von Prof. Roland Reuß, streitbarer Literaturwissenschaftler und mit Peter Staengle Herausgeber der Franz Kafka-Faksimile-Edition, veröffentlicht: ein kleines bibliophiles Taschenbuch, in dem nicht allein die vielbeschrieenen gesellschaftliche Folgen der Digitalisierung reflektiert werden; Reuß brilliert mit Argumenten für’s gedruckte Buch und Lesen, die jeder in der Branche kennen sollte. Deshalb zitieren wir hier auch an den folgenden Freitagen ein paar Kernsätze und weisen darauf hin: Sie ersetzen keinesfalls die Lektüre des ganzes Werkes:

Seite 23
Abgeholt – Die gerade im Kulturbereich so verbreitete Phrase, man müsse Leute ›dort abholen, wo sie sind‹, ist im Kern zynisch. Sie setzt die Dumpf- und Dummheit der Abzuholenden voraus – und bei den Abholenden als Haltung die Simulation von Großzügigkeit, der Sache nach Herablassung. Versaut ist mit dieser Übung aber jede respektvolle Haltung gegenüber dem Anspruch, den ein neuer Gedanke, ein anspruchsvoller intellektueller Zusammenhang von sich aus aufrichtet. Jemanden dort ›abholen‹, wo er sich befindet, heißt Senkung dieses Anspruchs.
Wen wollte Einstein 1905 mit »Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?« ›abholen‹, und wo? Und wen und wo James Joyce zwanzig Jahre später mit »Ulysses«, von »Finnegans Wake« ganz zu schweigen? Sie sprachen zur und von der Sache.
Einen neuen Leser von Hölderlins »Patmos« heute dort abholen zu wollen, wo er sich befindet – da bliebe von Hölderlins vielleicht größtem Gedicht nicht mehr viel übrig, zu wenig kann vorausgesetzt werden (nicht einmal mehr eine gelesene Bibel). Die Spannung von Anspruch und Wirklichkeit ist erst einmal auszuhalten, nicht durch Senkung des Niveaus aufzulösen. Nichts ist peinlicher als Erwachsene, die im Umgang mit Kleinkindern meinen, deren Manieren annehmen zu müssen.

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