Das Autorengespräch Wie lassen sich Grenzen niederschreiben, Herr Spengler?

Nach dem Auftakt 2014 unter der Überschrift „Europa – Traum und Wirklichkeit“ findet am 9. und 10. Mai in der Berliner Akademie der Künste die 2. Europäische Schriftstellerkonferenz [mehr…] statt. In diesem Jahr will sie „GrenzenNiederSchreiben“.

Ausgedacht haben sich das die Initiatoren des Projekts, die Autoren Mely Kiak, Nicol Ljubić, Antje Rávic Strubel, Tilman Spengler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Wir haben Tilman Spengler nach den Zielen und Möglichkeiten dieser Konferenz gefragt.

Schon im Jahr 1988 haben Intellektuelle im damaligen West-Berlin auf einer internationalen Schriftstellerkonferenz über die Grenzen und Möglichkeiten des Kontinents diskutiert. Damals lautete das Motto „Ein Traum von Europa“. Wie steht es heute um diesen Traum?

Tilman Spengler
© Katharina Kreye

Tilman Spengler: Man muss bei Träumen naturgemäß nicht nur mit Wunsch-, sondern immer auch mit der Möglichkeit eines Albtraums rechnen. Und um im Bild zu bleiben: Die Traumdeutung ist ein Kind der Aufklärung und sollte unseren Wirklichkeitssinn schärfen. Der hat in den vergangenen Monaten einige betrübliche Weiterungen erfahren.

Zur Konferenz werden 30 Autoren aus so unterschiedlichen Ländern wie Finnland, Syrien, Tunesien und Russland erwartet. Wie sind sie auf diese Schriftsteller aufmerksam geworden? Und worauf haben sie bei der Auswahl geachtet?

Die Leseneugier in der Initiativgruppe zielt manchmal auf gemeinsame Themen, klafft dann aber auch angenehm häufig weit auseinander. Ein glücklicher Fall von Wechselbefruchtung. Geographisch ist der Begriff Europa zudem immer schwerer in exakten Längen und Breitengraden zu fassen.

Sind alle beteiligten Autoren ins Deutsche übersetzt?

Die meisten schon, jedenfalls Teile ihres Werks, andere leider noch nicht. Vielleicht kann die Konferenz da ja den einen oder anderen Anstoß geben, im Publikum sitzen gewiss auch einige Lektoren und Lektorinnen.

Werden die Schriftsteller auch auf Lesereise in andere Städte gehen?

Das wäre Ihnen und Ihrem Publikum zu wünschen, hängt aber nicht von den Organisatoren dieser Konferenz ab.

Europa steht heute vor großen Herausforderungen. Antieuropäische Stimmen mehren sich. Kann Literatur eine Annäherung unter Europäern bewirken?

Eine Annäherung auf jeden Fall. Doch die Erfahrung zeigt, dass man sich ja auch auf kürzester Distanz nicht mögen kann. Uns geht es daher zunächst einmal um Verständnis, ums Zuhören, ums Erkunden, um die Möglichkeit, sich Einfühlen zu können. Literatur wendet sich ja an Herz UND Verstand.

Auf der 2. Europäischen Schriftstellerkonferenz werde es „keinen Platz für heimelige Sonntagsreden“ geben, hat Frank-Walter Steinmeier angekündigt. Er sagt: „Sie fällt in stürmische Zeiten und setzt den Fliehkräften in Europa ein starkes Zeichen des Zusammenhalts entgegen. Gerade heute haben die Stimmen der europäischen Autorinnen und Autoren besonderes Gewicht in einem Europa und für ein Europa, das nicht aufhört, Grenzen zu überwinden.“ Worin besteht dieses Gewicht? Wie können Autoren helfen, Grenzen zu überwinden? Und – beispielsweise gegenüber Despoten – auch zu setzen? Welche Wirkung hat Literatur im 21. Jahrhundert?

Wir wollen und werden uns nicht aufplustern oder unsere Bedeutung überschätzen. Aber es ist ja schon ein erster Schritt, wenn wir dem Geifer von, sagen wir, Dresdener Demonstranten, österreichischen Innenpolitikern oder -politikerinnen, polnischen oder ungarischen Nationalfanatikern und wer da noch mitgeifert das Gegenmodell eines anspruchsvollen öffentlich Diskurses präsentieren.

Autoren haben heute naturgemäß nicht mehr den Nimbus, den Heiligenzauber vergangener Jahrzehnte, das ist uns klar. Die Weisheit von Investmentbankern wiegt mittlerweile bedeu¬tend schwerer. Darin liegt aber auch eine Stärke der Literatur: Es ist sehr viel schwieriger, sie zu korrumpieren. Wir sehen Europa zum Beispiel nicht ausschließlich als ein Kunstwerk von Bilanzwerten. Das gilt mit der Einschränkung, dass es sich um Literatur handelt, die diesen Namen verdient.

Was hat die Schriftstellerkonferenz vor zwei Jahren konkret bewirkt? Welche Impulse sind von ihr ausgegangen – in Deutschland und in Europa?

Wir dürfen und wollen unsere Rolle nicht mit der eines Exekutionskommandos verwechseln. Auch Schriftsteller haben nicht mehr Divisionen als der Papst, um einmal an das Diktum von Stalin zu erinnern. Wir werfen Kieselsteine ins Wasser, größere und kleinere, rundere und spitzere, die mit etwas Glück Kreise ziehen und Aufmerksamkeit erwecken.

Wie kann das Signal der Konferenz über die übliche Kulturberichterstattung hinaus in die Öffentlichkeit wirken?

Ich möchte der Phantasie der Medien keine Grenzen auferlegen. Und da sich das, was Sie „die übliche Kulturberichterstattung“ nennen, heutzutage auf das Ornamentieren von Verkaufsschlagern zurückzieht, wären wir schon zufrieden, wenn über Antriebe, Anregungen, Irritationen unserer Konferenz und, das sei gestattet, Momente der Hoffnung und des glücklichen Lachens berichtet würde.

Wie können sich Buchhandlungen an dem Diskurs beteiligen?

Durch die kluge Weiterverbreitung unseres Anliegens, aus dem Mund von klugen Buchhändlerinnen und deren kluger Kollegen. Auch die Gestaltung des einen oder anderen Schaufensters könnte helfen.

Es wird oft beklagt, dass junge Menschen politikverdrossen sind und wenig lesen. Wie wollen Sie diese Zielgruppe erreichen? Sind beispielsweise Schulklassen eingeladen?

Es werden in Berliner Schulen Lesungen von Konferenzteilnehmern stattfinden, das waltet eine uns wohlgesonnene Stiftung. Es kommen auch Klassen in die Akademie und zur „Langen Nacht der Literatur“.

Wenn junge Menschen politikverdrossen sind, teilen sie diese Einstellung vermutlich mit ihren Eltern, die ihnen früh beigebracht haben, dass der wahre Gott der Fetisch des Konsums ist. Für uns ist das etwas zu konservativ gedacht, daher setzten wir auf die Verführung eines Generationenkonflikts. Irgendwann, in nicht allzu ferner Zeit wird das Lesen von Herz und Hirn bewegender Literatur wieder ein subversiver Akt sein. Hoffentlich eine heimliche Massenbewegung.

Wer sollte sich am 9. und 10. Mai in die Akademie der Künste aufmachen?

Menschen guten Willens, guten Geschmacks und guten Verstandes.

http://europaeischeschriftstellerkonferenz.eu/
Die Fragen stellte Margit Lesemann

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